TISA: Alles wird vermarktet
Ein neues Abkommen könnte Bereiche wie Trinkwasser und Gesundheit durch die Hintertür privatisieren
Es ist gerade einmal ein Jahr her, dass die im Rahmen der EU-Dienstleistungsrichtlinie vorgesehene geplante Privatisierung der Trinkwasserversorgung die Gemüter hierzulande erhitzte. Verblüffend schnell ließ die EU-Kommission das Thema fallen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Natürlich muss den Verantwortlichen in Brüssel und den EU-Mitgliedsstaaten damals schon bekannt gewesen sein, dass das Thema Trinkwasserprivatisierung als TISA (Trade in Services Agreement) in einem weit umfangreicheren Zusammenhang schon längst wieder auf den Verhandlungstischen aufgeschlagen war. TISA wurde jedoch damals noch nicht in der Öffentlichkeit wahrgenommen.
Nach frei zugänglichen Informationen des schweizerischen Staatssekretariats für Wirtschaft SECO treffen sich mehrere WTO-Mitglieder, die sogenannten RGF-Gruppe (Really Good Friends of Service) seit Februar 2012 regelmäßig in Genf unter dem gemeinsamen Vorsitz der USA und Australiens. Die Treffen finden grundsätzlich nicht in den Räumen der World Trade Organization (WTO) statt, denn das geplante Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen wird bewusst außerhalb der WTO verhandelt.
An den Verhandlungen sind dir folgenden Staaten und Staatengruppen beteiligt: Australien, Chile, Costa Rica, EU (für 28 Mitgliedsstaaten), Hong Kong, Island, Israel, Japan, Kanada, Kolumbien, Korea, Liechtenstein, Mexiko, Neuseeland, Norwegen, Pakistan, Panama, Paraguay, Peru, Schweiz, Taiwan, Türkei und USA - also insgesamt 50 Länder. Nicht beteiligt sind die BRICS-Staaten, die sich von dem Abkommen in der beabsichtigten Form nur Nachteile erwarten.
Ziel der TISA-Initiatoren ist der Abschluss eines Abkommens, das es Unternehmen aus dem Dienstleitungsbereich ermöglichen soll, grundsätzlich in jedem Land tätig zu werden, welches das Abkommen unterzeichnet hat. Wie beim derzeit stärker beachteten Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) finden auch die Verhandlungen zu TISA weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Dabei wird TISA noch viel umfassender in das tägliche Leben der Bürger eingreifen, als ein Freihandelsabkommen.
Weltweit gibt es schon heute etwa 3000 Freihandelsabkommen. Profitiert von diesen Abkommen haben zumeist große Konzerne, die über genügend Personal verfügen, um die aus den jeweiligen Freihandelsabkommen resultierenden Verpflichtungen zu erfüllen. Kleine Unternehmen sind dagegen mit den vorgeschriebenen Nachweispflichten für die Herkunft jeder verbauten Komponente meist hoffnungslos überfordert und müssen den Handel mit Zielländern aufgeben, mit welchen ein Freihandelsabkommen besteht. Dass hierzu wenig Klagen an die Öffentlichkeit dringen, hat seine Ursache darin, dass diese Unternehmen meist weder die Zeit noch das Geld haben, sich öffentlich zu beschweren.
Nun leben wir heute in einer Dienstleistungsgesellschaft, die geprägt wird von Kommunikation, Finanzdienstleistungen, Versorgung mit Energie und Trinkwasser sowie dessen Entsorgung, zudem zählen dazu alle Logistik- und Postdienstleistungen sowie der gesamte Bereich der Leiharbeit. Im Europäischen Binnenmarkt dürften etwa 75% der Beschäftigung in den Bereich Dienstleistungen fallen.
Derzeit wird angenommen, dass hoheitliche Aufgaben wie Polizei, Justiz, Strafvollzug und Verteidigung, die weder auf kommerzieller Basis, noch im Wettbewerb erbracht werden, von den beiden Abkommen TTIP und TISA ausgenommen werden. Für alle anderen Bereiche der sogenannten öffentliche Daseinsvorsorge gilt dies jedoch nicht - und damit kommt nicht nur die von kommunalen Unternehmen erbrachte Trinkwasserversorgung wieder in den Fokus des Privatisierungsdrucks, sondern auch praktisch alle Dienstleistungen in den Bereichen Gesundheit und Bildung.
