Technologie in unseren Schulen schadet mehr, als sie nützt

Seite 3: "Die intensive Nutzung digitaler Endgeräte verstärkt die digitale Spaltung"

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In den Anfangszeiten des Netzes wurde aber viel vor dem "digital divide" gewarnt, also davor, dass Kinder aus bildungsfernen Familien abfallen könnten gegenüber sozial besser gestellten Kindern, weil sie nicht rechtzeitig an Digitalmedien herangeführt würden. Spricht das nicht für einen breiten Einsatz von Digitaltechnik im Unterricht?

Ralf Lankau: Nein. Im Grunde ist es sogar so, dass die intensive Nutzung digitaler Endgeräte die digitale Spaltung verstärkt. Denn die Verwendung der digitalen Geräte, die Medienbedienkompetenz, ist heutzutage mehr oder weniger selbsterklärend und wäre selbst für kleine Kinder relativ mühelos erlernbar. Entscheidend ist aber "Medienmündigkeit" - ein Begriff, dem Paula Bleckmann, Professorin für Medienpädagogik, besondere Aufmerksamkeit schenkt. Damit ist die Fähigkeit gemeint, Medien gezielt nach und nach für eigene Interessen einzusetzen.

Der "digital divide" wird sich also fortan nicht in einer Trennung von smarten Nutzern und dummen Nichtnutzern zeigen, sondern in einer Spaltung zwischen denjenigen, die als Datensklaven an ihren Endgeräten hängen, und denen, deren Eltern die Nutzung der Endgeräte auf verantwortungsvolle Art limitieren und reglementieren und dafür sorgen dass "analoges Programm" mit Vorlesen von Büchern, Verabredungen, freiem Spiel oder sportlicher Betätigung im Zentrum steht.

Wie werden die Menschen zu Datensklaven?

Der Politikwissenschaftler Andre Wilkens schreibt in seinem Buch "Analog ist das neue Bio", dass die Großmeister im Silicon Valley schon längst um diesen neuen "digital divide" wüssten, weshalb sie ihre Kinder auf analoge Schulen ohne Digitaltechnik wie Smartboards und Laptops schicken. Trifft das wirklich auf den Großteil der Manager von Google & Co zu?

Ralf Lankau: Es trifft zumindest für die Manager zu, die darüber sprechen. Steve Jobs etwa hat seinen Kindern Smartphones und Tablets verboten. Das sei Unterhaltungselektronik für Erwachsene und Zeitverschwendung. Bill und Melinda Gates reglementieren die Nutzung ihrer schon älteren Kinder zeitlich und inhaltlich. Ein Smartphone gibt es zum Beispiel erst mit 14 Jahren und auch nur mit festen Regeln über Nutzungsinhalte und -dauer - also kein Gerät beim Essen und im eigenen Zimmer, und nachts sind die Geräte ausgeschaltet. In der Tat ist es so, dass viele Eltern, die in Tech-Firmen arbeiten, dafür sorgen, dass die eigenen Kinder in der Kita und zumindest in der Primary School, also in der Grundschule, nicht schon am Bildschirm sitzen müssen.

Wie werden die Menschen - die User - durch Digitaltechnik autoritätsgläubig und unmündig und letztlich zu den von Ihnen erwähnten "Datensklaven"?

Ralf Lankau: Was hier abläuft, ist so genanntes Nudging, also die fürsorgliche Bevormundung und Entmündigung durch unablässige Gängelung per App und Web. Das Smartphone weiß, wo es den besten Kaffee gibt, wen ich anrufen sollte - und wen nicht -, es erinnert an Geburtstage usw. Apps werden zu "unverzichtbaren" Helferlein und steuern uns, das zu tun, was den Monopolen nutzt. Facebook beeinflusst, was wir im Newsfeed sehen und manipuliert versuchsweise unsere Stimmung. Google hat gerade eine Strafe von 2,42 Mrd. € von der EU bekommen, weil die "Such-"Maschine vor allem Google-Produkte angezeigt hat usw. Das System ist einfach: Hilfsdienste, die uns so lange helfen, bis wir es nicht mehr alleine können, etwa Straßenkarten lesen, wenn das Navi ausfällt, als schrittweise Entmündigung durch Bequemlichkeit. Wenn Erwachsene das mit sich machen lassen, so ist dies schlimm genug. Denn Demokratie und Sozialgemeinschaften funktionieren nur mit selbständig denkenden und agierenden Individuen. In der Schule aber werden bereits Kinder durch Software regelrecht systematisch zur Abhängigkeit und Hörigkeit erzogen.

