Thüringen: Nichts geht mehr

Klare Mehrheiten sind Vergangenheit, die Mitte hat sich zerbröselt

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Obwohl Björn Höcke, der gerichtlich "Faschist" genannt werden kann, mit der AfD in Thüringen angetreten ist, hat die rechtsnationale Partei einen beachtlichen Erfolg erzielt. Geworben wurde u.a. mit "Jetzt erst recht". Sie wurde nach der Linken zur zweitstärksten Partei bei einer hohen Wahlbeteiligung. Neben dem Erfolg der rechten Partei in Ostdeutschland, der im Trend von Sachsen und Brandenburg liegt und zeigt, dass etwa ein Viertel der Wähler den Rechten zuneigt, wozu viele vorherige Nichtwähler beitragen, wurde auch klar, dass die überkommenen politischen Strukturen in Ostdeutschland nicht mehr funktionieren.

Stabile Verhältnisse könnten in Thüringen tabuisierte Koalitionen zwischen der Linken und der CDU oder zwischen der CDU und der AfD bilden, aber auch zwischen der Linken und der AfD (Thüringen: Wer bildet die Regierung?). Ohne der Linken oder der AfD tut sich in Thüringen nichts, nachdem die "Volksparteien" wie überall in Deutschland auch hier abgestürzt sind und keine Mehrheiten mehr schaffen können. Die Verluste schaden AKK, sie sowieso im Abwärtstrend liegt, aber auch Olaf Scholz, der die Groko verteidigt und bei der Mitgliederbefragung vorne lag. Gefragt sind offenbar weniger konziliante Töne oder Kompromisse, sondern eher scharfe Akzentuierungen und klare Kanten. Die Mitte, in der sich (fast) alle versammelt haben, hat ausgedient.

Naheliegt, dass die CDU mit der neoliberalen, aber völkischen AfD vielleicht doch ein Bündnis schließen könnte. Das steht im Grunde an, die AfD wirbt darum, will sie doch eine bürgerliche Partei sein. Die Linke wird hingegen nicht mit der AfD zusammen kommen können, selbst wenn diese eine nationalsozialistische Ideologie wie in Polen die PiS oder in Frankreich das Rassemblement National bilden sollte. In Thüringen hat vor allem die CDU verloren, die SPD deutlich weniger.

Jetzt wird man annehmen können, dass sich die Parteien gegenseitig blockieren werden und am ehesten eine Minderheitsregierung herauskommen wird, vermutlich unter Führung der Linken, die in Thüringen ziemlich bürgerlich ist. Aber da spielen Irrationalitäten herein, die auch lange die SPD blockierten, mit der Linken im Bund oder in Westdeutschland eine Koalition einzugehen. Lieber war man geschrumpft und hatte wesentliche Positionen aufgegeben, was nachhaltig Vertrauen zerstört hat, das nicht mehr so schnell zurückzugewinnen ist.

In Thüringen zeigte sich auch, wo Parteibindungen geringer sind wie in Westdeutschland,dass die Grünen nur dort stark sind, wo es keine andere Partei gibt, die der AfD Paroli bieten kann. Jetzt war es die Linke mit Ramelow, die das Gegengewicht zur AfD bildete, in Sachsen war es die CDU, in Sachsen-Anhalt die SPD. Immer spielten die Führungspersonen eine gewichtige Rolle. Man fragt sich, inwieweit Programme wichtig sind, abgesehen von emotionalen Aufregern.

Das wichtigste Ergebnis scheint zu sein, dass einfaches Regieren mit stabilen Mehrheiten und Koalitionen mit wenigen Parteien nicht mehr möglich sein könnte. Es gibt allerdings eine Mehrheit auf der rechten Seite. Zu vermuten und zu befürchten ist, dass die CDU sich der AfD nähern und damit die Rechtsnationalen aufwerten wird.

Das könne freilich dann zu einem Erstarken der "linken" Parteien führen, was aber die Polarisierung der Bevölkerung weiter verstärken würde. Andererseits war der Mythos der Mitte immer eine Täuschung für die weniger Privilegierten, die dabei zu den Losern wurden. Es ist jedenfalls keineswegs abgemacht, dass die Erfolge der AfD nachhaltig sind, zumal das Thema der Flüchtlinge jetzt schon erschöpft ist, sie könnten nur eine Zwischenphase sein, um die Gesellschaft in eine andere Richtung zu lenken. Es wird spannend und ungewiss - nach Jahrzehnten geringer Alternativen.

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