Technologie in unseren Schulen schadet mehr, als sie nützt

Seite 4: "Skandalöse Geldverschwendung"

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In den USA soll die Digitaltechnik in Schulen sogar seit einiger Zeit wieder auf dem Rückzug sein.

Ralf Lankau: Ja, die Laptopklassen in den USA und übrigens auch in Australien werden wieder aufgelöst, obwohl dafür Milliarden Dollar ausgegeben wurden. Bereits 2007 wurde darüber berichtet, dass US-Schulen die Laptops wieder abgeschafft haben, nachdem man feststellen musste, dass sie oft ablenkten und didaktisch keinen Nutzen hatten.

Drei Jahre später berichtete zum Beispiel auch die SZ über den "Laptop-Flop" an so mancher US-Schule. Und vergangenes Jahr sammelte John Vallance, Direktor einer der teuersten Privatschulen Australiens, die Laptops an seiner Einrichtung wieder ein. Seiner Auffassung nach seien die 2,4 Mrd. Dollar, die der Staat für die Bestückung von Schulen mit den digitalen Geräten ausgegeben hatte, eine "skandalöse Geldverschwendung", nicht zuletzt weil die Schüler/innen alles Mögliche mit den Laptops gemacht hätten - nur nicht gelernt. Die Kinder überlisten die Internetsperren und spielen Computerspiele im Netz oder vertrödeln ihre Zeit mit YouTube-Videos. Darunter leiden sowohl die Schulleistung als auch die Sozialkontakte.

"Persönlichkeit und kritisches Denken brauchen immer ein konkretes Gegenüber"

Selbst Leute wie Christian Füller, immerhin Chefredakteur der Wochenzeitung Freitag mit linksliberalem Selbstverständnis, halten "die Digitalisierung der Pädagogik" für überfällig, denn sie ermögliche es, "das kritische Denken der Schüler, das Zusammenarbeiten, die Kommunikation und Kreativität [zu] fördern". Laut Füller werde beim Lernen mit digitalen Geräten "aus dem tiefen Verstehen und der Persönlichkeitsbildung eines Wilhelm von Humboldt copy, paste, remix und share."

Ralf Lankau: Was so alles publiziert wird… Das sind im Wortsinn sinnfreie Vokabeln, die ein vermeintlich modernes Verständnis von Pädagogik nur behaupten, aber nie einlösen können. Der Pädagoge - von griechisch paidagogós - ist vom Wort her "der Führer der Jugend". Diese Begrifflichkeit mag im Deutschen historisch negativ besetzt sein, das Wort "Führung" hoffentlich nicht. Denn Eltern und Lehrkräfte haben Führungsaufgaben und Verantwortung.

Pädagogen zeigen seit der Akademie von Sokrates und seiner "Hebammenkunst des Lernens durch Fragen" der Jugend den Weg in die Welt, und zwar durch das Gespräch und den Dialog. Nur dieser Dialog, sprich die Reflexion über das Gelernte, das Formulieren und Argumentieren in eigenen Worten, führt zum Verständnis einer Sache oder eines Sachverhalts und damit auch zum kritischen Denken. Persönlichkeit und kritisches Denken brauchen immer ein konkretes Gegenüber. Copy und Paste, Remix und Share sind oberflächliche Methoden mit austauschbaren, unwichtigen Inhalten. Es gibt viel Unsinn zum "digitalen Lernen", weil nicht verstanden wird, was der eigentliche Bildungsprozess ist. Er beginnt, wo angelerntes Faktenwissen endet und eigene Verknüpfungen aufgebaut werden.

Füller verweist auf eine Schule in Finnland, in der es seit einigen Jahren "Tablet-Computer gibt, die sich quer durch alle Fächer ausgebreitet haben". Laut deren Schulleiterin würden die tragbaren Geräte "den Schülern mehr Freude am Lernen" bereiten. Auch würde "das Lernen kooperativer, und mit Tablets teilen die Schüler ihr Wissen besser miteinander". Sogar "die Sportlehrerin nutzt ein Tablet als Filmkamera, um Schülerinnen ihre Übungen auf dem Schwebebalken vorzuspielen. Oder in Erdkunde setzen die Schüler die Geräte bei der Exkursion in die Eiszeit als Kamera, Tonbandgerät und E-Book-Generator ein." Macht dies nicht die Vorteile von Unterricht mit Digitaltechnik sichtbar?

Ralf Lankau: Nein, wieso? Dazu müsste man als erstes Kontrollklassen einrichten, in denen "rein analog" unterrichtet wird. Das wird aber nicht gemacht. Und letztlich wird zwar immer das gleiche behauptet, nämlich dass Digitaltechnik mehr Spaß, mehr Kommunikation und bessere Lernerfolge bringt - doch belegt ist davon wissenschaftlich nichts.

Im Übrigen erschöpft sich der "Spaß" beim Umgang mit digitalen Geräten schnell, wenn die Schüler/innen in jeder Unterrichtsstunde am Display wischen und tippen. Auch merken Kinder schnell, dass sie im Unterricht zwar medial bespaßt, aber nicht wirklich unterrichtet werden.

Unterricht an Schulen wird ja auch dadurch interessant, dass nicht alle Lehrerinnen und Lehrer den gleichen Unterricht machen und die gleiche (Medien-)Technik einsetzen. Nach den Forderungen der Kultusministerkonferenz zum Digitalpakt Schule sollen aber alle Lehrkräfte für alle Schulen und alle Fächer Digitaltechnik einsetzen müssen. Dabei wird übersehen: Lehrer/innen müssen einfach unterrichten wollen - und dafür brauchen sie Fachwissen und eine für die Lehrpersönlichkeit authentische Methodik, nicht Zwangsdigitalisierung und Zwangsstandardisierung über Fachinhalte hinweg. Unterricht wird fachlich, didaktisch und altersangemessen vorbereitet und gehalten. Medientechnik kommt ganz zum Schluss.