Terror und Panik
Verdächtig wirkende und aussehende Männer durften in einem britischen Flugzeug nicht mit, weil Touristen aus Folge der von Terroristen, Medien und Politikern geschürten Panik Angst hatten - Update: Der in Kiel festgenommene Libanese studierte nicht Mechatronik
Wie die in Regionalzügen platzierten Sprengladungen gezeigt haben, sind Terroranschläge auch in Deutschland möglich. Ähnlich wie in Großbritannien werden auch hier entdeckte Anschlagspläne verständlicherweise von Regierung, Politikern und Sicherheitsbehörden in Warnungen und erhöhten Sicherheitsmaßnahmen umgesetzt, da man kein Risiko laufen möchte, Gefahrenhinweise fahrlässig missachtet zu haben, falls etwas geschehen sollte. Aber gleichzeitig werden dadurch Angst und Panik in der Öffentlichkeit geschürt, die nicht nur zu irrationalen Reaktionen führen, sondern im Grunde auch die Stimmung verbreiten, die Terroristen mit Anschlägen und Drohungen schaffen wollen. Überdies werden bestimmte Feindbilder von riskanten Personengruppen erzeugt, was als Nebenfolge bei diesen auch wieder zur verstärkten Bereitschaft führen kann, sich von der Gesellschaft abzuwenden und sich gegen pauschale Diskriminierungen zur Wehr zu setzen.
Terrorismus ist eine Strategie, Panik und Angst zu verbreiten, vor allem wenn Anschläge auf beliebige Personen an beliebigen Orten geplant oder ausgeführt werden, um den Eindruck zu erwecken, dass man nirgendwo wirklich sicher sein kann. Panik führt leicht, da sie eine sich selbst verstärkende Fluchtreaktion ist, zu irrationalen Verhaltensweisen. Die Aufmerksamkeit ist überscharf auf mögliche Bedrohungen eingestellt, um sie frühzeitig erkennen und vermeiden zu können. Panik ist nicht nur eine Verhaltensweise von Individuen oder Gruppen, sondern auch von Gesellschaften, wobei hier die Medien als die kollektiven Aufmerksamkeitsorgane eine große Rolle spielen, wie Gefahren verarbeitet werden oder Panik geschaffen wird, aktuelles Beispiel mit Titeln wie diesen: Deutschland im Fadenkreuz. Die Medien sind letztendlich für den Großteil der Bevölkerung die Bühne, auf der die Informationen, Erwartungen, Ängste, Interessen und Reflektionen aller Menschen von den Terroristen über die Politiker und Sicherheitskräfte bis hin zum gerne interviewten „Mann auf der Straße“ zusammenlaufen.
Update: An sich spielt es keine große Rolle, ob der verdächtige Libanese nun an der Universität oder Fachhochschule Kiel Mechatronik studiert hat oder nicht. Allerdings ist angesichts der Aufgeregtheit über die Festnahme doch erstaunlich, dass er – entgegen auch der Mitteilung von Generalbundesanwältin Monika Harms – nicht an der Fachhochschule eingeschrieben gewesen zu sein scheint. Nach Informationen der Nachrichtenagentur AFP hatte er am Studienkolleg von Schleswig-Holstein in Kiel teilgenommen und dort Anfang Juli die Sprachprüfung bestanden, womit er erst hätte das Studium beginnen können. Durchweg alle Medien hatten bislang den verdächtigen Youssef M. als Studenten der Mechatronik beschrieben. Vermutlich hat alle überzeugt, dass ein Bombenbastler technisch gebildet sein müsse, vielleicht passte auch das Bild eines Studenten aus dem arabischen Raum in die vorhandenen Überzeugungen, zumal dieses Detail für den geplanten Terroranschlag eigentlich nicht erheblich ist, aber einiges zum Hintergrund des als unauffällig und freundlich beschriebenen jungen Mannes beigetragen hat. Anlass zur Besorgnis mag eher sein, dass solche Informationen quer durch alle großen und kleinen Medien, einschließlich Telepolis, als Tatsachen zirkulieren können (Haftbefehl für einen libanesischen Studenten).
Politiker wie Wolfgang Bosbach, der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, oder Innenminister Schäuble müssen sich natürlich zu der Gefährdungssituation verhalten. Wenn Schäuble sagt, „So nah war die Bedrohung noch nie“, dann trifft die Beschreibung wohl auf die jüngste Zeit zu, sofern die Sprengladungen in den Zügen tatsächlich nur aufgrund eines Herstellungsfehlers nicht in die Luft flogen, wovon das BKA ausgeht. Aber Schäuble – hier stellvertretend für andere Politiker – nutzt die Situation auch dazu aus, sicherheitspolitische Forderungen durchzusetzen, die zwar mit der Bekämpfung des Terrorismus verbunden sind, aber wie die Antiterror-Datei oder der Ausbau von Überwachungskameras zwar der Aufklärung nach der Tat, aber kaum ihrer Verhinderung dienen können. Und wie sinnvoll bewaffnete Zugbegleiter wären, ist neben der Finanzierbarkeit auch eine große Frage, wenn es um Anschläge, nicht um Entführungen geht. Hier wird die Angst gebraucht, um – meist schon lange bestehende - Interessen oder sicherheitspolitische Ideologien zu verfolgen, deren Zweck aber eigentlich die Minimierung der Angst durch besseren Schutz vor Gefährdung sein sollte. In den Schnellschussreaktionen werden zwar verschärfte Sicherheitsmaßnahmen gefordert, aber normalerweise keine Überlegungen angestellt, aus welchen Ursachen junge Menschen anfällig für Extremismus oder gar Terrorismus werden.
