Syrien: Wie Hilfe der NGOs an Dschihadisten kommt

Miliz Ahrar al-Sham. Foto (2017): Twitter/Propaganda

Ermittlungen der USAID bestätigen in der Bevölkerung verbreitete Vorbehalte gegen Korruption von NGO-Mitarbeitern und Mafiaherrschaft der Milizen

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Zuvor war meist nur von Waffen aus dem Westen die Rede, die dann am Ende bei den syrischen Dschihadisten landeten. In jüngster Zeit gibt es mehr Aufmerksamkeit für andere Hilfen, vor allem Geld, die eigentlich für die "gute" syrische Opposition gedacht war oder für die Zivilbevölkerung, die dann aber ebenso selbstverständlich wie die Waffen zu einem guten Teil bei den Dschihadisten landeten.

"Selbstverständlich", weil es doch gar nicht anders sein kann, wenn die Dschihadisten die militärisch mächtigsten Akteure sind und alle anderen in ihrem Herrschaftsgebiet kontrollieren. Die Mafiaherrschaft verlangt ihre Tribute.

Korruption, Infiltration und Mafia-Forderungen

Von der syrischen Bevölkerung, die mit den Praktiken in den von westlichen Medien weiterhin beharrlich "Rebellengebiete" genannten Zonen der Herrschaft von Milizen mit al-Qaida-Agenda vertraut ist, gab es schon lange Klagen über Geschäfte oder Abmachungen, die zwischen NGOs und den Dschihad/Islamisten-Milizen laufen.

Bewohner bekamen Korruption und Mafia-Forderungen vor Ort mit, wie Elizabeth Tsurkov in ihrem durch Hunderte von Interviews gestützten Befund: The Breaking of Syria’s Rebellion berichtet (vgl. Syrien: Bevölkerung angewidert von Milizen). Ein Ausschnitt:

Abdul Kader, ein Aktivist der in Idlib lebt und jahrelange Erfahrung in der Aufsicht und Einschätzung der humanitären NGOs innerhalb Syriens hat, erzählte mir, dass sich alle Fraktionen einen kleinen Teil der Lieferungen holen, die für die Bevölkerung gedacht sind, "nicht nur Hayat Tahrir a-Sham, aber auch Ahrar [a-Scham], Faylaq [a-Scham] und die Freie Armee. Die Milizenfraktionen zwingen die NGOs auch dazu, einen Anteil der Jobs an ihre Kader abzugeben. Das wird von den Milizen dazu genutzt, um befähigte Leute zu rekrutieren, damit diese dann bei den NGOs arbeiten.

Arbeitsplätze in den NGOs sind extrem lukrativ, da sie gut bezahlt sind, besser als andere Positionen in Syrien und physisch nicht so erschöpfend sind wie Arbeit im Baugeschäft oder in der Landwirtschaft und viel weniger gefährlich, als wenn sie sich einer Miliz anschließen.

Elizabeth Tsurkov, Common Perception of Corruption in the Ranks of NGOs and Local Councils

Nervöse Abgrenzungen

Angesichts des Aufmerksamkeitswirbels, der aktuell um eine anstehende Offensive der regierungstreuen Militärverbände auf Idlib gemacht wird, und der nach den bisherigen Erfahrungen solcher Operationen mit Unterstützung Russlands auf eine Neuordnung des Gebietes hinausläuft, werden nun einige Geldgeber nervös.

Ein Signal dafür war etwa der Rückzug der britischen Regierung aus der Finanzierung der Free Syria Police (vgl. Syrien: Britische Regierung kürzt Unterstützung für oppositionelle Polizisten), ein weiteres kommt von der US-Hilfsorganisation USAID.

Dort hat man Geld in einer beträchtlichen Größenordnung an eine NGO überwiesen, damit diese der Bevölkerung in Idlib humanitär hilft. Nun hat man entdeckt, dass auch die Hayat Tahrir a-Sham sich von dieser Hilfe "ihren Anteil" genommen hat und dies anscheinend oder möglicherweise auf einer Vereinbarung beruht.