Wie kann so etwas in der Praxis konkret ablaufen?

Ralf Lankau: Zum Beispiel so, wie es der Kulturwissenschaftler Fritz Breithaupt mit seiner "Talking Method" beschreibt. Dabei werden bereits Fünfjährige alleine an einen Rechner gesetzt, was dann mit Kamera und Mikrofon aufgezeichnet wird. Ein Algorithmus verarbeitet nicht nur die Eingaben, sondern bewertet auch emotionale Gesichtsausdrücke oder die Körperhaltung usw. Eine synthetische Computerstimme "spricht" dann mit dem Kind, gibt Anweisungen, tröstet etc. Das Ziel ist, Kinder möglichst früh an das isolierte Arbeiten am Bildschirm zu gewöhnen. Sozial isolierte Menschen sind besonders einfach zu manipulieren und zu steuern. Im Endergebnis richtet man Kinder ab, das zu tun, was eine Computerstimme ihnen sagt.

Welche Abläufe im Gehirn gerade auch von Kindern sind es, die bei der (intensiven) Nutzung von Tablets oder Smartphones das Potenzial bergen, eine Sucht hervorzurufen bzw. zu steigern?

Ralf Lankau: Wenn ich es vereinfacht ausdrücken darf: Wir haben ein körpereigenes Belohnungssystem, das bei positiven Erlebnissen körpereigene Hormone wie Dopamin ausschüttet. Lernprogramme und Computerspiele sind so programmiert, dass wir auf diese kurzfristige Belohnung hinarbeiten, kleine Rückmeldungen bekommen, Bestätigungen und Feedback. Das freut uns, das bekommen wir in kurzen Abständen. Ziel der Programme und Spiele ist es, uns möglichst lange am Bildschirm zu fesseln und dabei Benutzerdaten aufzuzeichnen. Ob wir dabei tatsächlich etwas lernen oder nur Zeit verplempern, ist völlig egal.

Die Methoden sind bei Spielen, Lernprogrammen und im Consumerweb identisch. Der Begriff dafür ist "User Experience Design". Und die Frage lautet: Wie müssen Oberflächen und Anwendungen gestaltet sein, damit sie uns möglichst lange online halten? Die Theorien und Modelle dafür kommen aus der Werbepsychologie und der Verhaltensforschung. Ziel ist immer, das wir tun, was dem Anbieter von Diensten oder Medien am meisten nutzt.

Wie können Eltern hier am besten vorsorgen?

Ralf Lankau: Dazu muss man wissen, dass die Mediennutzung von Kindern primär von den Eltern und dem engen Familienkreis geprägt wird. Das hat auch die Studie "BLIKK-Medien 2017" gezeigt, die kürzlich von der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Marlene Mortler (CSU), vorgestellt wurde.

Kinder machen schlicht nach, was ihre Eltern ihnen vormachen. Das gilt erfreulicherweise nicht nur für digitale Geräte, sondern etwa auch für Bücher. Wenn Eltern regelmäßig selbst Zeitung und Bücher lesen und vor allem ihren Kindern vorlesen, ist das der Grundstein für das eigene "Lesen wollen". Wenn die Eltern hingegen selbst vor allem Fernsehen und/oder an ihren Smartphones hängen, halten Kinder das für "normal" und übernehmen dieses Verhalten. Erleben Kinder dann noch, dass diese Geräte offenbar wichtiger sind als sie selbst, weil sich Eltern mehr mit ihren Smartphones beschäftigen als mit ihnen, ist der Weg in die eigene Fehlnutzung und Abhängigkeit abzusehen. Konkret wissen wir: Je gebildeter Eltern sind - was oft mit einer sozial höheren Stellung einhergeht -, desto später erlauben Sie in der Regel ihren Kindern die Nutzung digitaler Geräte, und das in der Regel nur unter Aufsicht und begleitet.