Taliban: Die Entstehung einer sozialen Bewegung

Seite 2: Ethnische und muslimische Gefolgschaft der Taliban

Nach den Medressen-Studenten traten neben paschtunischen Khalq-Kommunisten frühere Mudschaheddin den Taliban bei, vor allem aus der konservativen Partei Harakat-e Inqelab (Bewegung der islamischen Revolution), den Taliban bei.

Die Partei war ein Sammelbecken lokaler tribaler Fronten, deren Anführer oft der Ulama (Religionsgelehrte) angehörten. Ihre paschtunische Gefolgschaft stand der Idee einer Partei als solcher grundsätzlich reserviert gegenüber und die Harakat-e Inqelab, die Organisation mit einem Minimum an Kontrolle, korrespondierte am ehesten mit dem "Föderalismus" der Stämme.17

Die Taliban verweigerten stets Allianzen mit anderen Gruppen und insistierten, dass jeder, der der Bewegung beitreten wolle, dies als "guter Muslim" tun und jegliche Gruppenzugehörigkeit ablegen müsse.

Bis zur Einnahme Kabuls im Oktober 1996 und dem Sieg über die Streitkräfte Ahmad Shah Masuds, die bis dahin erbitterten Widerstand geleistet hatten, hatten die Taliban eine ethnische Rhetorik sorgfältig vermieden.

Die Hazara und Tadschiken im Norden genossen einen praktisch semiautonomen Status. Dennoch sahen sie in den Taliban den Versuch, paschtunische Politik auf ihre Kosten zu machen.

Verglichen mit der Situation 1992, als es keine Gruppe gab, die die paschtunische Bevölkerung repräsentieren konnte, war 1997 das Potenzial für die Entwicklung eines ethnischen Konflikts zwischen Paschtunen und Nicht-Paschtunen eindeutig gewachsen.18

Nach mehreren grausamen Massakern nahmen die Taliban 1998 Masar-i-Scharif und Bamiyan ein.19 Damit trieben sie entgegen ihrer offiziellen Doktrin, ethnische Grenzen zu überwinden und eine Gemeinde gleichberechtigter Muslime zu schaffen, die ethnische und konfessionelle Teilung, die Afghanistan in den vergangenen Jahren immer deutlicher gespalten hatte, nur noch voran.

Geschlechter- und Kulturpolitik

Auch nach der Machtübernahme in Kabul blieben programmatische Erklärungen spärlich und selten. Die einzigen konkret ausformulierten und zugleich kontroversesten Politikfelder ihrer Herrschaft waren die Bereiche der Geschlechter- und Kulturpolitik.

Als effektives Regierungsinstrument wurde zur Implementierung ihrer Politik die "Abteilung für die Pflege der guten Sitten und Verhütung von Laster" eingesetzt, die von der Bevölkerung einfach "Religionspolizei" genannt wurde.20

Die extrem restriktive Innenpolitik, die die Taliban einführten, begründeten sie auf der islamischen Scharia wie auch mit "afghanischer Tradition".21

Unter anderem wurden ein Schul- und Berufsverbot für Mädchen und Frauen, Kleidervorschriften und Verbote von Musik, Festivitäten, Spiel und Fernsehen eingeführt.

Es gab keine Agenda für klassische Bereiche der Sozial- und Wirtschaftspolitik wie Gesundheitswesen, Infrastruktur oder Bildung, was teilweise daran lag, dass die Taliban keine andere Politik machen konnten - schwache Administration, ein zu schmales Budget, keine Industrie und Single-crop-Landwirtschaft erschwerten es ihnen, substanziellen Wiederaufbau zu leisten.

In diesen Politikfeldern verließen sie sich auf die Unterstützung der wenigen verbliebenen Hilfsorganisationen. Während Nichtregierungsorganisationen in Kabul Menschenrechtsverletzungen und die Missachtung von Frauen anprangerten, lobten internationale Hilfsorganisationen im Hinterland die gute Sicherheitslage und äußerten Anerkennung für das Entgegenkommen der Taliban bei Hilfsmaßnahmen und deren zurückhaltenden und flexiblen Administrationsstil.22

Die einzige Politik, die die Taliban implementieren konnten, war daher die Regulierung von Verbrechen (und dem Verhalten, das sie dafür hielten) sodass die Performanz symbolischer Handlungen vonnöten war, um ihre islamische Identität zu untermauern.

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