Telephon für ein Phantom
Die Bush-Mannschaft übt Druck auf Pakistan aus, damit im besten Wahlkampf-Timing die richtigen Schurken gefasst werden
Dieses Phantom hat nur ein Auge und offensichtlich scharfe Ohren: Mullah Muhammed Omar, der ehemalige (?) Taliban-Chef. Wie es sich für das Curriculum eines richtigen HVT (High Value Target) gehört, wurde Omar, ebenso wie seine Phantomkollegen Osama und der Z-Mann (vgl. Der Z-Mann), schon mehrmals für tot erklärt. Neuesten Informationen zufolge ist Omar jetzt jedoch ans (Satelliten-)Telephon gegangen, nur ganz kurz allerdings, um gleich wieder aufzulegen.
Am Dienstag dieser Woche war dem pakistanischen Geheimdienst ein größerer Fisch ins Netz gegangen: Sakhi Dad Mudschahid soll er heißen und in besseren Taliban-Zeiten - von 1996 bis 2001 - war Sakhi Dad, der Gotteskrieger, laut Angaben des Geheimdienstchefs von Kandahar, Abdullah Laghmani, der "persönliche Sekretär" von Mullah Omar. Bei Sakhi Dad wurde ein Satellitentelephon gefunden, darin eingespeichert die Nummer von seinem früheren Boss. Tatsächlich meldete sich bei einem ersten Anruf unter dieser Nummer jemand, der jedoch die Frage: "Assalamu aleikum. Wo bist du?" nicht beantworten wollte und gleich wieder auflegte. Erneute Anrufe hatten keinen Erfolg.
Davon abgesehen, dass nichts - außer der gewählten Nummer - darauf hinweist, dass es tatsächlich Mullah Muhammed Omar war, der sich am anderen Ende der Leitung meldete, lassen verschiedene Versionen der Nachrichtenmeldung auch im Unklaren, wer denn überhaupt mit dem Mullah Omar-Phantom gesprochen hat: Während in der französischen Onlineausgabe des Nouvel Obsérvateur der Kandahar- Geheimdienstchef Laghmani mit den Worten zitiert wird: "Wir haben Mullah Omar mit diesem Telefon angerufen. Aber sobald er sich bewusst wurde, dass es nicht Mudschahid war, wurde die Leitung unterbrochen.", berichten andere davon, dass Mudschahid gezwungen wurde, mit dem Talibanchef zu sprechen.
Einer Reutersmeldung zufolge, fand das Telephongespräch bereits am Montag statt - also einen Tag vor dem Datum, das die anderen als Tag der Gefangennahme bekannt geben. Dort wird Laghmani mit den Worten zitiert: "Letzten Montag sprach Mudschahid in unserer Gegenwart mit Mullah Omar. Aber seither, haben sie (!) jedes Mal aufgelegt, wenn wir versuchten, mit ihm über diese Nummer in Kontakt zu treten. Mullah Omar ist am Leben."
Der Beweis dafür scheint eine Sache der allerhöchsten Dringlichkeit. Informationen, die dem konservativen amerikanischen Magazin The New Republic aus Geheimdienstkreisen übermittelt worden sind, sprechen von einem großen Druck, den die US-Regierung hinter den Kulissen auf Pakistan ausübt, damit alles unternommen wird, um Top-HVTs, wie Osama Bin Laden oder eben Mullah Muhammed Omar zu einem günstigen Zeitpunkt gefasst werden; das Timing soll nämlich zu Bushs Wahlkampf-Kalender passen.
Nach einer Quelle aus Pakistans Geheimdienst Inter-Services Intelligence sollen dem Chef des Geheimdienstes, Generalleutnant ul-Haq, wie The New Republic erfahren hat, sogar die präzisen Daten zur gewünschten Gefangennahme der Phantome mitgeteilt worden sein:
Es wäre das Beste, wenn die Gefangennahme oder die Tötung von (irgendeinem) HVT am 26., 27 oder 28. Juli bekannt gegeben würde.
Das sind die ersten drei Tage des nationalen Konvents der Demokraten in Boston. Dass die USA druck auf Pakistan ausüben, um deren Bereitschaft im Kampf gegen die Terroristen zu forcieren, sei ja nichts Neues, so das Magazin, das man jetzt aber target dates einführe, sei ein ganz neuer Dreh.
Hochrangige amerikanischen Besucher in Pakistan hätten sich dort in den letzten Monaten die Klinke in die Hand gegeben, von George Tenet, über Colin Powell, dessen Assistentin Christina Rocca, dem Chef der Anti-Terror-Abteilung im Außenministerium, bis hin zu Salmay Khalilsad, dem amerikanischen Botschafter in Afghanistan, jeder habe darauf gedrängt, dass Muscharraf mehr im Kampf gegen die Terroristen unternehme. Soweit ganz zweckmäßig und sogar lobenswert, meint TNR, wenn dies nicht von einer "unlauteren privaten Insistenz" begleitet gewesen wäre, dass die Pakistanis die HVTs liefern sollten, bevor die Amerikaner im November zu den Wahlurnen gehen.
Druckmittel habe die US-Regierung genügend in der Hand - wie etwa die für Pakistan politisch sehr heikle Affäre um den Atomphysiker A.Q.Khan (vgl. Bush will Verbreitung von Massenvernichtungswaffen verhindern), der Atomgeheimnisse an den Iran, an Nordkorea und Libyen weitergegeben haben soll. Musharraf will die Affäre als interne Sache "regeln" und Powell soll auffällig dazu geschwiegen haben. Das könnte sich ändern. Auch das versprochene Hilfspaket von 3 Milliarden Dollar muss erst noch im Kongress durchgeboxt werden - gegen den Widerstand der Demokraten, welche sich stark an der Weitergabe von Nuklearmaterial durch Pakistan stoßen, ebenso wie am Fehlen demokratischer Normen. Außerdem gäbe es da noch die F-16, die Pakistan unbedingt will, um das "regionale Gleichgewicht" gegenüber Indien zu wahren. Powell hat dazu noch nichts Verbindliches gesagt. In Pakistan, so TNR, fürchtet, dass man die Flugzeuge nicht bekomme, wenn man keinen HVT liefere. Weiter fürchtet man, dass im Falle einer Nichtlieferung entweder die Bush-Regierung oder eine künftige Kerry-Regierung der Affäre um Khan, mehr Aufmerksamkeit schenken würden, als es manchen Vertreter des pakistanischen Establishments lieb sein könnte.
Wenn wir diese Burschen nicht rechtzeitig bis zu den Wahlen finden, dann werden sie uns den ganzen nuklearen Verhau den A... hinauf schieben
Pakistanischer General zu einem amerikanischen Journalisten
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