In den USA könnte dies strafrechtliche und sehr teure Konsequenzen haben, weil dort die Hayat Tahrir a-Sham als Terrorgruppe gelistet ist. Die Miliz ist ein Abkömmling der al-Qaida-Miliz Jabhat al-Nusra.

Unterstützungsvolumen 147 Millionen Dollar

Nach Informationen von Irin-News weigert sich die Aufsicht über die USAID, das Amt des USAID-Generalinspektors, weitere Informationen herauszugeben, als dass man 30 Millionen Dollar an Hilfsleistungen eingefroren habe und man im Fall einer NGO ermittle, die mit einer Unterstützung von 44,6 Millionen Dollar zu den größten USAID-Projekten gehört.

Sämtliche Indizien, so der Irin-Bericht, weisen "mit wenig Zweifel" auf eine katholische Hilfsorganisation hin, die in den letzten drei Steuerjahren für Projekte in Syrien die beträchtliche Summe von 147 Millionen Dollar bekommen hat.

Die Vorwürfe, die in der Hauptsache auch im Bericht der USAID vom Juni 2018 nachzulesen sind (auf. S. 56 des PDF) lauten, Ermittlungen der USAID hätten ergeben, dass "eine NGO mit Sitz in den USA wissentlich von USAID gesponsorte Essenspakete an die Milizorganisation Hayat at-Tahrir al(!)-Scham ausgegeben habe, die vom Verteidigungsministerium als auswärtige Terroristen-Organisation gekennzeichnet wird".

Das Gebiet, wo die Hilfe veruntreut wurde, ist Idlib. Dort zählt die Miliz Hayat at-Tahrir asch-Scham (HTS) zu den Herrschern großer Gebiete. Wie groß der Tribut der NGO an die HTS in Form von Essenpaketen war, ob es noch weitere Hilfsleistungen oder Abgaben gab, ist noch offen.

Verschleierungsversuche

Der oben erwähnte Aktivist Abdul Kader spricht ja immerhin von "kleinen Teilen der Lieferungen", die sich die Milizen holen. Demgegenüber dürften die Unzufriedenheit der syrischen Bevölkerung mit den NGOs und Vorwürfe der Korruption gegen diese nicht aufgrund von Kleinigkeiten erfolgen.

Stutzig macht darüber hinaus, dass zu den Vorwürfen der USAID gegen die nicht genannte NGO gehört, dass diese die Verteilerliste manipuliert hat ("covered up the records"), die dann an den USAID-Geldgeber weitergeschickt wurde, um die Teilnahme der Milizen am Programm zu verschleiern. Dies spricht dafür, dass es sich bei der Unterstützung nicht um eine einmalige Gefälligkeit, sondern um eine Abmachung gehandelt haben könnte.

Es heißt aber auch, dass seitens der Milizen Zwang ausgeübt wurde.

Dass in der Folge dann 30 Millionen Dollar eingefroren wurden und die NGO ihre Aktivitäten im Nordwesten Syriens eingestellt hat, widerspricht der Annahme, dass es sich lediglich um kleinere Geschenke handelt.

Hauptsache die Gegner Assads werden unterstützt

Ein Bericht, der schon im vergangenen Jahr bei Irin zur ausländischen Hilfe für Dschihadisten erschienen ist - wie auch dieser hier: Syrian Jihadists Jeopardize Humanitarian Relief - legt nahe, dass es sich hier um ein sehr verbreitetes, vertracktes Phänomen handelt, bei dem möglicherweise einiges nicht nach Plan gelaufen ist, jedoch der politische Wille der westlichen Führungsländer unmissverständlich war: Wir unterstützen jeden und allen, die irgendwie in Opposition zu Baschar-al-Assad stehen.