Tarifabschluss Metall und Elektro: Was Arbeiter die "Zukunft'' kostet

Seite 2: Ohne Profit keine Beschäftigung? Also den Profit sichern!

Auf dieses, vorsichtig formuliert, ungünstige Verhältnis lassen die Gewerkschaften allerdings nichts kommen. Im Gegenteil. Aus der fatalen Abhängigkeit ihrer Klientel, von Unternehmen beschäftigt werden zu müssen, um ihre Existenz zu bestreiten, ziehen die Vertreter der Arbeitnehmerinteressen den Schluss: Dann muss alles dafür getan werden, dass das auch stattfindet und in ausreichendem Maße, Stichwort Vollbeschäftigung.

So gesellt sich zur Lohnfrage die Sorge um das Wohlergehen der Betriebe. Ist ja logisch – wenn die keinen Profit machen, gibt es auch keine Arbeit! Darin steckt der Kern der "Zukunfts-Tarifverträge": Wie können sie dazu beitragen, dass weiter "unsere" Unternehmen konkurrenzfähig bleiben und deshalb Arbeitsplätze anbieten können?

Von dieser Sorte Tarifverträge hat beispielsweise die IG Metall in den letzten Jahren einige abgeschlossen, unter anderem bei Opel, Airbus und, ganz aktuell, beim Maschinenbauer Heller.

Das geht dann meist so: Das Unternehmen droht mit Personalabbau, die Gewerkschaft ist "alarmiert". Wenn es aus Sicht der Arbeitnehmervertreter gut läuft, werden am Ende weniger Leute entlassen als angekündigt und Investitionen in den Standort versprochen.

Dafür verzichtet die verbleibende Belegschaft auf Teile des Lohns, arbeitet flexibler, länger und intensiver. So wird dann der Betrieb wieder ausreichend "fit" gemacht für das Bestehen in der Konkurrenz – mit den anderen Betrieben, die ihrerseits auch Arbeitsplätze bereitstellen sollen und deshalb "fit" gemacht werden müssten. Also sind die weiteren "Zukunftstarifverträge" programmiert.

Die Manager sehen die Krise nicht? Wir wecken sie rechtzeitig!

Wie nun der Abschluss in der Metall- und Elektroindustrie: "Mehr Geld, Arbeitsplätze und Zukunft gesichert", so überschreibt die IG-Metall das Ergebnis. Es reiht sich damit ein in die bisherigen Zukunftsverträge:

Mit den neuen Rahmenregeln für Zukunftstarifverträge können IG Metall und Betriebsräte erstmals auch die Initiative bei der Gestaltung der Zukunft ergreifen. In Zukunftstarifverträgen handelt die IG Metall Investitionen in den Standort, in zukunftsfähige Produkte und in die Arbeit der Zukunft aus. Bisher jedoch gelang das in der Regel erst dann, wenn der Betrieb bereits in der Krise ist und der Arbeitgeber wegen Personal- und Tarifkürzungen auf Betriebsräte und IG Metall zukommt. Jetzt jedoch können IG Metall und Betriebsräte bereits vor einer Krise eingreifen und den Arbeitgeber zu Verhandlungen über die Zukunft auffordern.

Wie darf man sich das vorstellen? Bisher haben die Manager geschlafen, die Krise nicht kommen sehen. Und wenn sie dann da war, sind sie aufgewacht und strichen viel zu viele Jobs. Das wäre doch nicht nötig gewesen! Einfach auf die Gewerkschaft und den Betriebsrat hören.

Denn die wissen am besten, wann und wie der Laden rechtzeitig auf Vordermann gebracht werden muss – mit gesenktem Lohn, mehr Leistung und einigen Arbeitsplätzen weniger. Aber insgesamt nicht so viele, wie die Penner vom Management sich das dachten! So sieht "Zukunft" nach Gewerkschaftsart aus.

Mehr Geld jetzt, äh nein, nächstes Jahr, irgendwie und transformiert

Natürlich war der neue Tarifabschluss das Ergebnis einer entschlossenen Gewerkschaft:

Dass die Tarifverhandlungen in der größten Wirtschaftskrise nach dem Zweiten Weltkrieg hart werden, war klar. Doch der Druck der Warnstreiks hat Wirkung gezeigt. Die Arbeitgeber haben ihre Forderung nach einer Nullrunde ohne Entgelterhöhung im Jahr 2021 ebenso vom Tisch nehmen müssen, wie die automatische Absenkung von Tarifen nach betrieblichen Kennzahlen. Zuvor hatten die Arbeitgeber immer wieder betont, dass es nichts zu verteilen gebe. Erst wenn die Kennzahlen wieder das Niveau von vor der Krise erreichen - frühestens 2022 - sei wieder mehr Geld drin. Nun gibt es doch Geld schon 2021.

Aber irgendwie dann doch nicht, sondern erst nächstes Jahr. Und in seltsamer Form:

500 Euro Corona-Prämie netto gibt es im Juni für die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie, Auszubildende erhalten einmalig 300 Euro. Im Juli erhöhen sich die Entgelte um 2,3 Prozent. Das Geld wird jedoch Monat für Monat angespart und im Februar 2022 in Summe als "Transformationsgeld" in Höhe von 18,4 Prozent des Monatsentgelts ausbezahlt. Der Tarifvertrag läuft bis zum 30. September 2022, dann kann die IG Metall wieder über Entgelterhöhungen verhandeln. Das Transformationsgeld bleibt jedoch dauerhaft als weitere jährliche Sonderzahlung und erhöht sich 2023 auf 12 mal 2,3 Prozent, macht 27,6 Prozent des Monatsentgelts.

