Trans-Gen oder Gen, das ist hier die Frage

Risikobewertung soll sich neuerdings am Fitness-Effekt orientieren

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Ein Transgen, das Sonnenblumenpflanzen vor Pilzbefall schützt, dominiert nicht den natürlichen Wuchs. US-Forscher empfehlen, das Risiko von GM-Pflanzen nur noch nach dem Fitness-Effekt zu bewerten.

Während die Befürworter genetisch modifizierter Pflanzen den Verzicht auf Pestizide und die ökonomischere Ausbeute preisen, befürchten die Gegner, dass die künstlich eingepflanzten Transgene den natürlichen Bestand zunichte machen. Nicht der wirtschaftliche Nutzen stehe im Vordergrund, sondern die spätere Knechtschaft, die von den patentierten Pflanzen ausgeht. Ferner könne der gesundheitliche Schaden für Tiere und Menschen und die Wechselwirkungen zur natürlichen Umwelt noch keineswegs verlässlich genug abgeschätzt werden.

John M. Burke und Loren H. Rieseberg von der Vanderbilt University in Nashville präsentieren in Science Untersuchungsergebnisse, mit denen sie die europäische Ablehnung in Bewegung bringen wollen. "Die Risikobewertung darf sich nicht länger auf die Vermischung zwischen natürlichen und gezüchteten Pflanzenarten oder auf die Ausbreitung der artifiziellen Pflanzen konzentrieren, sondern muss sich am Fitness-Effekt orientieren," erklärt John M. Burke.

(Credit Science)

Das Modell der Biologen ist die Sonnenblume, die durch den Befall mit einem Pilz (Sclerotinia sclerotiorium) Schaden nimmt. Das Transgen Oxalatoxidase vermindert die Pathogenität, indem das für den Pilz günstige Milieu durch den Abbau der Oxalsäure verschlechtert wird. Obwohl transgene Sonnenblumenkerne in den Vereinigten Staaten überwiegend unter kontrollierten Bedingungen ausgestreut wurden, kam es bereits zur weiträumigen Vermischung mit natürlichen Pflanzenbeständen. Die Folge: Sonnenblumen gedeihen auch dort, wo sie unerwünscht mit dem Anbau von Getreide und Mais konkurrieren. Mit dieser Erkenntnis traten John M. Burke und Mitarbeiter im Vorjahr an die Öffentlichkeit (vgl. Der Sonnenblumengau).

Bei dem jetzt berichteten zweijährigen Versuch säten John M. Burke und Loren H. Rieseberg transgene Pflanzen und rückgekreuzte transgen-freie Sonnenblumen unter kontrollierten Bedingungen. In den ausgewählten drei Staaten mit ihrem landestypischen Klima von heiß bis feucht-warm entwickelte sich die Saat unterschiedlich. Dennoch blieb die Ausbeute im Vergleich beider Pflanzentypen gleich. Unterschiede ergaben sich erst dort, wo 50 Prozent Pilzbefall künstlich herbeigeführt wurde. Im heißen Kalifornien erkrankten nur wenige GM Pflanzen, in Indiana hingegen erfasste die Infektion beide Pflanzentypen gleichermaßen. Ähnlich verhielt sich die Saatausbeute. Die Biologen schließen daraus, das Transgen greife nicht in die natürliche Evolution der Sonnenblumen ein, sondern unterstütze die Pflanzen dort, wo es nötig ist.

Das von den Wissenschaftlern in die Risikobewertung neu eingebrachte Element ist der "Fitness-Effekt". Kein wirklich neues Charakteristikum, weil es seit langem in der Dynamik der Populationsgenetik benutzt und rechnerisch behandelt wird. Die Theorie besagt, dass bei natürlicher Selektion bestimmte Gen- oder Phenotypen unterschiedlich stark entwickelt werden, was wiederum auf unterschiedlichen Fertilitäts- und Überlebensraten beruht. Genmutationen, insbesondere bei diploiden, aber auch bei haploiden Chromosomensätzen wirken sich neutral, zerstörerisch oder günstig aus.

