Terminatortechnik

Geistiges Eigentum an biotechnologischen Produkten - Vorbild für digitale Waren?

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Die Sicherstellung des "intellektuellen Eigentums", also des primären Kapitals der Informationsgesellschaft, ist gegenwärtig eines der Hauptprobleme der Gesetzgebung (Der Kampf um das geistige Eigentum). Gerade mahnte Ronnie Williams von der British Publishers Association einmal wieder an, daß das Internet gefährlich für die Aufrechterhaltung des Copyright sei. Das virtuelle Einkaufen und das Herunterladen von Texten auf elektronischen Büchern mache es schwierig, die Rechte von Verlegern und Autoren zu sichern.

Wahrscheinlich sähe man es am liebsten, wenn jedes Aufrufen eines Content bereits gebührenpflichtig wäre. Pay-for-Use könnte es ermöglichen, daß der Benutzer nicht einmal dauerhaft etwas einkauft, sondern nur für einen einmaligen Gebrauch. Allerdings dürften die Inhalte dann weder kopiert noch ausgedruckt werden.

Das Modell für eine im Sinne der geldgierigen Urheber attraktive einmalige Pay-for-Use-Methode kommt allerdings nicht aus dem Bereich der digitalen Technik, sondern aus der Biotechnologie, das zweite Standbein der High-Tech-Industrie und auch eine Informationstechnik. Es ist allerdings erstaunlich, daß die von Kritikern als Terminatortechnik bezeichnete Methode vom amerikanischen Landwirtschaftsministerium entwickelt wurde - oder natürlich auch nicht, denn die amerikanische Politik zielt ziemlich unverhohlen darauf, in allen Initiativen die wirtschaftlichen Interessen des Landes zu sichern.

Das Prinzip ist einfach: Man stelle Samen her, die zwar zu gesunden Pflanzen heranwachsen, aber die sich nicht fortpflanzen können. Einmal gebraucht, sind sie also vernichtet, und der Kunde muß für die nächste Aussaat auch die nächsten Samen kaufen.

Zu Anfang des Jahres erhielt jedenfalls das amerikanische Landwirtschaftsministerium und die Delta and Pinke Land Company ein Patent für eine Technik, mit der sich die Samen von vielen Getreidearten sterilisieren lassen. Man glaubt, daß innerhalb der nächsten Jahre alle großen Saatgutfirmen diese gentechnische Manipulation übernehmen werden, wodurch sie ihr "geistiges Eigentum" sichern und die Bauern davon abhalten können, die Samen der reifen Pflanzen für die nächste Aussaat zu verwenden.

Die Technik basiert auf einem Promotor mit dem Namen LEA (Late Embryogenesis Abundant), also auf einem Genabschnitt, das an der Bindung der RNA-Polymerase beteiligt ist, um eine Übersetzung (Transkription) zu starten. Dieser hat die Eigenschaft, das Gen, an das er angehängt ist, erst dann zu aktivieren, wenn die Samen reifen. Die Wissenschaftler haben den LEA-Promoter klugerweise mit einem Gen verbunden, das ein Protein erzeugt, das die Keimung unterdrückt. Eingebracht in die Samen schaltet der Promoter dieses Gen erst während der Reifungszeit des Getreides an. "Unser System", sagte Melvin Oliver vom amerikanischen Landwirtschaftsministerium, "ist eine Art von Selbstschutz gegenüber dem unautorisierten Gebrauch amerikanischer Technik. Es gleicht dem Copyright-Schutz." Nur ist diese Technik noch besser, denn sie erlaubt eben nur den einmaligen Gebrauch und verhindert das Kopieren.

Nach massiver Kritik scheint die Regierung jetzt allerdings, wie New Scientist berichtet, die Wissenschaftler an die Kandare zu nehmen - zumindest sollen sie schweigen. Ein aus dem Landwirtschaftsministerium kommendes Memo an die Mitarbeiter ordnet an, daß alles, was hinsichtlich der Terminatortechnik gemacht wird, von den Vorgesetzten überprüft werden müsse, denn es handle sich um ein "heikles Thema". Natürlich wolle man nicht die Entwicklung dieser Technik verzögern oder die kreativen Talente der Wissenschaftler behindern, aber eine schärfere Kontrolle würde dabei helfen, "mögliche politische und gesetzliche Fallstricke zu vermeiden."

Das Landwirtschaftsministerium rechtfertigt die Technik, weil sie auch den armen Bauern zugute käme, denn die Bio-Firmen können damit ihr geistiges Eigentum schützen, während sie ein breiteres Angebot an gentechnisch veränderten Samen vertreiben könnten, die vielen Wachstumsbedingungen angepaßt wären ....

So ähnlich wird das vielleicht auch bald im Netz sein, wenn man ein digitales Äquivalent zur Sterilisierung gefunden hat. Surfen sei wie Schwarzfahren, sagte Reinhold Kreile von der GEMA in einem Telepolis-Gespräch. Schon das Zwischenspeichern im Cache nagt am Copyright und stört manche Urheber des "geistigen Eigentums". Die Frage ist nur, wie lange denn die digitalen Sterilisierungstechniken oder digitalen Selbstmordgene den Gebrauch eines digitalen Dokuments erlauben sollten? Man könnte ja durchschnittliche Lesezeiten ansetzen, bei Musik ist die Zeit ja sowieso vorgegeben. Wer etwas noch einmal sehen, lesen oder hören will, muß noch einmal bezahlen. Wie schön waren doch die Zeiten, als man noch Bücher oder andere derart materielle Datenträger hatte, die man einmal kauft, endlos benutzen und sogar kopieren und weitergeben konnte.

James Flint: Saatgutunternehmen auf dem Weg zum Genmonopol.