Gestiegene Lebenshaltungskosten? Erst "Beschäftigung sichern"!

Der neue Vertrag gilt vom Juni 2021 an, das meiste Geld fließt sogar erst 2022. Die Gewerkschaft rechnet den Beschäftigten eine Gehaltserhöhung von 2,3 Prozent vor - die sie allerdings nicht erhalten. Ausgezahlt werden soll dieses Geld erst im Februar 2022, was dann gleich 18,4 Prozent eines Monatsgehalts ergeben soll. Bis dahin haben die Gewerkschaftsmitglieder beziehungsweise die Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie einen Reallohnverlust hinzunehmen.

Denn 2020 hatte die IG Metall die Tarifrunde wegen der Corona-Pandemie ausfallen lassen. Zwar haben darauf weder die Mieten oder Kosten fürs Wohnen, die Lebensmittelpreise oder Benzinkosten Rücksicht genommen. Aber solche Bedürfnisse der Beschäftigten rangieren für die Gewerkschaft hinter der „Zukunftssicherung“, was sie als „Beschäftigungssicherung“ begreift. Sie rechnet die „Leistung“ der Unternehmen, die Arbeiter zu beschäftigen, gegen den Lohn. Es leuchtet ihr ein, dass ihre Leute billiger werden müssen. Sonst lohnt sich das für den Betrieb nicht. Und weil eine IG Metall diesen brutalen Zusammenhang akzeptiert, gibt sie dem Kapital ein wirkungsvolles Erpressungsmittel in die Hand.

Unternehmerische Freiheit: Arbeitszeiten bestimmen je nach Auftragslage

Die merkwürdig verschleppte und zusammengerechnete Tariferhöhung nennt sich „Transformationsgeld“. Die verwirrenden Details ersparen wir uns, nur so viel: Das Geld „können Betriebe je nach wirtschaftlicher Lage einsetzen. Betriebe, denen es gut geht, zahlen das Geld an die Beschäftigten aus. Betriebe, denen es schlecht geht, wandeln das Geld in mehr Freizeit für die Beschäftigten um, verkürzen dadurch die Arbeitszeit und sichern damit Arbeitsplätze.“ (IG Metall,,,ebenda) Natürlich arbeiten die Leute nicht bei gleichem Lohn weniger. Das ist generell den Arbeitgebern nicht zuzumuten, schon gar nicht jenen unter ihnen, die wirtschaftliche Probleme haben oder bekommen könnten.

Daher gibt es ein kompliziertes Regularium von „Teilentgeltausgleichen“. Diese bestimmen die tatsächliche Absenkung des Lohns je nach Arbeitszeitverkürzung. Die IG Metall beschreibt das an einem Beispiel so: „Zusammen mit dem auf die Monatsentgelte umgelegten Transformationsgeld und weiteren Tarifelementen können Betriebe nun die Arbeit um drei Stunden in der Woche auf eine 4-Tage-Woche verkürzen, wobei etwa bei einer Absenkung von 35 auf 32 Stunden gut 34 Stunden bezahlt werden.“

Das klingt zwar verdächtig nach einer geschönten Rechnung, aber einmal ernst genommen: Die Firma kann je nach Auslastung der Produktion die Arbeitszeit verkürzen. Ihre Kosten reduzieren sich entsprechend. Denn die – ohnehin geringe, siehe oben – Tariferhöhung geht in den „Teilentgeltausgleich“ ein. Für den Unternehmer ist die – ohnehin nicht vollständige – Kompensation für den Lohnausfall wegen der Verkürzung damit kostenneutral. Für den Arbeitnehmer sieht die Sache indes anders aus. Von der Tariferhöhung sieht er nichts. Er bekommt sogar weniger Geld. Dafür aber gilt seine Beschäftigung als „gesichert“ - für drei Jahre, so steht es im neuen Tarifvertrag.

Bezahlen, um beschäftigt zu werden

Was man von dieser "Sicherheit" zu halten hat, ist kein Rätsel. Die Arbeitgeber jedenfalls fühlen sich nicht sonderlich an etwas gebunden:

Nach Worten des NRW-Metallarbeitgeberpräsidenten zeigten die getroffenen Vereinbarungen alle Elemente eines echten Kompromisses. Die Arbeitgeber hätten ihre wichtigsten Ziele durchsetzen können: Einen langfristigen und damit Planungssicherheit schaffenden Tarifvertrag, automatische Kostenentlastungen für krisenbelastete Betriebe als tarifpolitische Antwort auf die heterogene wirtschaftliche Lage in der M+E-Industrie, einfach umsetzbare betriebliche Wahloptionen zur Beschäftigungssicherung sowie die Beibehaltung der unternehmerischen Freiheit bei betrieblichen Transformationsprozessen.

Metall NRW, 30.03.2021

Ein "Kompromiss" ganz nach dem Geschmack der Unternehmen - die wichtigsten Ziele durchgesetzt! So sieht die "Zukunft" für die Arbeiter aus: auf Gedeih und Verderb abhängig vom Wohl und Wehe der Firma. Das war zwar schon immer so im Kapitalismus. Neu jedoch: Inzwischen müssen sie dafür bezahlen, beschäftigt zu werden.

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