Teilblockade von Kaliningrad: Der Krieg rückt auf Berlin zu

Seite 2: Konflikt um Kaliningrad: Großer Krieg in Europa im Kalkül?

Als sicher kann gelten, dass das Biden-Team und die Nato-Führung in den Wochen nach Kriegsbeginn auf den Geschmack gekommen sind und dass sie inzwischen einen großen Krieg in Europa bewusst ins Kalkül ziehen. Was aus Sicht von Washington nicht einer gewissen Logik entbehrt, ist das ins Auge gefasste Schlachtfeld doch 7.000 Kilometer von Nordamerika entfernt.

Dafür werden strategische Entscheidungen getroffen. Joe Biden, der vor der Wahl zum US-Präsidenten die Regierung in Riad wegen Verletzung der Menschenrechte massiv kritisiert hatte, vollzog, so die britische Financial Times, "eine bemerkenswerte 180-Grad-Wende".5

Er reist im Juli nach Riad. Dort trifft er mit Kronprinz Bin Salman denjenigen, der laut Erkenntnissen der CIA persönlich den Befehl dafür gab, den kritischen Journalisten und Washington-Post-Kolumnisten Jamal Khashoggi in Istanbul zu ermorden und seine Leiche zu zerstückeln.

Wobei die saudische Regierung vor allem für den Krieg im Jemen verantwortlich ist, in dem bislang weit mehr Menschen getötet und deutlich mehr Infrastruktur und Städte zerstört wurden als im Ukraine-Krieg.

Doch es geht den Regierenden in Moskau nicht um "die Befreiung der Ukraine von Nazis" oder den Schutz der russischsprachigen Bevölkerung auf ukrainischem Gebiet. Und es geht der US-Regierung und der Nato-Führung nicht um Menschenrechte oder um die Souveränität der Ukraine.

Auf beiden Seiten geht es ausschließlich um knallharte Geopolitik. Biden wird der Regierung in Riad viel Geld anbieten und noch mehr moderne Waffen liefern, damit diese im Gegenzug den Ölhahn aufdreht. Da bislang die westlichen Sanktionen in Moskau wenig Wirkung zeigen, soll die russische Ökonomie durch sinkende Öl- und Gaspreise ausbluten.

Seit Wochen dreht der Westen heftig an der Eskalationsspirale: So nutzt er demagogisch das Thema drohende Hungersnot im Globalen Süden aufgrund ausbleibender ukrainischer Getreideexporte. Zunächst einmal ist es seltsam, dass man Tag für Tag schwerstes Militärgerät in die Ukraine auf dem Landweg verfrachten kann, dass Getreideexporte jedoch auf demselben Weg unmöglich sein sollen.

Vor allem gibt es auch die Möglichkeit zur Nutzung des Seewegs. Das Getreide könnte – nach Absprachen mit Ankara – aus den ukrainischen Häfen unter dem Schutz türkischer Kriegsschiffe abtransportiert werden, wenn Kiew die Seeminen vor den entsprechenden Häfen räumt.

Der Vorsitzende der Afrikanischen Union, der senegalesische Präsident Macky Sall, begrüßte Anfang Juni diesen Vorschlag ausdrücklich und machte zum Entsetzen des Westens die Regierung Selenskyi für die Blockade der Getreideexporte verantwortlich.

Kiew reagiert wie nach einem Drehbuch, das in Washington geschrieben wird. Die Räumung der Minen wird mit fadenscheiniger Begründung abgelehnt. Stattdessen fordert Selenskyi "moderne Ausrüstung für den Küstenschutz".

Den wiederum – so Seezielflugkörper des Typs Harpoon mit einer Reichweite von knapp 300 Kilometern – liefern prompt Dänemark, Großbritannien und die USA. Die russische Seite dürfte darauf ihrerseits mit noch massiveren Angriffen reagieren, möglicherweise nun auf Odessa.

Seit dem 18. Juni gibt es eine nächste Stufe der Eskalation: Die Regierung in Litauen blockiert den Transit russischer Transporte in die russische Exklave Kaliningrad. Die Begründung der litauischen Regierung, es handle sich dabei lediglich um die Anwendung der im März (!) beschlossen Sanktionen der Europäischen Union, ist hanebüchen.