The West is the Best

Seite 3: Leben in einer Supra-Gesellschaft

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Es liegt auf der Hand, dass ein derart großes Gebilde nicht mehr republikanisch geschweige denn demokratisch verfasst sein kann. Um sich selbst zu erhalten, muss eine solch große, quasi staatliche Organisation Prozesse in Gang setzen, die zu einer Vereinheitlichung der Kulturen und der Völker in ihrem Machtbereich führen. Diese Vereinheitlichung wird vermutlich auf liberalem Wege hergestellt werden, nämlich durch den uneingeschränkten Fluss von Kapital, Waren, Dienstleistungen und Arbeitskräften unter Inkaufnahme massiver Migrationsströme.

Natürlich wird eine solche Politik mit der Zeit den Widerspruch von mehr und mehr Menschen hervorrufen. Doch da die Supra-Gesellschaft nun einmal darauf fokussiert ist, sich selbst zu erhalten und sie zu ihrer Selbsterhaltung den Prozess kultureller Vereinheitlichung fortsetzen muss, wird ihr nichts anderes übrig bleiben, als diese Oppositionsbewegungen einzudämmen und notfalls sogar zu unterdrücken. Das Resultat wäre dann wahrscheinlich ein totalitäres System in demokratischem Gewand. Und deshalb würde der Raum dessen, was offen gedacht und gesagt werden kann, in einer Supra-Gesellschaft weiter eingeschränkt werden.

Wenn die Trends der letzten Jahre richtungsweisend gewesen sind, so wird eine sich stetig erweiternde politische Korrektheit zu einer deutlich zunehmenden Beschränkung der öffentlichen Rede führen. Auch deutet sich bereits an, dass im Zuge einer zukünftigen Toleranzgesetzgebung sogenannte Hass-Delikte geahndet werden könnten. Jede pauschalisierende Kritik an bestimmten Personengruppen, die in politischen Auseinandersetzungen schwerlich ausbleibt, könnte dann kriminalisiert und zur Einschränkung der öffentlichen Rede führen. Es entstünde ein politisches System, das im Namen der Toleranz Intoleranz praktiziert.

Doch die deutschen Eliten scheinen diesen Prozess eher nicht zu reflektieren und sich dessen kaum bewusst zu sein. Und insofern sie sich dieses Prozesses doch bewusst sein sollten, scheinen sie ihn mit Sorglosigkeit zu betrachten. Nun muss man bedenken, dass viele Vertreter dieser Elite zwischen 1955 und 1970 geboren sind. Ihre Lebenserfahrung ist zumindest als Westdeutsche von der Zunahme des Wohlstands und der Erweiterung demokratischer Rechte bis in die 1990er Jahre hinein bestimmt. Für sie war das Demokratische immer im eigenen Land beheimatet und der Totalitarismus immer außerhalb davon, meistens im Osten.

Ein Wechsel der Perspektive ist dieser westdeutschen Elite aus biographischen Gründen kaum möglich. Denn das System, in dem sie aufgewachsen sind, erlaubte über mehrere Jahrzehnte hinweg die Balance zwischen scheinbar unvereinbaren Gegensätzen. In diesem Gesellschaftssystem war es für diese zwischen 1955 und 1970 geborene Generation möglich, sich als politisch links zu verstehen und doch Karriere zu machen. Es war dieser Generation möglich, als Journalist die Anerkennung und Aufmerksamkeit von Politikern zu genießen und sich dabei doch als Teil einer progressiven Opposition zu sehen.

Dass dieses Gesellschaftssystem in den letzten Jahren einen problematischen Entwicklungsweg eingeschlagen hat, dass es zunehmend in einen Widerspruch zu seinen eigenen republikanischen Werten gerät, dass die junge Generation längst nicht mehr mit den politischen Freiheiten aufwächst, die den heute 45 - 60 jährigen noch vergönnt gewesen sind, all das wird von den Politikern und Journalisten, die zwischen 1955 und 1970 geboren sind, verdrängt und ausgeblendet. Denn sie verdanken ihre gesamte Karriere dem westlichen System.

Die Folter in Guantanamo, die Überwachung durch die NSA, die folgenschwere Destabilisierung des Nahen Ostens durch die offenen oder verdeckten Kriege der USA in dieser Region, die von Washington geduldete Zusammenarbeit Saudi Arabiens mit Terrororganisationen, all das wird von weiten Teilen der deutsche Elite als "Ausnahme" begriffen. Weil sie überzeugt sind, dass das westliche System ein an sich "gutes System" sei, glauben sie auch, dass die äußerst fragwürdigen, ja bösen Handlungen, die dieses System im Bereich der Außenpolitik begeht, es letztlich doch nicht definieren. Der vermeintlich gute Zweck rechtfertigt für sie die schlimmen und inhumanen Mittel.

Demokratie und Liberalismus sind für diese Generation zu einer politischen Religion geworden, zu reinen Glaubensinhalten, die, weil sie geglaubt werden, nicht mehr an der Realität überprüft werden müssen. Und weil diese politische Religion im Kalten Krieg entstanden ist, fußt sie in einem ganz entscheidenden Maße auf dem Reflex, im Osten und damit vor allem in Russland das Böse zu sehen. Dass der Osten sich geändert hat, dass Russland nicht mehr die Sowjetunion ist, das kann oder will diese Generation der deutschen politischen Eliten nicht weiter reflektieren. Und so verteidigen sie ihre einmal getroffene und nie wirklich umfassend durchdachte Entscheidung, an dem von den USA geschaffenen Weltkonflikt teilzunehmen. Ein Konflikt, der die Gefahr eines dritten Weltkrieges in sich birgt, der letztlich vollkommen unnötig ist und der morgen aufhören könnte, wenn die deutsche Elite endlich damit beginnen würde, eigenständig die Lage zu analysieren.