Der Effekt kann allerdings nicht am Lineal oder nach der Gaußschen Verteilung abgeschätzt werden, sondern folgt einer komplexen, vielfach unbekannten Funktion. Die US-Forscher argumentieren hingegen: Würde der Ausleseprozess für GM-Pflanzen so durchgreifend sein wie die GM-Gegner annehmen, käme es zur Dominanz der genetisch modifizierten Sonnenblumen. Tatsächlich bleibt dieser Effekt bei ihren Untersuchungen aus, weil die Fruchtbarkeit der wilden Pflanzen gleich oder besser ist als der GM-Sonnenblumen. Das heiße Klima in Kalifornien begünstigt zwar die Infektion der rückgekreuzten Pflanzen, verringert aber nicht die Saat. Auf den anderen Feldern scheinen viele der rückgekreuzten "natürlichen" Pflanzen bereits gegen den Pilz immun zu sein. In der Summe:

Wir haben erwartet, dass die transgenen Pflanzen bevorzugt sind. Überraschenderweise fanden wir genau das nicht. Ein Zeichen dafür, dass die natürliche Selektion wirksam wird.

Was zählt, ist die Menge an Sonnenblumenkernen (Credit Science)

Gegenwärtig bringt das Öl aus Sonnenblumenkernen jährlich 40 Milliarden US Dollar ein. Durch den Pilzbefall erleiden die Bauern einen Verlust von 50-80 Millionen US Dollar. Rechnerisch sind das 1,2-2,0 Promille. Nach Ansicht von John M. Burke rechtfertigt dieser Verlust die Bemühungen von Pioneer Hi-Bred International, einem Unternehmen der DuPont-Gruppe, um die Entwicklung transgener Sonnenblumen voranzutreiben. "Statt händeringend darüber nachzudenken, ob und wie intensiv Transgene in die Umgebung getragen werden, ist es an der Zeit, das Problem an der Wurzel zu packen, nämlich danach zu fragen: welchen Effekt haben Transgene, nachdem sie in die Umwelt gelangen," fordert John M. Burke.

Pragmatiker und die Industrie werden die neuen Überlegungen dankend aufgreifen. Das Eingeständnis der bereits jetzt unumkehrbaren Verbreitung transgener Pflanzen fördert die Bereitschaft, weitere Feldversuche aus kommerziellen Interessen zuzulassen, und die rigiden Vorschriften des National Research Council ("Environmental Effects of Transgenic Plants: The Scope and Adequacy of Regulation") aufzuweichen. Steven H. Strauss beschwor erst kürzlich in Science die "democratization of biotechnology" im Kampf gegen "regulations".

Dieser Trend lässt die Gegner von GM Pflanzen auf verlorenem Posten: ihnen entgleitet die bisherige Richtschnur. "Fitness", so schreibt John Heritage von der University of Leeds in Großbritannien in seinem Kommentar in Science, "ist kein Bestandteil der erst kürzlich von der EU publizierten Richtlinien (European Commission Scientific Steering Committee: Guidance Document for the Risk Assessment of Genetically Modified Plants and Derived Food and Feed vom 23.April 2003)." Da geht der Blick unnötigerweise zurück zu den Unwägbarkeiten durch die Verbreitung des Transgens.

Tatsächlich sind die Kenntnisse über den Fitness-Effekt jenseits der Theorie rudimentär. In Nature ergibt die Suche drei Treffer, in Science ein wenig mehr, wobei Untersuchungen bei tierischen Lebewesen überwiegen. Anfang des Jahres beschreibt dort eine italienische Arbeitsgruppe den "Impact of Gentic Manipulation on the Fitness of Anopheles stephensi Mosquitoes" mit den Worten:

Die Entwicklung eines exogenen Gens, die Mutationen nach seiner Implantation, und die Transformationen im Verlauf der Vermehrung (nach 10 Generationen) führt zu einem Verlust der Fitness.

John M. Burke und Mitarbeiter sind bisher die Antwort schuldig geblieben, wie fit die Sonnenblumen zwei oder gar mehr Generationen später sein werden - oder nach der Anpassung des Pilzes an weniger Oxalate.