Theokratische Netzzensur im Iran
Auf den satanischen Fersen der iranischen Internet-Generation
Es ist das ewig alte Lied: Autoritäre Staaten ertragen keine Freizügigkeiten, Werterelativismen, Ironien, Ambivalenzen, keine lasziven Bildchen und keine laizistischen Irritationen, weder Kritik an sakrosankten Führern noch gar an den ehernen Prinzipien der Religion. Die von inneren Unruhen geschüttelte Theokratie im Iran (Mullahs balancieren. Der Präsident schweigt) nimmt nun das Internet in das Fadenkreuz. Und nicht anders als in China (Gefiltertes Internet für China) oder Saudi-Arabien (Saudi-Arabien: Umgehen der Zensur) wird der Kampf um den gottlosen "Content" nicht nur mit Argumenten, sondern ebenso mit Technologien ausgetragen.
Hier aber könnten die Mullahs unter ihrem obersten Revolutionsführer Ajatollah Ali Khamenei den Kürzeren ziehen. Denn nicht nur für Girls, wie Cindy Lauper singt, sondern für etwa 50 Millionen Iraner unter 30 Jahren gilt wohl mehr denn je: "They just wanna have fun". So setzt sich die Regierung auf die satanischen Fersen der Youngsters, aber das könnte ein totes Rennen sein, wie es andere autoritäre Regierungen und auch die Mullahs selbst schon erleben durften. Vor der nun geplanten Netzattacke wurden nämlich auch die staatlich verordneten Restriktionen von Satelliten-Fernsehen, Video-Tapes und anderen Medien des Teufels unterlaufen. In iranischen Wohnzimmern ist längst die Hölle los.
Gilt nicht für alle Ideologien und Religionen, dass sie wenig selbstbewusst sein müssen, wenn sie die Konfrontation mit dem Satan respektive der westlichen Kultur- und Kulturmüllproduktion so scheuen? Wo bleibt ein wenig Gottvertrauen, wenn Verbote den Glauben stärken sollen, der doch aus sich selbst heraus stark genug sein müsste? Nach Hussein Shariatmadari, dem Herausgeber der regimenahen Zeitung Kayhan und Sprachrohr des strengen Sittenwächters Khamenei ist es die erklärte Absicht, alle Seiten mit immoralistischen Inhalten zu stoppen, die den religiösen und sozialen Werten der iranischen Religionsgesellschaft zuwiderlaufen.
Doch selbst staatliche Filterfreunde zweifeln, dass dieser Versuch erfolgreich sein wird. Mehr oder weniger drakonische Maßnahmen gegen die Meinungsfreiheit gehören zu der üblichen Wutpolitik des hinter vernetzten Regimekritikern herhechelnden Staatshasen. So wurde vor kurzem ein bekannter iranischer Internetjournalist inhaftiert und später wieder auf Kaution entlassen. Die iranischen Provider erhielten nun Listen mit den üblichen verdächtigen Sites, die aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit zu verbannen sind. "Geopfert" werden sollen 100.000 Ferkel-Domains außerhalb des Iran und immerhin noch fast 100 Sites mit regierungskritischen Inhalten.
Dass die Mullahs immer nervöser werden, ist seit den jüngsten Unruhen unter Studenten und Kritikern der strammen Theokratie kein Wunder mehr, das noch religiös erläutert werden müsste. Vor allem deshalb nicht, weil die Einmischung der Bush-Regierung in die inneren Angelegenheiten des Gottesstaates die seit 1979 etwas müde gewordenen Revolutionäre wieder hellwach gemacht hat. Amerikas Demokratieverheißung für den ganzen Globus im Schulterschluss mit pornografischen und anderen Formen der Unterwanderung ist einfach zu viel für die gereizten Bärte.
Blogger und Chatter
Im Iran gibt es schätzungsweise drei Millionen Netzbürger, im Wesentlichen angeblich Elektro-Rohrpostler und Chatter. Zielscheibe des Netzspotts sind vor allem die längst verunsicherten Mullahs, die größtenteils als saturierte und bigotte Revolutionsgewinnler gelten. Die inkriminierten Anti-Mullah-Sites legen den Finger in die Wunde der ungenierten Bereicherungspolitik der Religionsherrscher, die doch seinerzeit ihrer Theokratie als eine von drei tragenden Säulen verordneten, die sozial Schwächeren zu schützen und ihnen nach Kräften zu helfen. Erreicht wurde wenig bis nichts. Aus den frommen "Beggers & Servants," wurden "Rulers & Masters," wie es eine der kritischen Websites formuliert.
