Träume ohne Grenzen

Seite 2: Zionismus und palästinensischer Nationalismus

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Die Entwicklung auf der palästinensischen Seite ist eng mit den Ereignissen auf der israelischen verbunden. Mitte des 19. Jahrhunderts war das Leben westlich des Jordans stark patriarchalisch geprägt. Die Menschen hier, einschließlich der mehreren Tausend arabisch sprechenden Juden, die hier seit Hunderten von Jahren lebten, regelten die meisten Angelegenheiten unter sich. Der Staat in Form des im fernen Konstantinopel ansässigen Osmanischen Reiches trat im Großen und Ganzen nur in Erscheinung, wenn es um die Steuerzahlungen ging oder es mal wieder Krieg in der Gegend gab.

Schon seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts siedelten sich immer wieder Juden aus Osteuropa an, weil sie Jerusalem, also dem Zentrum des Judentums, nahe sein wollte. Größere Probleme hatte damit kaum jemand – die Leute waren ja genauso traditionell geprägt wie die Einheimischen; sie sahen nur anders aus. Und dass jemand, unterstützt durch reiche Philantrophen, versuchte, dem kargen Land etwas abzugewinnen, war den Leuten nur recht – die Armut in der Region war groß.

Richtigen Ärger gab es zum ersten Mal, als sich mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts plötzlich Juden aus Osteuropa in Palästina ansiedelten, die zunehmend eine komische Form der Sprache benutzten, die die Alteingesessenen bisher nur während der jüdischen Gebete gehört oder genutzt hatten, und die davon redeten, hier, in Palästina, einen jüdischen Staat zu gründen.

Unter dem Einfluss der zunehmenden Öffnung des Osmanischen Reiches nach Westen seit 1792 und der aufkommenden Nationalstaaten in Europa einerseits und zum andererseits durch die aktive Förderung durch die europäischen Mächte, hatte es im westlichen Teil des Osmanischen Reiches vielerorts nationalistische Strömungen gegeben. Doch in die arabische Welt waren diese nicht wirklich durchgedrungen, wo man es meist ausreichend fand, dass es Muslime waren, die über die Heiligen Städte des Islam herrschten. Allerdings wurde die zunehmende Schwäche des Reiches seit Ende des 19. Jahrhunderts mit einer zunehmenden Stärkung der arabischen Identität beantwortet, was letzten Endes während des ersten Weltkrieges in den Panarabismus, also der Idee eines arabischen Staates auf der Grundlage der arabischen Kulturnation mündete.

Der Einzug der zionistischen Ideologie in den Nahen Osten konfrontierte die Menschen westlich des Jordans erstmals ernsthaft mit der Idee des Nationalstaates und zwang sie dazu, sich mit ihr auseinander zu setzen. Das erste Ergebnis war heftige Ablehnung, auch von Seiten der palästinensischen Juden, denen die Neuankömmlinge fremd und die Idee eines jüdischen Staates - oder eines Staates für die Juden, je nachdem, mit wem man spricht - vor der Erfüllung biblischer Prophezeiungen als Sünde erschien.

So entwickelte sich parallel zum jüdischen Nationalismus der palästinensische Unabhängigkeitsgedanke heraus, der zunächst noch loyal gegenüber der panarabischen Idee war und erst mit der Gründung von immer mehr arabischen Einzelstaaten im Laufe der 30er und 40er Jahre zum palästinensischen Nationalismus wurde. Als 1948 der Staat Israel gegründet wurde, entsprach das politische Palästina, wie im Fall Israels auch, längst nicht mehr der historischen Region Palästina, die sowohl das heutige Jordanien, die Golanhöhen und den Gazastreifen, nicht aber den Süden des heutigen Israel bis hin zum Roten Meer umfasste – dafür hatte, unbewusst, der Völkerbund gesorgt, als er Anfang der 20er Jahre die Grenzen zwischen dem britischen und dem französischen Mandatsgebiet zog und damit den Grundstein für die Gründung von Syrien, Jordanien und des Libanon legte.

Wie sich die Wahrnehmungen gleichen

Sehr ähnlich sind sich derweil die gesellschaftlichen Entwicklungen auf beiden Seiten: Auch hier wurde das Streben nach dem großen Ziel, die Gründung eines palästinensischen Staates, lange Zeit von dem Streben nach Integration aller, auch der radikalen, Kräfte in der Gesellschaft begleitet – im Vordergrund stand der Kampf gegen Israel und für einen eigenen Staat. Um allen die Möglichkeit zu geben, daran teilzunehmen, wurden alle Meinungen und Befindlichkeiten, die darüber hinaus gingen, hintan gestellt.

Machte dies sowohl in Israel wie in den Palästinensischen Gebieten bis in die 70er Jahre hinein noch Sinn, weil beide Gesellschaften bis dahin noch recht homogen waren oder hatte man zumindest über die anders denkenden Minderheiten hinweg sehen können, änderte sich dies nach dem Sechs-Tage-Krieg und der damit einhergehenden israelischen Besatzung von Westjordanland und Gazastreifen: Im Laufe der darauf folgenden 20 Jahre entstanden im Laufe eines langsamen Prozesses israelische Siedlerbewegung und Gruppen wie Hamas und Islamischer Dschihad, zwei palästinensische Gruppen, die sich nicht in das eher säkular bestehende Rahmenwerk der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO einfügen wollten, nach einer islamischen Republik nach dem Vorbild des Iran streben und, was auch auf die israelische Seite zutrifft, dem Kampf für die eigene Sache einen religiösen Unterbau schufen.