Syrien wieder im Visier der USA

Nach dem tödlichen Anschlag auf den früheren Ministerpräsidenten Hariri wächst der Druck der Opposition im Libanon, die syrischen Truppen abzuziehen, unbekannt ist weiterhin, wer die Täter sind

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Seit dem Irak-Krieg steht Syrien ganz oben auf der Schwarzen Liste der Bush-Regierung, auch wenn das Land noch nicht zu den "Außenposten der Tyrannei" wie der Iran gezählt wurde. Doch bisher konnte man der syrischen sozialistischen Republik wenig anhaben. Die US-Wirtschaftssanktionen vom Mai 2004 (US-Präsident Bush verhängt Sanktionen gegen Syrien) hatten eher symbolischen Charakter und die Resolution 1559 des UN-Sicherheitsrates, die u.a. den Abzug "aller ausländischer Truppen" aus dem Libanon und die "Entwaffnung aller Milizen" vorsieht, blieb trotz diplomatischer Gespräche und Verhandlungen nur ein Stück Papier. Jetzt scheint es durch die Autobombe, die Ex-Premier Rafik Hariri tötete, zu einer Beschleunigung der Ereignisse zu kommen.

Libanesische Sicherheitskräfte vermuten hinter dem verheerenden Anschlag Täter mit ausgezeichneten Sprengstoffkenntnissen. Bild: Hackensberger

Kaum einen Tag nach der Detonation der 400-Kilogramm-Bombe im Zentrum Beiruts verkündete in Washington Richard Boucher, der Sprecher des US-Außenministreiums, dass die amerikanische Botschafterin aus Syrien zur Befragungen zurück beordert wurde. Die USA seien "überaus entsetzt" über die Ermordung von Rafik Hariri. Was aber nicht heißen solle, "dass man Syrien für den Tod verantwortlich macht". Das Attentat habe nur gezeigt, so Richard Boucher weiter, dass die militärische Präsenz Syriens keine Sicherheit bietet und deshalb nicht notwendig ist.

Auch Scott McClellan, der Sprecher des Weißen Hauses, sagte, es noch zu früh sei, sich über die Mörder Hariris zu äußern, "aber der Libanon muss frei von der Besetzung Syriens und autonom bei allen politischen Entscheidungen sein". Und Außenministerin Condoleeza Rice warnte, dass der Tod des ehemaligen libanesischen Premierministers zu einer weiteren Verschlechterung der diplomatischen Beziehungen zu Syrien geführt hat, das den Terrorismus unterstütze Obwohl der syrische Präsident Bashar Assad kurz nach dem Anschlag sich von diesem distanziert und von einem "abscheulichen kriminellen Akt" gesprochen hat, sitzt er nun, ob er will oder nicht, auf der Anklagebank.

Das Oppositionsbündnis im Libanon gegen die Regierung von Präsident Emile Lahoud verhielt sich ganz ähnlich wie die US-Offiziellen in Washington. Ohne auch nur den geringsten Beweis in Händen zu halten, machte man "die libanesische Regierung und die Macht, die dahinter steht, die syrische Regierung, für das Verbrechen verantwortlich". In Saida, der Heimatstadt von Rafik Hariri, kam es am Dienstag bei spontanen Trauerdemonstrationen zu Ausschreitungen. Reifen wurden angezündet, Straßen blockiert und syrische Gastarbeiter angegriffen. Im Libanon leben rund eine Million Syrer, die sich als Billigstarbeitskräfte verdingen. Von der breiten Öffentlichkeit werden sie als eines der Hauptübel der wirtschaftlichen Misere des Landes angesehen, da sie den Libanesen Arbeitsplätze stehlen. An der Beisetzung Hariris nahmen in Beirut Hunderttausende von Menschen teil, die Syrien für den Anschlag verantwortlich machen.

