TTP, al-Qaida oder alles ISI in Pakistan?

Nur eines lässt sich über den Anschlag auf die Marinebasis Mehran mit Gewissheit sagen: Die Sorgen über die Sicherheit der pakistanischen Nuklearwaffen sind größer geworden

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Der Kampf mit den Angreifern auf der Marinebasis in Karatschi sei beendet, verkündeten pakistanische Vertreter gegen Mittag europäischer Zeit. Das zentrale Gebäude des Marinefliegerstützpunkts, PNS Mehran, sei befreit, die Kontrolle über die Anlage wiedererlangt. Da sie von einigem Umfang sei, würden Soldaten Gelände und Gebäude weiter durchsuchen, aber ganz offensichtlich gebe es "keinen militanten Widerstand mehr", präzisierte ein Armeesprecher. Freilich fangen die Fragen erst an.

Es sind keine neuen, sondern die üblichen Fragen nach der Sicherheit des Landes, das Atomwafffen besitzt und dessen Situation immer wieder mit der eines "Failed State" beschrieben wird. Mehr als 15 Stunden benötigten die pakistanischen Sicherheitskräfte, um die Situation auf der Militärbasis soweit unter Kontrolle zu bringen, dass offiziell Entwarnung gemeldet werden konnte. Wie konnte das auf einer Militärbasis passieren, wo sich die Marine doch in einem Alarmzustand befand?, so die Frage in einem al-Jazeera-Bericht: Wie konnten mehr als 20 gut bewaffnete Angreifer überhaupt in die bewachte Anlage hineingelangen?

The attack began at about 10.30pm on Sunday night when the militants, carrying guns, rocket-propelled grenades and hand grenades, stormed the base. They blew up guard rooms before heading for a hanger, where they targeted P-3 Orion aircraft with rockets, recently supplied by the US to Pakistan, on which some American officials were working.

Asia Times

Sorgsam gezirkelte Antworten, die die Verwundbarkeit pakistanischer Militärzentren (2009: Armee-Hauptquartier von Guerillas befreit) und vielleicht auch die Präsenz amerikanischer Militärhelfer auf pakistanischem Boden, so gut es geht, zu kaschieren versuchen, werden in den nächsten Stunden und Tagen erwartet. Man kann allerdings davon ausgehen, dass sie die Öffentlichkeit nicht beruhigen werden. Spätestens seit der gezielten Tötung Bin Ladens in Abbottabad gibt eine größere internationale Öffentlichkeit acht auf das, was in Pakistan passiert.

In keinem Bericht über den Angriff auf den Marinefliegerstützpunkt fehlt der Hinweis darauf, dass der internationale Flughafen von Karatschi gerade mal etwa zehn Kilometer von der schwerbewachten Marinebasis entfernt ist und, beängstigender noch, dass der Luftwaffenstützpunkt Masroor Air Base sich in nur 24 Kilometer Entfernung befindet: Dort soll angeblich eine größere Menge Nuklearwaffen gelagert sein.

So hat die Kernbotschaft der Terroristen - "Wir können überall angreifen" - großes Publikum und die derzeit lauteste Terrorbühne der Welt. Die pakistanischen Taliban (TTP), die sich nach Medienangaben zum Anschlag bekannt haben - angeblich aus Rache für den Tod Bin Ladens - tun dies zu einem Zeitpunkt, als erneut Gerüchte über ihre Auflösung kursierten. Immer wieder wird behauptet, dass die ziemlich lose Vereinigung mehrerer Gruppierungen namens TTP vor dem Aus stünde, auch vergangene Woche waren solche Meldungen im Umlauf.

Jetzt, zum Anschlag auf die Marinebasis, der mindestens 12 Menschen das Leben gekostet hat, ließen sie über Nachrichtenagenturen mitteilen, dies sei der Beweis dafür, dass man noch immer einig und mächtig sei:

It was the revenge of martyrdom of Osama Bin Laden. It was the proof that we are still united and powerful.

Zugleich widersprachen sie Gerüchten, wonach der berühmte Talibanführer Mullah Omar getötet worden sei, wie in manchen Nachrichten gemeldet worden war. Die pakistanische Zeitung "The Dawn" meldete, dass in der Hauptstadt Islamabad ein Mitglied der TTP mit mehreren Kilo Sprengstoff verhaftet wurde, ein Indiz für einen weiteren Anschlag, der in der Hauptstadt geplant war?

Andere Hintergründe

Doch gleicht Pakistan, besonders wenn es um Terroranschläge geht - wo ja ohnehin jedes Mal auch die Verwicklung des Geheimdienstes ISI mitgedacht werden muss - einer Bühne, wo vom Schnürboden aus ständig neue Hintergrundbilder auf die Bühne gesenkt werden.

So präsentiert Syed Saleem Shahzad, Pakistan-Büro-Chef der Asia Times, Informationen, wonach der Anschlag auf die Marinebasis in Mehran von al-Qaida konzipiert und orchestriert sei und ausgeführt von der "313 Brigade", dem operativen Arm al-Qaidas "unter Führung von Ilyas Kashmiri". Die Aktion markiere zugleich den Beginn eines "internen ideologischen Kampfes" ausgetragen zwischen islamistischen Elementen in der pakistanischen Armee und Führungsmitgliedern der Armee, die eher säkular und liberal denken - und den Amerikanern nahe stünden.

Wie aus dem Bericht Shahzads, der sich dabei wie schon des öfteren auf nicht nachweisbare exklusive Kontakte stützt, hervorgeht, stützen "Insiderinformationen" die Annahme, wonach es zwischen Militanten aus den Grenzgebieten, z.B. Südwaziristan, und pakistanische Marineeinheiten, enge Verbindungen gibt, was auch die Ortskenntnis der Angreifer der Basis in Mehran erklären könnte. Dazu zitiert der Artikel einen anonymen Anrufer, der von einem Konflikt zwischen Gruppen innerhalb der pakistanischen Armee spricht und weitere Anschläge ankündigt:

We don't want any trouble inside Pakistan or in the Pakistan army, but we do want to create an environment in which it would be conducive for pro-Islam and patriotic elements in the armed forces to dislodge incompetent and pro-American military officials.

Der Kampf gegen den Terrorismus in Pakistan wird entschieden weitergeführt, sagte Premierminister Gilani heute. Man darf sich auf weitere Verwicklungen gefasst machen.