Auch die Blogger mit ihrer Generalzuständigkeit in allen Dingen, die die Welt diesseits wie jenseits des Netzes bewegen, machen den Mullahs das Erdenwallen zur Qual. Denn sechs von zehn der meistbesuchten Seiten bei insgesamt schätzungsweise 50.000 Webdiarien bieten fröhliche Nacktheit oder verweisen zumindest auf andere Sendboten des Teufels, die solche unverhüllten Tatsachen präsentieren. Ein populärer Blog nennt sich in Farsi "Faheshe" (Hure) und schildert detailliert den Sündenfall einer früheren Prostituierten. Dass nicht nur Mullahs von feilem Fleisch provoziert werden, machten immerhin auch in Frankreich Regierungsinitiativen gegen die televisionäre Pornokratie deutlich, die nicht unwesentlich von emanzipierten Sexarbeiterinnen mit pikanten Details angereichert wurde (La Grande Nation gegen die Pornokratie).
Den iranischen Klerikern wird beispielsweise neben ihren plutokratischen Machenschaften vorgeworfen, dass sie einen gewissen Hang hätten, alle dieselben Damen aufsuchen und diese unheimlichen Begegnungen der dritten Art mit religiösen Gründen zu salben. Nun ja, auch der Vatikan löste vor Jahren das Problem, den Tod eines hohen Würdenträgers im Bordell zu erklären, mit dem diplomatischen Hinweis, der Mann habe die käufliche Dame sozial unterstützt.
Griff zur Zensur
Immerhin: Die iranischen Weblogs hat noch nicht der theokratisch verordnete Datentod ereilt, weil Tagebücher und Netzpornografie in ihrer Gefährlichkeit jedenfalls hinter der offenen Kritik von Regimegegnern rangieren. Der Ruf nicht geringer Teile des iranischen Volkes nach den längst überfälligen Reformen, dem sich auch 135 Mitglieder des machtlosen Parlaments in einem offenen Brief an Ajatollah Khamenei angeschlossen haben, wurde nicht etwa in den iranischen Printmedien, sondern großflächig im Netz veröffentlicht. Auch die Studentenproteste wurden in den konventionellen Medien ignoriert, während studentische Webseiten die hautnahen Erlebnisberichte lieferten.
Nach den Plänen des iranischen Justizministeriums sollen zwanzig Arten von Internet-Aktivitäten inkriminiert werden. Alle Beleidigungen islamischer Werte, die Kritik an der Führung der Chefmullahs und auch die Mäkelei an den Ideen des Vaters der Revolution, Ayatollah Khomeini, sollen geahndet werden. Seiten, die sich den süßen und herben Seiten westlicher Lebensart, dem Spiel, Rauchen oder harten Drogen verschreiben, müssen selbstverständlich auch - zunächst - mit irdischen Strafmaßnahmen rechnen.
Doch weniger moralische als praktische Fragen plagen wohl bereits jetzt die staatliche Zensuroffensive. Die Serviceprovider haben gerade erklärt, dass sie sich die teure Filtersoftware nicht leisten können. Nun soll dem Gerücht nach die iranische Regierung das amerikanische Exportverbot solcher Software bereits umgangen haben, indem sie sich die Tools von europäischen Unternehmen besorgt hätte.
Doch das könnte weniger bedeutsam sein als der Umstand, dass sich bei den aufgeweckteren Usern herumgesprochen haben sollte, wie man Internet-Filter wirksam unterläuft. Bekanntlich gibt es diverse Tricks, solche Filter auszubooten. Und gerade wenn die Bush-Regierung ihre Unterstützung regierungskritischer Stimmen im Iran weiterführen sollte, könnte das auch die großzügige Versorgung iranischer Netizen mit Umgehungssoftware wie Triangle boy von Safeweb, Freebird und ähnlichen Vorkehrungen des Teufels auslösen.
Vor allem sind die Bärte wohl zu grau, um die immergrüne Dialektik "Was verboten ist, macht gerade scharf" zu verstehen. So könnten die iranischen Gottesherrscher ähnlich wie ihre Geistesbrüder in China (Elektronische versus nationale Souveränität) oder Saudi-Arabien schließlich vom "Sauseschritt" der Zeit ins theo-technologische Abseits befördert werden.