Tödliches Erbe
Anhand von Zahlen zur verschossenen Gesamttonnage Uranmunition könnte geschätzt werden, wie viele Menschenleben dieser Krieg in Zukunft noch kosten wird
Wie zu erwarten war, haben die alliierten Streitkräfte beim neuesten Golfkrieg Munition verwendet, die abgereichertes Uran (DU) enthält - auch in dicht besiedelten Gebieten (vgl. Tödlicher Staub).
So wurde zum Beispiel das Planungsministerium in Bagdad von A-10 Flugzeugen angegriffen, deren Bordkanonen standardmäßig Uranmunition verschießen:An eine Dekontamination der betroffenen Gebiete ist nicht gedacht. Als Grund dafür wird angegeben, dass sich DU-Munition und verwandte Munitionsarten als harmlos herausgestellt habe.
Gerade neuere Studien, so Lieutenant-Colonel David Lapan, ein Sprecher des Pentagon, belegten dies. Eine Studie für die US-Armee von 1990, die wegen der Gesundheitsrisiken für betroffene Soldaten die zukünftige Akzeptanz von DU-Munition in Frage stellte, müsse heute, so Davis-Lapan, als veraltet angesehen werden.
Möglicherweise ist das Pentagon in dieser Frage nicht ganz auf der Höhe der Zeit, denn die Risiken niedrigdosierter ionisierender Strahlung rücken mehr und mehr in die Aufmerksamkeit der Wissenschaft
Aber auch Studien, die sich über die Langzeitfolgen der Benutzung von DU-Munition zumindest besorgt zeigen, stellen sich der wahren Herausforderung nur zögerlich - der langanhaltenden Verseuchung betroffener Gegenden durch DU-Aerosole, die selbst Jahre nach der Entstehung in der Luft nachweisbar sind und zudem nicht, wie einst angenommen, lokal verankert bleiben, sondern durchaus mit dem Wind weit umhergetrieben werden können (vgl. "Überraschungen" mit Uran-Munition).
Erstaunlicherweise befasst sich auch eine neuere Studie der UN, die die Folgen der Benutzung von DU im Kosovo zum Thema hatte, hauptsächlich wieder mit den Problemen für das Grundwasser, die durch korrodierende DU-Munitionsfragmente hervorgerufen werden. Die Konzentrationen an DU in verseuchten Böden werden als gering bezeichnet. Zum wiederholten Mal wird das allgemein Bekannte festgestellt, nämlich dass die externe Strahlenbelastung durch DU-Fragmente und Aerosole gering bis vernachlässigbar ist, während das Problem der lang anhaltenden, niedrig dosierten Bestrahlung von innen durch inhalierte DU-Partikel nur am Rande gestreift wird. Immerhin empfiehlt der Bericht, kontaminierte Wasserquellen aufzugeben und zusätzlich zwei Gebäude zu dekontaminieren, in denen bei Überprüfungen der Luft eine DU-Belastung gefunden wurde.
Solche Maßnahmen im Irak laut Pentagon überhaupt nicht nötig, weil DU-Munition ja keine gesundheitliche Gefahr darstellt. Wenn man aber die Verlautbarungen des Pentagon mit der wachsenden Besorgnis in der Wissenschaft zum Thema DU vergleicht, kann man eigentlich nur noch zu dem Schluss kommen, dass systematisch die Risiken geleugnet und die Konsequenzen vertuscht werden, weil DU so nützlich ist. Es gibt eine Parallele im zivilen Bereich: Asbest. Der Stoff wurde in Deutschland erst 1989 verboten, obwohl spätestens seit 1964 die krankmachende Wirkung von Asbest zweifelsfrei wissenschaftlich erwiesen war.
Wäre DU nach seiner tödlichen Benutzung im Krieg tatsächlich im Frieden so harmlos wie behauptet, gäbe es auch keine Probleme mit der Veröffentlichung der eingesetzten Munitionsmengen und -arten. Besonders die Briten aber sind in dieser Hinsicht extrem diskret. Dass die britischen Kontingente im Krieg Uranmunition dabei hatten, wurde bestätigt, wie auch die Entschlossenheit, sie zu benutzen. Zu der Frage, ob sie tatsächlich eingesetzt wurde - Schweigen. Das macht aus Sicht der Alliierten durchaus Sinn, denn nur anhand von Zahlen zur verschossenen Gesamttonnage könnte überhaupt geschätzt werden, wie viele Menschenleben dieser Krieg in Zukunft noch kosten wird.
Dass der Krieg das Verschwinden von Saddam Husseins Regime (inklusive seiner Schecks an die palästinensischen Selbstmordattentäter) verursacht hat, ist ein Grund zur Erleichterung. Viele andere Folgen des Krieges sind weniger positiv, manche absolut katastrophal. Es ist interessant, dass man in Europa vor allem die Plünderungen von Museen und Bibliotheken sowie das Chaos auf den Straßen diskutiert. Die Versäumnisse der Amerikaner beim Schutz weltberühmter Vasen und Keilschrifttafeln scheinen mehr Aufmerksamkeit zu finden, als das tödliche Erbe, das die Benutzung von uranhaltiger Munition im Irak hinterlassen hat (vgl. Die himmlische Befreiungsbotschaft).
Vielleicht beruht das darauf, dass solch offensichtliche Vorkommnisse mehr Dramatik und Nachrichtenwert versprechen, als die komplizierteren Vorgänge um Uranmunition, bei denen viel erklärt werden muss. Vielleicht ahnen aber auch diejenigen, die sich plötzlich so arg um die irakischen Kulturschätze sorgen, als hätten sie sie selbst ausgegraben, dass die Betrachtung des DU-Debakels auch für sie unangenehme Verwicklungen mit sich bringen könnte. Der Betrieb jedes gewöhnlichen Atomkraftwerks erfordert die Erzeugung von niedrig angereichertem Uran (LEU), und der Anreicherungsprozess bringt notwendigerweise auch abgereichertes Uran (DU) hervor.
Nach Lage der Dinge bewirkt der Betrieb normaler Atomkraftwerke Nachschub für die Rüstungsindustrie, die ihre Waren mit abgereichertem Uran bestücken kann.
Und diese Lage wird sicher nicht dadurch verbessert, dass in den letzten Tagen der grüne Umweltminister Deutschlands, Jürgen Trittin, den Betrieb eines Forschungsreaktors genehmigt hat, der bis 2010 sogar HEU, hoch angereichertes (also atomwaffenfähiges) Uran verbrennen darf. Auch die Erzeugung von HEU bringt als Abfallprodukt abgereichertes Uran hervor. Mehr Nachschub für die Rüstungsindustrie.
Bis zur Ächtung der Uranmunition scheint es also noch ein langer Weg zu sein. Wenn sie erfolgt, wird sie denen, die ihr jetzt schon zum Opfer fallen, nichts mehr nützen.