Syrien: Rakka und das Tauziehen um Einfluss
Seite 2: Damaskus auf Konfrontationskurs gegen nordsyrische Föderation
- Syrien: Rakka und das Tauziehen um Einfluss
- Damaskus auf Konfrontationskurs gegen nordsyrische Föderation
- Ethnische Säuberungen in der Sheba-Region
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Daher setzt die Regierung nicht mehr allein auf friedliche Koexistenz, sondern geht wieder auf Konfrontationskurs. Der syrische Experte für bewaffnete Gruppen, Husma Shaib, bezeichnete die Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) in einem Interview mit Sputnik als Ableger von Terrororganisationen und stellte sie mit al-Nusra und dem IS gleich.
Nun wurde das vor einiger Zeit gelockerte Embargo für die Region wieder verstärkt und man versucht die SDF bei Rakka auf die Gebiete nördlich und östlich des Euphrat zurückzudrängen. Ihnen wird vorgeworfen, ihr Gebiet ausdehnen zu wollen.
Dabei übergeben die SDF die von ihnen befreiten Gebiete an die lokale Bevölkerung, die dann entscheidet, ob sie sich mit eigenen Rätestrukturen der Föderation anschließen will, oder ob sie unter der Herrschaft der syrischen Zentralregierung verbleiben will. Immer wieder gibt es Dialog-Angebote an die Assad-Regierung über eine strukturelle Machtveränderung der Macht: weg von einem autoritären Zentralregime hin zu einem demokratischen föderalen System.
Dass sich die Mehrheit der von den SDF befreiten Dörfer und Städte für das föderale System entscheidet zeigt, dass es unter der nordsyrischen Bevölkerung wenig Vertrauen in das Assad-Regime gibt. Diese Gemengelage wird sowohl von Russland, wie auch von den USA ausgenutzt. Russland stärkt Assad den Rücken, um seine eigenen territorialen Interessen zu sichern. Die nordsyrische Bevölkerung interessiert da nicht wirklich.
Unterstützt wird die Miliz, die gerade nützlich ist. Das dürfen dann auch mal die von der Türkei unterstützten Proxytruppen in der Sheba-Region sein. Die USA dagegen wollen nach wie vor Assad stürzen und durch ein ihnen genehmeres Regime ersetzen, oder, wie auch vielfach fabuliert, Syrien in verschiedene Einflusssphären aufteilen.
Das "Dreiländereck" zum Irak und Jordanien
Die syrische Armee hingegen will möglichst große Teile des ölreichen Hinterlandes unter ihre Kontrolle bringen und einen Landkorridor zum Irak herstellen. Dazu wurden Einheiten aus Aleppo sowie Hisbollah-Kämpfer aus der Umgebung von Damaskus nach Osten in die Region um die Wüstenstädte Deir el Zor, Mayadin und al-Bukamal herum verlegt.
Für die syrische Regierung ist das enorm wichtig, denn wer das Dreiländereck zum Irak und Jordanien entlang des Euphrats als erster erobert, der kontrolliert künftig den Osten Syriens und hat nach dem Zusammenbruch des IS beste Ausgangspositionen für künftige Einflussgebiete.
Idlib und Afrin
Im Westen, rund um die Provinz Idlib, braut sich ein weiterer Konflikt zusammen. Syrische und russische Truppen verdrängen auch dort die Islamisten. Die unmittelbare Nachbarschaft zum Kanton Afrin der nordsyrischen Föderation wirft jedoch Probleme auf: Der Kanton Afrin beherbergt mittlerweile 50-60.000 arabische Flüchtlinge aus dem türkisch besetzten Gebiet Al-Bab und aus Aleppo.
Die Bevölkerung von Afrin umfasst ca. 800.000 bis eine Million Einwohner, die YPG/YPJ-Armee umfasst mehr als 20.000 Mitglieder. Etwa 80 Prozent der überwiegend kurdischen Bevölkerung unterstützen die SDF und die Föderation. Das ruft wiederum die türkische Regierung auf den Plan. Erdogan hat große Sorgen wegen der Rojava gegenüber überwiegend freundlich gesonnenen Bevölkerung jenseits der Grenze im türkischen Hatay.
