Syrien: Rakka und das Tauziehen um Einfluss
- Syrien: Rakka und das Tauziehen um Einfluss
- Damaskus auf Konfrontationskurs gegen nordsyrische Föderation
- Ethnische Säuberungen in der Sheba-Region
- Auf einer Seite lesen
Der SDF und der nordsyrischen Föderation stehen schwierige Zeiten bevor. Russland und die syrische Regierung ändern offenbar ihren Kurs
Die Tage des Islamischen Staates scheinen gezählt. Die SDF (Syrian Democratic Forces) haben Rakka (Raqqa) umzingelt. Unterstützt werden sie durch Luftangriffe der Anti-IS-Koalition. Unterdessen sind in der Sheba-Region um Al-Bab und Azaz heftige Kämpfe zwischen den von der Türkei unterstützten Milizen ausgebrochen. Die Angriffe gegen den Kanton Afrin der "Demokratischen Föderation Nordsyrien" (die Rojava miteinschließt) durch türkische Proxytruppen gehen trotzdem weiter.
Durch den neu intensivierten sunnitisch-schiitischen Konflikt um Einfluss in Syrien stehen der nordsyrischen Föderation schwierige Zeiten bevor. Schon wird ihnen eine Allianz mit Saudi Arabien unterstellt, um sie zu diskreditieren. Auch Russland versucht neuerdings, die nordsyrische Föderation unter Druck zu setzen. Russland und die USA verwandeln mit ihren regionalen Partnern im Tauziehen um Macht und Einfluss Syrien wieder mal in einen unübersichtlichen Sumpf. Die Aktionen und Intentionen der Türkei geraten gleichzeitig aus dem Blickfeld.
Zentausende flüchten in die Gebiete der nordsyrischen Föderation
Erst kamen nur einige Hunderte Zivilisten aus Rakka in die sicheren Gebiete der nordsyrischen Föderation, jetzt sind es Zehntausende. Die Soldaten und Soldatinnen der SDF sorgen dafür, dass die Menschen sicher in die bereitgestellten Flüchtlingscamps oder temporären Schutzzentren gelangen.
"Die Leute sind sehr glücklich. Sie sind froh, dass sie Rakka entkommen sind. Sie sagen uns, wir sollen auch die Zurückgebliebenen retten", berichtet einer der Kämpfer der YPG, während er Hände schüttelt und die Menschen mit Wasser und dem Nötigsten versorgt. Immer wieder gibt es Angriffe vom IS, die erfolgreich abgewehrt werden können.
Die Zahl der getöteten Islamisten steigt täglich und zermürbt die noch in Rakka verbliebenen IS-Mitglieder. In Ost-Rakka ergaben sich zahlreiche IS-Kämpfer, nachdem Rakka von den SDF komplett umzingelt wurde.
Neuerdings treten Russland und die syrische Armee (SAA) rund um Rakka wieder auf die Bühne. Das russische Verteidigungsministerium meldete in den letzten Tagen, der IS-Führer Abu Bakr al-Baghdadi sei höchst wahrscheinlich bei einem russischen Luftangriff getötet worden.
Am 28. Mai habe es einen Luftangriff gegen ein Treffen der IS-Spitze in Rakka gegeben. Auf dem Treffen sollten die Fluchtrouten aus der Stadt geplant werden, berichtete die BBC. Diese Meldung konnte bislang nicht bestätigt werden. Lediglich der Tod einiger ranghoher IS-Funktionäre wurde bestätigt (siehe: Ist al-Baghdadi tot und der IS enthauptet?).
Russland billigt Angriffe der syrischen Armee auf SDF
Aber der Wind scheint sich in Russland und bei der syrischen Regierung gedreht zu haben. Während Russland die SDF bis vor kurzem noch unterstützt hat und sich bspw. im Kanton Afrin als Beobachter zwischen die SDF und den türkischen Truppen geschoben hatte, billigt Russland im Moment die syrischen Angriffe auf die SDF bei Rakka und Tabqa.
Bisher koexistierten das syrische Militär und die SDF meist an den Stellen, wo sie im Zuge ihres jeweiligen Vormarsches gegen den IS aufeinander trafen. Die Regimetruppen SAA bestreiten Angriffe auf die SDF. Ihr Luftangriff hätte einem IS-Standort gegolten. Die russlandfreundliche Presse nahm dies unhinterfragt auf, obwohl der Pressesprecher der SDF Angriffe auf ihre Truppen von Seiten der syrischen Armee bestätigte.