Das Oppositionsbündnis von Politikern aller Konfessionen und Parteien fordert nun eine neu zusammengesetzte Übergangsregierung, die die Amtsgeschäfte bis zu den im Mai stattfindenden Parlamentswahlen leiten soll. Das Attentat dient als Beweis, dass es "keine Sicherheit" im Libanon gibt. Der Druse Walid Jumblatt, die prominente Führerfigur der Opposition ("Der Libanon könnte ein neuer Klon der anderen autoritären arabischen Regimes werden"), nannte den Mord an Rafik Hariri, mit dem er lange Jahre befreundet war, "ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit" und plädiert für eine "internationale Kraft, die eine libanesische Bevölkerung beschützen soll, die sich in einem syrisch-libanesischen Polizeistaat nicht sicher fühlt".

Die Wogen gehen hoch, mit viel Pathos nach einem Tag, an dem das Undenkbare passiert ist. Rafik Hariri, einer der reichsten Männer der Welt, dessen Name wie kein anderer mit dem Wiederaufbau im Nachkriegslibanon verbunden ist, der als der Unberührbare, der Unantastbare galt, wurde mit einer gigantischen Autobombe getötet. Letztes Jahr im Oktober entkam Marwan Hamade, der Ex-Wirtschaftsminister und treuer Verbündeter von Walid Jumblatt, nur schwerverletzt einer Autobombe. Da fragt man sich natürlich, wer wird der nächste sein?

Hamade hatte noch Glück. Aber am vergangenen Montag, als der Autokorso Rafik Hariris am Luxus-Hotel Phoenicia vorbei brauste und Richtung Corniche fuhr, waren die Attentäter auf Nummer sicher gegangen. Bei 400 Kilogramm Sprengstoff - nach Ansicht der libanesischen Sicherheitsbehörden handelte es sich um einen Selbstmordanschlag - gab es kein Entkommen. Die Druckwelle zerstörte innerhalb eines Umkreises von einem Kilometer sämtliche Fenster und Auslagen.

Die Opposition im Libanon profitiert vom Anschlag auf Hariri

Für die libanesische Opposition gibt es keinen Weg zurück. Die Regierung des Präsidenten Emile Lahoud wird nach wie vor nicht anerkannt. Der Ex-General konnte nur über eine von Syrien orchestrierte Verfassungsänderung (Link zum Artikel Verfassungsänderung) seine Amtszeit um weitere sechs Jahre verlängern. Die Oppositionspolitiker setzen auch auf eine Implementierung der UN-Resolution 1559, wobei sie die Forderung nach dem Abzug aller syrischen Truppen unisono lieber Gestern als Heute erfüllt sehen würden. Meinungsverschiedenheiten dürfte es allerdings bei der Entwaffnung aller Milizen im Libanon geben. Die christlichen Parteien wären sicherlich für eine bedingungslose Entwaffnung der Hisbollah, zudem auch der Palästinenser in den Flüchtlingslagern. Für drusische und muslimische Politiker käme dagegen nur eine Stufenlösung, Schritt für Schritt unter bestimmten Bedingungen in Frage.

Die Opposition ist durch den Tod Rafik Hariris noch mehr im Aufwind als zuvor. Man benutzt das Attentat als Frontalangriff auf das "Marionettenkabinett". Die Unterstützung von außen ist groß. Der französische Präsident Jaques Chirac kam aus Paris zur Beerdigung seines Freundes Rafik Hariri und sicherte den Oppositionspolitikern seine Unterstützung zu. Kofi Annan, der UN-Generalsekretär, setzt sich höchst persönlich für die Durchsetzung der UN-Resolution 1559 ein. Er schickte Terje Roed-Larsen als Gesandten kürzlich nach Damaskus und Beirut, um mit allen Beteiligten vor Ort zu sprechen und zu verhandeln. Danach gilt es mit den Initiatoren der UN-Resolution, Frankreich und den USA, eine Lösung zu finden.

