Träume ohne Grenzen

Seite 3: Warum sich Hügel und Tal so schwer integrieren lassen

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Und damit wurden auch Jonathan und Mohammad geboren: Zwei junge Männer, in deren Welten Thora oder Koran die ultimativen, unanfechtbaren, unkritisierbaren Gesetzbücher sind, und in denen es keine Kompromisse gibt, weil Gottes Wort eben absolut ist. Stattdessen gibt es Waffen. Und den mit jedem Tag der politischen Debatte, jedem Tag des Kompromisses, zunehmenden Willen, sie gegen die Gegner im eigenen Lager und auf der anderen Seite einzusetzen. „Noch ist nichts passiert, aber das wird nicht immer so bleiben – diese Leute radikalisieren sich zunehmend“, sagt Ami Ayalon, der früher Chef des israelischen Inlandsgeheimdienstes Schin Beth war und heute für die Arbeiterpartei im Parlament sitzt.

Wie schwierig es ist, den nationalistisch-religiösen Rand in das gesellschaftliche Gesamtbild einzufügen, wurde bereits während und nach der Räumung des Gazastreifen deutlich: Die israelischen Siedler dort sahen sich und ihre Ortschaften als Teil Israels, gestützt auf jene Unter-Ideologie innerhalb des Zionismus', die das Maximum, also den damaligen Status Quo, zum Minimum erklärt und dies mit religiösen Argumenten begründet. Nach der Räumungsankündigung durch den damaligen Premierminister Ariel Scharon im April 2004, hätten sich viele der National-Religiösen unter den Siedlern in einer Art Schock befunden, erläutert der Psychologe Amnon Misrachi:

Da hatte ein jüdischer Regierungschef das für sie Undenkbare getan und angekündigt, er werde Land aufgeben. Abgesehen davon, dass sie nach vor dieses Land als ihre Heimat betrachten, fürchten sie auch um ihr Wohlergehen, denn das ist ja nicht irgendein Land, sondern das Gelobte Land. Im Laufe der vergangenen eineinhalb Jahre haben ja immer wieder sowohl jüdische als auch christliche Fundamentalisten die Gaza-Räumung für alle möglichen Katastrophen in der Welt verantwortlich gemacht.

So lässt sich auch erklären, warum die Siedler damals nicht einfach begannen, sich Jobs und Wohnungen irgendwo im israelischen Staatsgebiet suchten, wie es die meisten der Israelis taten, die nach dem Friedensvertrag zwischen Israel und Ägypten Ende der 70er Jahre ihre Siedlungen auf der Sinai-Halbinsel verlassen mussten:

Das war damals etwas völlig anderes. Der Sinai ist nicht Teil des gelobten Landes, und der Siedlungsgedanke war damals noch nicht so ausgeprägt. Der spirituelle Moment war dementsprechend in diesem Fall nicht vorhanden; der wurde ja erst im Laufe der Zeit geschaffen, um die nationalistischen Bestrebungen zu untermauern. Es gab allerdings Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und jenen, die der Ansicht waren, dass Israel jedes Stück Land, dass es einmal erobert hat, behalten müsse.

Amnon Misrachi

Im Fall der Gaza-Räumung jedoch warteten die meisten der Siedler bis zum Schluss, bis Polizei und Armee kamen, um sie aus ihren Häusern zu tragen, immer darauf hoffend, dass irgendetwas, vielleicht eine göttliche Eingebung, die gegenüber den Medien immer wieder beschworen wurde, die bevorstehende Räumung noch verhindern werde. „Die Leute dort hatten sich immer als Teil der israelischen Gesellschaft gesehen, waren aber in ihren umzäunten, gut bewachten Siedlungen völlig außer Kontakt mit dem Rest des Landes geraten,“ beschreibt der Soziologe Juwal Rubin die damalige Stimmungslage:

Für viele von ihnen war im Laufe der Zeit der religiöse Auftrag in den Vordergrund getreten; den meisten Israelis anderswo hingegen ist Sicherheit wichtiger und deshalb betrachteten viele von ihnen die Siedlungen nach mehr als vier Jahren eher als Sicherheitsrisiko. Die Siedlungsräumungen waren damit auch ein offener Bruch, eine direkte Konfrontation zwischen den beiden Lagern, die bis heute nachwirken. Die Spaltung zwischen Religiös und Säkular lässt sich mittlerweile auch im täglichen Leben oft beobachten: Nachdem der religiös-ideologische Bevölkerungsteil dabei ist, seine Spielwiese zu verlieren, beansprucht er diese in Israel selber – Szenen, wie wir sie im vergangenen Jahr vor der Schwulenparade oder auch jetzt während Pesach erlebt haben, sind darauf zurückzuführen. Es herrscht das Gefühl, dass die Säkularen zum Angriff auf den Status Quo blasen.

Wie man zum Verräter wird

So sehen sich nun Jonathan und Mohammad gefordert: Letzterer sieht in dem Abzug aus Gaza und dem nördlichen Westjordanland einen Beweis dafür, dass Israel besiegt werden kann, und fordert mehr. „Wir müssen zuschlagen; jetzt ist die Gelegenheit“, sagt er, „Israel ist eben doch nicht für die Ewigkeit.“ Jonathan indes glaubt, das Judentum vor seinem Untergang retten zu müssen: „Die meisten haben sich von ihren Werten abgewandt. Wenn wir sie nicht dazu bringen, wieder dazu zurückzukehren steht uns Schlimmes bevor“, sagt er nach der Konfrontation mit den Kneipen-Gästen am Sonntag, oder schreit es vielmehr, weil er von seinem Gegenüber nach seinem Besuch auf „seinem“ Hügel im Westjordanland „mehr erwartet hätte“. Dass man anderer Ansicht sein kann, und dennoch gerne verstehen können möchte, dafür hat er kein Verständnis: „Wenn Du nicht für uns bist, dann bist Du genauso ein Verräter wie alle Anderen auch“, brüllt er. Dann ziehen er und die Anderen ab, um ein paar Straßen weiter ein paar Mülltonnen anzuzünden.

Wir müssen uns daran gewöhnen und darauf vorbereiten, dass eine Einigung mit den Palästinensern auch einen möglicherweise gewaltsamen Konflikt in unserer eigenen Gesellschaft auslösen könnte. Bei den Palästinensern gibt es diesen Konflikt ja bereits. Das Problem der ungenehmigten Siedlungsaußenposten wurde zu lange vernachlässigt. Wenn verhindert werden soll, dass bald Juden auf Juden schießen, müssen diese Posten umgehend geräumt und ihre Bewohner, falls möglich, in die Gesellschaft integriert werden - und ich kann der palästinensischen Seite nur raten, das Gleiche zu tun.

Ex-Geheimdienstler Ami Ayalon