Transportmittel Müll

Immer mehr Lebewesen nutzen die Verschmutzung der Weltmeere, um in weit entfernte Öko-Systeme einzufallen, wodurch diese aus dem Gleichgewicht kommen können

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Nach Schätzungen der britischen Marine Conservation Society sterben jedes Jahr über eine Million Vögel und mehr als 100.000 Meeressäugetiere und Seeschildköten, weil sie mit den Rückständen unserer Zivilisation per Kollision oder Nahrungsaufnahme in allzu nahen Kontakt gekommen sind. Und die etwa 30.000 Seehunde, die sich alljährlich in willkürlich ausgelegten oder einfach vergessenen Netzen verfangen, sind dabei nicht einmal berücksichtigt. Doch die nächste ökologische Katastrophe ist schon im Anmarsch und vielleicht noch sehr viel heimtückischer und folgenreicher. Der irische Zoologe David K. A. Barnes hat herausgefunden, dass viele Kleinstlebewesen den menschlichen Abfall als Transportmittel nutzen und die Ökosysteme zwischen Nord- und Südpol aus dem Gleichgewicht zu bringen drohen.

Barnes untersuchte für die British Antarctic Survey und die irische University College Cork University College Cork das Treibgut an den Küsten von insgesamt 30 Inseln zwischen Spitzbergen im Nordpolarmeer und dem antarktischen Signey Island. Die Ergebnisse seiner zehnjährigen Forschungsarbeit, die in Nature publiziert wurden, deuten auf ein gewaltiges Umweltproblem von bislang ungeahntem Ausmaß hin. 20 bis 80% des Treibguts stammen eindeutig aus menschlichen Zivilisationsrückständen, in mehr als der Hälfte aller Fälle handelt es sich um Plastikmüll, der vor allem von der fischverarbeitenden Industrie in den Weltmeeren zurückgelassen wird. Auf diesen Mülltransporten gelangen immer mehr ortsfremde Tierarten in Arktis und Antarktis und bilden hier eine Vielzahl neuer Kolonien.

Barnes berichtet, dass sich die Verbreitung solcher Fremdarten in den subtropischen Gewässern fast verdoppelt und in den nördlicheren Breitengeraden sogar mehr als verdreifacht hat. Bislang konnte nicht ausreichend erforscht werden, welchen Einfluss die massenhafte Ansiedlung von Krebsen, Polypen, Entenmuscheln oder Moostierchen auf die heimische Flora und Fauna hat. Barnes und seine Kollegen gehen aber davon aus, dass insbesondere für das sensible Ökosystem der Antarktis ebenso schwere wie dauerhafte Schäden befürchtet werden müssen.

Die werden sich allerdings nicht heute und auch nicht morgen zeigen. Denn noch verhindern Eisplatten und niedrige Temperaturen die unkontrollierte Verbreitung der Eindringlinge. Falls die Klimapropheten allerdings recht behalten und die Temperatur im südlichen Ozean in den kommenden Jahren tatsächlich um durchschnittlich zwei Grad Celsius ansteigt, stellt sich die Lage anders dar.

"Wenn niedrige Wassertemperaturen für fremde Organismen das größte Hindernis bei der Invasion der Antarktis bedeuten", erklärt Barnes, "dann kann eine Erwärmung der Polarregionen dieses Hindernis beiseite schaffen. Viele Meeresbewohner, die seit Urzeiten in der Antarktis beheimatet sind, reagieren schon auf kleinste Temperaturschwankungen sehr empfindlich. Wenn fremde Spezies in diese Regionen eindringen, können sie in den Ökosystemen zweifellos dramatische und irreparable Veränderungen bewirken."

David Barnes wird seine Untersuchungen in den nächsten Jahren fortsetzen und sucht zu diesem Zweck noch freiwillige Helfer, die sich für Forschungsarbeiten auf Socotra, dem Chagos-Archipel, den Bermudas und anderen Inseln interessieren (Kontakt: dkab@ucc.ie.