Ähnlich verfahren ist die Befindlichkeit der Menschen, die nach den Warnungen aufmerksamer ihre Umgebung mustern. Da können dann nicht nur herrenlose Gepäckstücke Verdacht erregen, was wie derzeit zu größeren Polizeiaktionen führt, sondern auch Menschen durch ihr Verhalten, ihr Aussehen oder ihre Sprache verdächtig werden. Das ist am letzten Mittwoch bei Flugnummer B 613 von Malaga nach Manchester geschehen. Das Flugzeug der britischen Monarch Airlines sollte 150 Urlauber nach Hause bringen. Doch mehrere Familien weigerten sich, in das Flugzeug um drei Uhr in der Früh einzusteigen, bevor nicht zwei junge Männer asiatischen Aussehens aus dem Flugzeug entfernt wurden, die für sie nach Terroristen aussahen. Den Briten sei das Verhalten der Männer verdächtig gewesen, die nicht nur häufig auf ihre Uhren geschaut und für die Temperaturen ungewöhnliche Kleidung getragen, sondern möglicherweise auch noch Arabisch gesprochen hätten. Passagiere hätten vor Angst geweint und Kinder gesagt, dass die beiden Männer wie Attentäter aussähen.
Die Fluggesellschaft war willig, nachdem auch noch zwei Familien aus Angst wieder aus dem Flugzeug ausgestiegen waren, und informierte die spanische Polizei, die die beiden Männer abführte und mehrere Stunden lang verhörte. Da sich kein Verdacht ergab, konnten sie in einem der nächsten Flüge ihre Reise fortsetzen. Der Flug der Monarch Airlines startete drei Stunden später. Ein Mitarbeiter der Fluglinie rechtfertigte das Verhalten der Crew dadurch, dass die Männer „sich offensichtlich verdächtig verhalten“ hätten, ohne jedoch einen näheren Grund anzugeben. Vermutlich reicht dafür aus, als Muslim zu erscheinen. Hintergrund solcher übertriebenen Reaktionen sind offizielle Terrorwarnungen wie die der britischen Regierung, die nach der Festnahme einer Gruppe von Verdächtigen von unmittelbar drohenden Anschlägen ausgingen, obwohl sie gleichzeitig versicherte, dass die Hauptdrahtzieher erwischt und keine Sprengladungen gefunden wurden.
Natürlich sehen die betroffenen Bevölkerungsgruppen solche rassistischen Auswüchse als Folge der auch von der Regierung geschürten Terrorpanik an. Für Muhammad Abdul Bari, Generalsekretär des britischen Muslim Council, demonstriert dieser Vorfall, dass Muslime bereits unter Generalverdacht stehen. Und er sagt zurecht, wie auch bei den kürzlich Festgenommenen, deren Namen veröffentlicht wurden, ohne dass bislang eine Anklage erhoben wurde, dass Muslime mittlerweile nach dem Prinzip behandelt würden, dass sie schuldig seien, bis ihre Unschuld erwiesen ist. Die Gefahr besteht, wie Massoud Shadjareh, der Vorsitzende der Islamic Human Rights Commission, sagt, dass man nicht nur eine Bevölkerungsgruppe in die Entfremdung von der Gesellschaft treibt. Überdies würden Menschen, die tatsächlich Anschläge ausüben wollen, möglichst vermeiden, auffällig zu wirken und auszusehen. Superintendent Ali Dizaei warnte vor der Gefahr, eine neue Straftat zu schaffen, nämlich als Araber oder Asiate zu reisen, nachdem die britischen Sicherheitsbehörden erwägen, Reisende aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Religion und einer Ethnie (profiling) zu selektieren und schärfer zu kontrollieren.
Die Panik richtet sich aber nicht nur gegen verdächtige Personengruppen, sondern kann wild um sich schlagen (vgl. auch den Vorfall: Unter Verdacht). Letzte Woche kehrte eine Maschine, die von London in die USA flog, um, nachdem eine Reisende entdeckt wurde, die trotz des Verbots eine Creme, Streichhölzer und einen Schraubenzieher mit sich führte und sich ebenfalls verdächtig verhalten haben soll. Letzte Woche machte eine britische Maschine mit Touristen auf dem Weg nach Ägypten, begleitet von einer F16, eine Notlandung in Brindisi, weil man im Flugzeug einen Zettel gefunden hatte, dass eine Bombe an Bord sei. Ein amerikanischer Flughafen wurde gesperrt, weil man zwei Behälter mit Flüssigkeit fand und erst einmal davon ausging, dass es sich um Flüssigsprengstoff handeln könnte. Der Verdacht kann auf jeden und alles fallen – und dann hätten die Terroristen mit ihren Panikattacken gesiegt.