Gefiltertes Internet für China

Nach einer empirischen Analyse blockiert die chinesische Regierung Tausende von Websites - allerdings ist oft kaum ein System zu erkennen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Nach einer neuen Studie übt angeblich China die schärfste Zensur im Internet aus. Mehr und mehr Staaten versuchen, durch Filter das Internet der nationalen Gesetzgebung "anzupassen". Natürlich sind autoritäre Staaten besonders anfällig für eine Zensur. China jedenfalls übertrifft auch Saudi-Arabien bei weiten, was die Zahl der blockierten Websites angeht (O mein Herr, mir ist Gefängnis lieber als das, wozu sie mich einladen).

Das Internet ist ein Tor zur Welt, durch das nicht nur Informationen hereinkommen, sondern nach außen dringen können. Beides könnte Unruhe hervorrufen, zumal über das Internet unvorstellbare viele Informationen zugänglich werden und es gleichzeitig eine weltweite Kommunikation ermöglicht, während die nationale Gesetzgebung auf die Inhalte, die von anderen Ländern aus ins Netz gestellt werden, keinen Zugriff. Die chinesische Regierung versucht mit der Filterung der Inhalte einerseits das vornehmlich wirtschaftliche Potenzial des Internet auszubeuten, die damit möglicherweise einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungen aber zu vermeiden.

Die empirische Studie der Wissenschaftler des Berkman Center for Internet & Society an der Harvard University erfolgte im Rahmen eines Projekts, das das Filtern im Internet weltweit untersuchen will. Untersuchungen liegen bereits zur Praxis in Saudi-Arabien, aber auch zur Unterdrückung von Suchergebnissen bei Google in Frankreich und Deutschland vor (Die Welt ist keineswegs alles, was Google auflistet). In China gibt es wie in aller Regel keine veröffentlichte Liste von Websites, die blockiert werden. Dafür aber ist bekannt geworden, dass ausländische Anbieter von Internetdiensten wie Yahoo (Reporter ohne Grenzen kritisieren Yahoo) sich im März dieses Jahres schriftlich zu einer freiwilligen Selbstzensur verpflichten mussten (China macht das Netz dicht).

Amnesty International warf in einem aktuellen Bericht amerikanischen Firmen wie Sun, Nortel, Cisco, Microsoft und Websense vor, die Internetnutzung in China zu überwachen und zu zensieren. Angeblich würden 30.000 Angestellte Websites, Chaträume und Mails überwachen. Viele Internetcafes mussten schließen, die verbliebenen Filter für mehr als eine halbe Million Websites mit verbotenen pornographischen und subversiven Inhalten installieren.

Jonathan Zittrain und Benjamin Edelman führten, um das Ausmaß der Zensur zu erfassen, zwischen Mai und November 2002 eine Vielzahl von Tests durch. Von über 204.000 Websites, die sie aufgerufen hatten, waren mehr als 50.000 zumindest an einem Ort in China zu einer Zeit nicht zugänglich. Die Auswahl der Websites erfolgte aufgrund von Verzeichnissen wie Yahoo!Taiwan oder Suchergebnissen von Google, nachdem beispielsweise "China freedom" eingegeben wurde. Von Yahoo.com wurden alle Websites unter den Kategorien wie Ausbildung, Unterhaltung, Politik oder Nachrichten ausgewählt. Um diejenigen Websites auszuschließen, die zufällig aus technischen Gründen nicht erreichbar sein könnten, wurden von den Wissenschaftlern nur diejenigen als blockiert betrachtet, die mindestens von zwei unterschiedlichen Proxy-Servern an zwei Tagen nicht aufgerufen werden konnten, aber zur selben Zeit von den USA aus zugänglich waren. Dabei handelte es sich immerhin noch um 18.931 Sites, darunter allein 3.284 Websites aus Taiwan.

Bei den blockierten Websites handelt es sich auch um pornogrphische, obwohl diese nicht im Vordergrund stehen. Zugrundgelegt wurden fast 750 mithilfe von Google gefundene Websites mit sexuell expliziten Bildern. Von diesen waren 100 (13,4 Prozent) in China blockiert. Bei der Untersuchung über Saudi-Arabien hatte sich allerdings gezeigt, dass man dort 695 von diesen Websites blockiert (86,2 Prozent). Im Handel befindliche Filterprogramme blockieren zwischen 70 und 90 Prozent dieser Websites. Besonders systematisch scheint man in China dabei nicht vorzugehen. So sind zwar die Websites von Playboy und Penthouse, nicht aber die vom Hustler Magazine blockiert.

Ansonsten werden zahlreiche, höchst unterschiedliche Websites mit Nachrichten und von politischen oder religiösen Organisationen. Websites von Menschenrechtsorganisationen wie die von Amnesty International, Human Rights Watch oder Hong Kong Voice of Democracy sind ebenso wenig erreichbar wie die von Falun Gong. Manche Universitäten sind den chinesischen Internetnutzern verschlossen. BBC ist stets unzugänglich, oft ist dies etwa bei CNN oder dem Times Magazine der Fall. Insgesamt waren 923 Websites blockiert, die unter der Yahoo-Rubrik "News and Media" aufgeführt sind. Allerdings wurden manche Websites wie die der Washington Post auch wieder zugänglich gemacht. Die Wissenschaftler vermuten, dass mit der Einführung von Filtertechnologien, mit denen sich einzelne Seiten blockieren lassen, nicht mehr das gesamte Angebot unzugänglich gemacht werden muss. Normalerweise aber werden ganze IP-Adressen gesperrt. Nach welchen Kriterien tatsächlich verfahren wird, ist insgesamt nicht sehr deutlich. So wird beispielsweise das Pentagon blockiert, nicht aber der CIA. Auch manche Gerichte sind den Chinesen verschlossen.

Konsequent sind offenbar alle taiwanesischen und tibetanischen Websites blockiert. Warum aber wohl die Website des Films "Deep Impact" den Chinesen nicht zugemutet werden kann, ist nicht ersichtlich. Versperrt ist beispielsweise die Website der Asian American Baptist Church, aber auch die des Atheist Network. Auch sind in unterschiedlichen Regionen Chinas die Blockaden unterschiedlich. Ebenso unterschiedlich sind die Methoden. So werden auch die Suchergebnisse von Google zensiert. Aufgeführte Seiten müssen aber dennoch nicht zugänglich sein, wenn etwa in den Domainnamen oder schließlich auch auf den aufgerufenen HTML-Seiten entsprechende Begriffe vorkommen.

Nach ihren Daten gehen die Wissenschaftler davon aus, dass es im Unterschied zu Saudi-Arabien keine feste Liste von zensierten Websites gibt. Sie werden zumindest stets auf den neuesten Stand gebracht, während einige Sites wie CNN oder Slashdot manchmal blockiert werden und manchmal nicht. Neue Seiten werden schnell erfasst. Gleichwohl bleibt das Prinzip unklar. Die Wissenschaftler wollen bei künftigen Analysen herausbekommen, ob die blockierten Websites sich je nach der aktuellen politischen Ausrichtung der Regierung ändern und wie schnell dies geschieht. Sicher sei jedoch, dass mit unterschiedlichen Methoden experimentiert werde, was auf die Bedeutung der Internetzensur für die chinesische Regierung hinweise.