Die SAA hätte versucht, die SDF aus schon befreiten Dörfern zu vertreiben. Sah es kürzlich noch so aus, als ob Russland versuchen würde, Assad von einem föderalen Syrien zu überzeugen, scheint es jetzt aus unterschiedlichen Interessen heraus ein Bündnis zwischen Syrien, Russland, Türkei und Iran zu geben, mit dem Ziel, eine demokratische nordsyrische Föderation zu verhindern. Dass mit diesen Aktionen der Kampf gegen die IS-Hauptstadt Rakka gefährdet wird, scheint zweitrangig.
Droht im Nahen Osten der Weltkrieg auszubrechen?
Davor warnte die Vorsitzende der Linken, Sarah Wagenknecht nach dem Abschuss eines syrischen Kampfjets durch die USA. Die Situation drohe zu eskalieren, sagte Wagenknecht und forderte Bundeskanzlerin Merkel auf, die deutschen Soldaten sofort aus der Konfliktregion zu evakuieren.
Die Gefahr eines großen Krieges in der Region wächst in der Tat täglich. Es seien nur einige Konfliktfelder genannt, welche die Gesamtlage verzwickt und unübersichtlich machen: Es fing mit Trumps Besuch in Saudi-Arabien an. Dieser hatte die Isolation Katars seitens einer Reihe von arabischen Staaten zur Folge. Ziel ist es, die pro-iranischen, arabischen Länder und die Moslembrüder in Amerikas Sinne zu isolieren.
Das wiederum brachte die Türkei auf die Bühne, die Katar mit Truppenverstärkungen und Lebensmittelhilfen beispringt. Erdogan, der den Moslembrüdern ideologisch nahesteht, fürchtet das Ausbleiben katarischer Finanzspritzen für seine schwächelnde Ökonomie.
Zudem finanzierte Katar die sunnitisch-arabischen Proxytruppen der Türkei in Syrien. Der Emir von Katar, Sheikh Tamim bin Hamad Al Thani, bot Erdogan in der Nacht des Putschversuches am 15. Juli 2016 ein Flugzeug und Exil an, das stärkte Erdogans Bindung an Katar noch zusätzlich.
Die Golfstaaten fordern ihrerseits Katar auf, die militärischen Beziehungen mit der Türkei zu kappen und den türkischen Militärstützpunkt zu schließen. Iran wiederum unterstützt die irakisch-schiitische Miliz Hashd al-Shaabi, die es südlich der ezidischen Siedlungsgebiete im Shengal bis an die syrische Grenze geschafft hat. Iran erhofft sich dadurch einen Landkorridor bis nach Syrien.
Zeichen einer Eskalation
Die USA reagierte an der syrisch-irakischen Grenze bei al-Tanf mit dem Abschuss einer iranischen Drohne. Auf gar keinen Fall soll Iran dem syrischen Regime zu Hilfe kommen können. Dazu unterstützen die USA und Großbritannien in Syrien in der Nähe der jordanischen Grenze die FSA (Freie Syrische Armee), von denen gesagt wird, sie würden den IS, bzw. al-Qaida unterstützen (siehe Al Tanf: Schlacht um syrisch-irakischen Grenzübergang in der Wüste).
Die syrische Armee betrachtet die FSA als Islamisten und bekämpft sie. Ein weiterer Konfliktpunkt könnte Deir el-Zor sein. In der unwirtlichen Wüste gibt es einige Ölquellen, die Begehren wecken. Deir el-Zor ist auch der Knotenpunkt eines Landkorridors von Iran zum Mittelmeer. Die syrische Armee ist dort eingeschlossen, aber syrische Truppen rücken langsam vor und verdrängen den IS aus der Region.
Möglich wäre auch, dass die SDF von Nordwesten Richtung Deir el-Zor vorrücken. Dies wäre im Interesse der USA, da sie so mit Hilfe der nordsyrischen Föderation ihr Einflussgebiet ausweiten könnten. Für die nordsyrische Föderation könnte dies allerdings ebenfalls von Vorteil sein, weil sie dadurch eine weitere Verbindung zur irakischen Grenze hätten.
Es existiert zwar neuerdings eine Landverbindung südöstlich von Hasaka, nachdem die irakisch-schiitischen Hashd al Shabi-Milizen die Region südlich von Shengal eingenommen haben. Aber es ist noch unklar, ob es bei der Koexistenz zwischen SDF und Hashd al Shabi bleibt.
Mit den Grenzübergängen in diesem Gebiet könnte das Embargo der kurdischen Autonomieregion im Irak gegenüber der nordsyrischen Föderation umgangen werden. Dies ist wichtig um die vielen Binnen-Flüchtlinge aus den syrischen IS-Gebieten zu versorgen. Viele Syrer flüchten nämlich in die nordsyrische Föderation, weil sie sich dort sicherer und freier fühlen. Das "Modell Rojava" macht Schule in ganz Syrien und das ist nicht im Interesse von Assads Regierungsapparat.