Technologie in unseren Schulen schadet mehr, als sie nützt

Seite 2: "Wer Bildungsprozesse ermöglichen will, verzichtet möglichst lange auf Bildschirmmedien"

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Der Untertitel Ihres neuen Buches "Kein Mensch lernt digital", das im November erscheinen soll, lautet: "Über den sinnvollen Einsatz neuer Medien im Unterricht". Sprich, ist es nicht ein Unterschied, ob ich nur ein digitales Smartboard in der Klasse stehen habe oder gleich die ganze digitale Bandbreite mit Smartboard und Tablet für jedes Kind in jeder Schulstunde?

Ralf Lankau: Man muss differenzieren, aber auch Dinge zu Ende denken. Smartboards sind der Türöffner für Digitaltechnik. Dazu kommen dann der Beamer und kurz darauf das Tablet. Entscheidend ist der psychologische Effekte für Lehrkräfte und Schüler/innen. Nicht mehr das Unterrichtsgespräch, der Dialog, steht im Mittelpunkt, sondern ein Gerät. Unterricht heißt hier, der Lehrer oder die Lehrerin macht als erstes den Rechner an und holt Material aus dem Netz. Das können dann die Kinder auch selbst, zumal eine Software berechnet, wer gerade was lernen soll. Der Knackpunkt ist, dass hier eine Medientechnik in den Mittelpunkt rückt, die für das Unterrichten gar nicht notwendig ist.

In Bezug auf das Smartboard wird aber mitunter vorgebracht, dass hier die Stifthaltung die gleiche sei wie bei der Kreidetafel.

Ralf Lankau: Wer das behauptet, hat weder an der Kreidetafel noch am Smartboard gearbeitet. In der Tat ist der Unterschied in etwa so groß wie beim Entwerfen auf Papier oder dem Arbeiten an einer Glasscheibe, also einem Touchscreen. Werkzeug und Material haben immer Auswirkung auf den Gestaltungsprozess. Zeichnen oder Schreiben am Smartboard hat einen anderen sinnlichen Charakter. Die Schrift und ihr Charakter ändern sich. Das kennt jeder ausprobieren, der mit Bleistift, Füllfederhalter oder Pinsel schreibt oder zeichnet. Der Strich ändert sich und damit eine wesentliche Dimension des Ausdrucks. Das Gleiche gilt für das Zeichnen und Malen. Werkzeug und Material haben eigen Qualitäten. Das gilt auch für das Arbeiten an Boards und Touchscreens.

Wann wäre der Einsatz von digitalen Medien dann aus Ihrer Sicht sinnvoll?

Ralf Lankau: Der größte Nonsens der Digitalstrategie der Kultusminister ist zu propagieren, Digitaltechnik sollte unterschiedslos in allen Schulformen, allen Altersstufen, allen Fächer zum Einsatz kommen. Wir müssen stattdessen differenzieren und genau unterscheiden, über welche Schulform wir gerade reden, wie alt die Schülerinnen oder Schüler sind, welches Fach unterrichtet wird - und auch von wem. Grundsätzlich kann gesagt werden: Wer Bildungsprozesse ermöglichen will, verzichtet möglichst lange und vor allem in der Grundschule auf Bildschirmmedien.

Wie kann das "analoge" Unterrichten dazu beitragen, diese Bildungsprozesse bestmöglich zu gestalten?

Ralf Lankau: Mathematik- und Musikunterricht zum Beispiel sollten ausgebaut werden. Dort lernen Kinder mit logischen, abstrakten Systemen zu arbeiten und zu denken. Um es pointiert zu formulieren: Wer mathematisch denken lernt, findet sich in jedem technischen System zurecht - und kann bei Bedarf und Interesse auch programmieren lernen. Wer hingegen gleich Programmieren lernt - bei Kindern heißt das: fertige Bausteine am Rechner zusammenschieben -, kann später bestenfalls programmieren - oder auch da nur fertige Bausteine am Rechner zusammen schieben, weil es mit Bibliotheken und Templates immer mehr "Fertigbauteile" gibt. Das schließt nicht aus, in speziellen Fächern wie Informatik Computer ganz gezielt einzusetzen. Im Übrigen ist eine Forderung unserer Petition, dass die einzelne Lehrkraft entscheidet, mit welchen Medien sie unterrichtet. Nur dann ist es authentisch.

Wie sieht ein spannender Unterricht aus, der praktisch gar nicht den Wunsch aufkommen lassen würde, Digitaltechnik dazuzuholen?

Ralf Lankau: Von Haus aus bin ich Kunstpädagoge, da ist es erfahrungsgemäß einfacher. Wenn man mit echtem Material, mit Farben und Stoffen, arbeitet, ein Thema bespricht, eine Geschichte erzählt, ist alles Digitale schnell flach und langweilig. Das gleiche gilt für Werken und Musizieren. Den Kindern fehlt im Unterricht nicht nur Bewegung, sondern oft auch das manuelle Arbeiten und die Sinnlichkeit. Das heißt, dass man auch im Mathe- oder sogar IT-Unterricht mit sinnlichen und haptischen Objekten arbeitet.

Für den IT-Unterricht kann man sich bei dem Projekt "Computer Science Unplugged" von Tim Bell, einem Informatikprofessor aus Neuseeland, Inspirationen holen. Dabei geht es um IT-Unterricht ohne Bildschirm. Ziel ist es, das Verständnis für diese heute so dominante Technik zu vermitteln, ohne dass Kinder am Bildschirm sitzen müssen. Ähnliches gilt für andere Fächer, nicht nur in der Grundschule. Dabei kann man etwa auch die Handschrift wieder zum Thema machen oder das Entwerfen von Geschichten in Form eines Storyboard, also eines gezeichneten Drehbuchs. Wenn ich begeistern kann und das Manuelle Arbeiten anbiete, ziehen nicht nur Grundschulkinder mit. Entscheidend ist aber immer die mentale Präsenz der Lehrkraft, das Fachwissen und die Zugewandheit. Kinder merken, ob man ihnen etwas beibringen will.