Syriens traumatisierte Kinder

Seite 2: "Noch ist Zeit zu handeln"

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Doch auch nach sechs Jahren Krieg mit all seinen katastrophalen Auswirkungen gibt es noch Grund zur Hoffnung. Bei Kindern, die schon früh eine gute Beziehung zu fürsorglichen Erwachsenen haben, könnten die schädlichen Konsequenzen noch umgekehrt werden. Zwar haben viele Kinder wichtige Entwicklungsphasen verpasst, so dass die langfristigen Schäden möglicherweise dauerhaft bestehen bleiben. Doch die Mehrheit der befragten Kinder und Jugendlichen können ihre Emotionen ausdrücken und sind fähig, sich mit Freunde und Verwandten auszutauschen.

Die meisten zeigen sich Gewalt gegenüber nicht abgestumpft. Dies zeige auch ihre Stärke und Resilienz. Der Punkt, von dem aus es kein Zurück mehr gebe, sein, so glauben die an der Studie beteiligten Experten und Psychologen, noch nicht überschritten. Der Herzenswunsch vieler der befragten Kinder sei es, einen Schulabschluss zu machen, woraus sich schließen lässt, dass sie noch Hoffnungen für die Zukunft haben.

In einer sicheren Umgebung, mit Hilfe von verhaltenstherapeutischen Maßnahmen, könnten sich die Kinder von den traumatischen Erlebnissen erholen. Ohne Behandlung und psychosoziale Unterstützung allerdings würden die Traumata an die eigenen Kinder und zukünftige Generationen weitergegeben. Dieses Risiko wächst mit jeder Minute des Krieges. Deshalb müssen Kinder und die sie betreuenden Menschen sofort vor bewaffneten Auseinandersetzungen geschützt und darin unterstützt werden, ihr Leben neu aufzubauen.

Den Krieg schnell beenden

Raus aus dem Kriegsalltag, ein Stück Normalität erleben: Mit einem Appell wendet sich UNICEF an die Bundesregierung, damit syrische Kinder in Krisengebieten die Schule besuchen dürfen. Nicht zuletzt ist es auch ein wirtschaftlicher Schaden für das kriegserschütterte Land, wenn die Kinder der Schule fernbleiben: Die UN schätzt den Gesamtverlust wegen Schulabbruchs auf der Primar- und Sekundarebene bereits heute auf rund elf Milliarden US-Dollar.

Auch die seit 2013 bestehende Initiative No lost Generation, die mit vielen internationalen Organisationen zusammenarbeitet, will Kindern und Jugendlichen in den Krisengebieten mehr Schulbildung und Schutzmaßnahmen zukommen lassen. So sollen im laufenden Jahr über 100.000 Jungen und Mädchen mit strukturiertem, nachhaltigem Kinderschutz und psychosozialen Förderprogrammen erreicht werden.

Bombenangriffe, medizinischer Notstand, schwierige Versorgungslage - immer wieder weisen Organisationen wie Ärzte der Welt oder SOS Kinderdörfer, die elternlose Kinder vor Ort betreuen, auf die unzumutbaren Zustände hin.

So appellierten Ärzte im zerbombten Aleppo im August 2016 in ihrer Not an führende Weltpolitiker. Bisher scheinen alle Appelle und Petitionen nicht auszureichen, diesen Krieg, in dem viele Interessenskonflikte ausgetragen werden, abzumildern oder gar zu beenden. Nicht nur wir als Zuschauer in Europa dürften damit überfordert sein, das komplexe Kriegsgeschehen zu verstehen, das uns in den Nachrichten aufbereitet wird.

Ganz offensichtlich aber sind es immer die Erwachsenen, die Städte und Landstriche verwüsten, um ihre religiösen, ideologischen oder wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen. Opfer und Leidtragende sind vor allem die Kinder und Jugendlichen. "In zehn Jahren werden wir erkennen, dass eine ganze Generation wenig oder gar nicht gebildet ... und emotional zerstört ist", sagt ein Jugendbetreuer aus Idlib. Was Syrien brauche, sei eine Generation, die die das Land wiederaufbauen kann. Voraussetzung dafür wäre allerdings ein Ende des Krieges. Den jüngsten Angriffen nach zu urteilen, ist dieses Ende wohl noch nicht so bald in Sicht.