Hinzu kommt, dass sich die von der Türkei ausgebildeten und finanzierten islamistischen Milizen im Dreieck Azaz-Jarablus-Al-Bab im Moment gegenseitig bekriegen und massenhaft Menschen aus diesen türkisch besetzten Gebieten fliehen. Die nordsyrische Föderation hat allein in Manbij 170.000 Flüchtlinge aus Gebieten des IS und den türkisch besetzten Gebieten aufgenommen.
Die syrische Regierung hat nun überraschend die wichtigste Handelsstraße, die "Aleppo-Afrin-Straße", sperren lassen. Dadurch können wichtige Waren wie Arzneimittel oder Lebensmittel nicht mehr den isolierten Kanton gebracht werden. Es wird berichtet, dass alle festgenommen werden, die versuchen, über diese Straße in das kurdische Gebiet zu gelangen.
Türkei verstärkt Präsenz in Sheba-Region
In den letzten Tagen verlegte die Türkei weitere Truppen und Kriegsgerät in die von ihr kontrollierten Gebiete in der Sheba-Region. Die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete, die Truppen seien auf dem Weg in die von der kurdischen YPG und den SDF kontrollierte Region südlich der Stadt Azaz.
Es wird ein bevorstehender Angriff auf Afrin befürchtet. Der YPG-Sprecher Nuri Mehmud sagte in einem Interview mit der russischen Nachrichtenagentur Sputnik: "Die Türkei zieht ihre Kräfte bei Mare und Azaz zusammen. Wir können zwar nicht sagen, wie viele Einheiten insgesamt verlegt wurden, jedoch kann man davon ausgehen, dass es sich um große Mengen handelt. Es gibt bereits jetzt täglich Angriffe auf Afrin, diese könnten sich verstärken."
Am vergangenen Wochenende griffen die Islamisten von Ahrar al-Sham mit Unterstützung der türkischen Truppen die Dörfer Iska und Basufane im Kanton Afrin mit Mörsern und weiteren schweren Waffen an. Ob es eine Absprache zwischen der Türkei und der syrischen Regierung gab oder ob die zeitgleichen Aktionen zufällig stattfanden, lässt sich nicht verifizieren.
Es stimmt allerdings nachdenklich, dass Russland zu dieser Entwicklung schweigt. Noch vor kurzem schoben sich russische Einheiten in Afrin an der Grenze zur Türkei zwischen YPG und türkische Truppen jenseits der Grenze, um den Beschuss des Kantons durch die Türkei zu unterbinden.
Die Bewohner Afrins und der Sheba-Region vermuten, dass es sich um einen gemeinsamen Plan der Türkei, Russlands und des syrischen Regimes handeln könnte, denn es sei unwahrscheinlich, dass sich türkische Truppen ohne Zustimmung Russlands Richtung Afrin bewegen.
Ziel dieses Planes könnte sein, das türkisch kontrollierte Gebiet auf die Provinz Idlib auszuweiten. Der türkische Regierungssprecher Ibrahim Kalin erklärte, die Türkei, Iran und Russland würden an einer De-Eskalationszone im Norden Syriens arbeiten. Die Türkei und Russland könnten Truppen in die Provinz Idlib entsenden, die von der Al-Qaida-nahen Organisation Ahrar al-Sham kontrolliert wird. Dies würde den Druck auf den Kanton Afrin weiter verschärfen.
Seit Monaten steht der Kanton sowohl von türkischer Seite als auch von syrischer Seite durch die türkischen Proxytruppen unter Beschuss. Die USA betonten, sie würden in diesen Gebieten nicht intervenieren. Sie appellierten an alle Parteien, sich auf den Kampf gegen den IS zu konzentrieren. Schon seit längerem ist eine Intensivierung der Kontakte zwischen der Türkei und Iran in der Sheba-Region zu beobachten.
Denkbar ist, dass die Türkei sich über iranische Vermittler mit der syrischen Regierung über die Bekämpfung der syrischen Kurden und ihrer Verbündeten verständigt. Assad war ja bereits einmal vor 2011 "best friend" von Erdogan. Beide verbrachten sogar gemeinsame Urlaubstage. Erst wegen Erdogans Unterstützung islamistischer Gruppen in Syrien wie der FSA verwandelte sich die Freundschaft in offene Feindschaft.