Vor wenigen Tagen konnte Roed-Larsens bei seinem Abschlussbesuch in Paris beim französischen Staatspräsidenten Jaques Chirac auch Positives berichten. Syrien erklärte sich grundsätzlich bereit, alle Truppen aus dem Libanon abzuziehen. Voraussetzung dafür sei allerdings die Implementierung auch aller anderen UN-Resolutionen, die den Palästina-Israel-Konflikt betreffen. Etwas, das dem französischen Präsidenten und der UN weniger behagt, jedoch einen erster Schritt zu Verhandlungen bedeutet. Bei derart komplexen, wie sensitiven Sachverhalten braucht der diplomatische Weg immer seine Zeit. Gerade die Entwaffnung der Hisbollah und der Palästinenser in den Camps würde, so Roed-Larsen, wesentlich mehr Zeit in Anspruch nehmen als geplant. Über solche Dinge werden aber zusammen mit den USA Entscheidungen getroffen, die bekanntlich keine Freunde langwieriger Diplomatie sind. Im Mai wird Frankreich jedenfalls die Parlamentswahlen im Libanon genau beobachten. Bis dahin sollte Syrien die Warnung befolgen, die Roed-Larsen vor ein paar Tagen bei seinem Besuch bei Präsident Bashar Assad in Damaskus überbrachte: "Jeder Versuch, Oppositionspolitikern im Libanon Schaden zuzufügen, hat den unwiderruflichen Ausschluss aus der internationalen Gemeinschaft zur Folge".

Die Täter sind noch unbekannt

Es gibt bislang keinen Beweis für die Beteiligung Syriens oder der libanesischen Regierung an der Ermordung Rafik Hariris. Folgt man jedoch dem Verhalten der USA und der libanesischen Opposition, gibt es absolut keinen Zweifel, wer die Bombe am Montag gezündet hat, die den libanesischen Ex-Premierminister und 13 weitere Menschen tötete und über 130 weitere teilweise schwer verletzte. Aus die israelische Regierung sieht die Täter im Dienste Syriens, nennt aber auch die Hisbollah oder Islamisten. Bislang gibt es allerdings nur ein Bekennervideo einer unbekannten Gruppe namens An-Nosra wal Jihad fi Bilad al-Sham (Sieg und Dschihad in Großsyrien). Dort heißt es, Hariri wurde durch einen Selbstmordanschlag wegen seiner Beziehungen mit dem saudischen Regime getötet. Das aber würede dafür sprechen, dass der über den Irak-Krieg auch nach Saudi-Arabien übergesprungene al-Qaida-Terrorismus nun auch den Libanon erreicht hat. Allerdings hat im Internet eine Gruppe, die sich al-Qaida zurechnet, das Bekenntnis dementiert und macht den Mossad verantwortlich oder sieht libanesische oder syrische Interessen dahinter. Man unterstütze die Kämpfe in Palästina oder im Irak, habe aber mit dem Anschlag nichts zu tun.

Hariri wird zum Nationalsymbol. Bild: al-Dschasira

Doch selbst beim besten Willen sind nutzbringende Motive für die libanesische Regierung und den großen syrischen Bruder nicht zu entdecken. Rafik Hariri war kein apologetischer Syrien-Gegner. Der Milliardär war in erster Linie Geschäftsmann, der sich immer alle Seiten offen ließ. Er war auch nicht, wie Walid Jumblatt, ein Aushängeschild der Oppositionsfront gegen Präsident Emile Lahoud. Rafik Hariri hielt sich im Hintergrund und spielte stets sein eigenes Spiel, nicht das der Anderen.

Syrien ist für die USA ein unbequemes Land, das einen unabhängigen politischen Kurs verfolgt und sich davon so wenig wie möglich abbringen lässt. Syrien unterstützt Palästina und die Hisbollah und behindert so wenig wie möglich den Kampf der "Aufständischen" im Irak. Gerade durch die Präsenz der USA im Mittleren Osten ist auch der Einfluss Syriens stärker geworden. Nach dem Anschlag haben Syrien und der Iran eine engere Kooperation verkündet, die sich gegen den amerikanischen Druck richtet. US-Drohnen sollen angeblich Irans Atomanlagen ausspähen, der Iran hat erklärt, sie abzuschießen Russland wird, trotz des Vetos Israels, neue Raketen an den vormaligen kleinen Bruder der großen sozialistischen Sowjetunion liefern.