Mit der in den Vertragsentwürfen enthaltenen Ratchet-Klausel besteht in der Praxis bei einmal erfolgter Privatisierung ein vollständiges Rekommunalisierungsverbot. Mit der ebenfalls geplanten Standstill-Klausel wird gleichzeitig festgelegt, dass neue Dienstleistungen nicht mehr von Unternehmen der öffentlichen Hand erbracht werden dürfen, sondern dem privaten Wettbewerb unterliegen. Die Vorteile der internationalen Schiedsgerichte, die vom Europäischen Parlament anscheinend schon akzeptiert wurden, gelten im Übrigen auch in Zukunft nur für ausländische Investoren. Die Auswirkungen kann man derzeit schon im Zusammenhang mit dem deutschen Atomausstieg erkennen: Während die deutschen Konzerne deutschen Gerichten unterliegen, geht Vattenfall über ein Schiedsgericht der Weltbank in Washington gegen die Bundesrepublik vor.
Im Bereich der Bildung sind heute schon zahlreiche Einrichtungen in private Trägerschaft überführt. Zumeist handelt es sich dabei um kirchliche Träger, die als sogenannte Tendenzbetriebe besondere Zuwendungen des Gesetzgebers genießen. Derzeit kann nur spekuliert werden, ob die ökonomischen Vorteile der Tendenzbetriebe auch internationalen Investoren im deutschen Bildungsbetrieb geboten werden müssen. Dass die Privatisierung des Schulwesens nicht immer von Erfolg geprägt ist, zeigt sich in Europa am Beispiel Schweden.
Auch im Bereich des Gesundheitswesens muss damit gerechnet werden, dass verstärkt private Unternehmen zum Zuge kommen. Da es Investoren erlaubt werden soll, ihre Dienstleistungen in jedem Vertragsstaat mit eigenem Personal zu erbringen, das dann auch den Vorschriften des Herkunftslandes unterliegt, wird der Wettbewerb in verstärktem Umfang auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen. Und was spricht dagegen, dass auch das gesamte Rettungswesen einschließlich der Feuerwehr für den privatwirtschaftlichen Wettbewerb geöffnet wird.
Mit TISA steht jedoch auch das Banken-System in Deutschland wieder einmal zur Disposition. Hier sind es in erster Linie die Volks- und Raiffeisenbanken sowie die Sparkassen, die in ihrer derzeitigen Form nicht so recht ins Beuteschema der internationalen Finanzkonzerne passen wollen. Beide Bankengruppen vertrauen derzeit darauf, dass etwa eine Feststellung der EU-Kommission, dass öffentliche Dienstleistungen nicht zwangsweise liberalisiert oder privatisiert werden dürfen, auch für die Geheimverhandlungen im Rahmen von TTIP in TISA Gültigkeit behält.
Ob sich kleinere Sparkassen nach Abschluss von TISA noch behaupten können, darf allerdings bezweifelt werden. Im globalen Markt tun sich diese vorwiegend lokal verwurzelten Unternehmen schon heute schwer und schrecken ihre Kunden mit Gebührenideen, die kaum nachzuvollziehen sind. So schwanken manche Gebühren für die gleiche Leistung um den Faktor 30. Viel Unterstützung gegen die Vorgaben, die den Sparkassen im Zusammenhang TISA bevorstehen, dürfen diese Institute wohl kaum erwarten. Für den Bankkunden wiederum dürfte es mit TISA schwerer werden, zu erfahren, ob seine Bank einer heimischen Regulierung unterliegt, was mit seinem Geld geschieht und ob sein Darlehen nicht jederzeit weiterverkauft und gekündigt werden darf.
Falls die Ergebnisse der TISA-Verhandlungen, wie derzeit kolportiert wird, wirklich erst fünf Jahre nach Abschluss des Vertrages veröffentlicht werden, würden sich die Rahmenbedingungen für das Zusammenleben hierzulande gründlich zu einem weitgehend unregulierten Markt hin verändern, ohne dass der Wähler dies demokratisch kontrollieren könnte.
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