Trotz Krisenmaßnahmen: Inflation im Euroraum auf neuem Rekordhoch

Symbolbild: Gerd Altmann auf Pixabay (Public Domain)

In einigen Ländern nähert sich die Inflation der 20-Prozent-Marke, in Deutschland sind es „nur“ 7,5 Prozent. Seit der Einführung der Gemeinschaftswährung war sie nie so hoch

Diese von der europäischen Statistikbehörde Eurostat geschätzten Inflationsraten für April sollte man sich auf der Zunge zergehen lassen: Estland 19 Prozent, Litauen 16.6, Lettland 13,2, Niederlande 11,2, Slowakei 10,9, Griechenland 9,4, Belgien 9,3. Auch große Euroländer wie Spanien haben, obwohl inzwischen staatlich sogar die Spritpreise pro Liter mit 20 Cent subventioniert werden, weiterhin eine offizielle Inflation von 8,3 Prozent und auch Deutschland liegt mit offiziell 7,8 Prozent nur noch knapp darunter.

Verzerrter "Verbraucherpreisindex"

Lassen wir uns aber von den Angaben des Statistischen Bundesamts (Destatis) nicht verwirren. Denn Destatis gibt zwar auch eine besorgniserregend hohe Inflation an, doch die Konsumentenpreise sollten nach Destatis-Angaben gegenüber dem Vorjahresmonat „nur“ um 7,4 Prozent gestiegen sein.

Das hat schlicht damit zu tun, dass das Bundesamt den noch verzerrteren „Verbraucherpreisindex“ (VPI) benutzt, während die europäische Statistikbehörde mit dem international vergleichbareren „Harmonisierten Verbraucherpreisindex" (HVPI) arbeitet. Deshalb gehen die Angaben auseinander.

Nach 7,4 Prozent im März ist die geschätzte Teuerungsrate im April nun im Durchschnitt der Euroländer mit 7,5 Prozent auf einen neuen Rekordwert gestiegen. „Im Hinblick auf die Hauptkomponenten der Inflation im Euroraum wird erwartet, dass ‚Energie‘ im April die höchste jährliche Rate aufweist (38,0 Prozent, gegenüber 44,4 Prozent im März), gefolgt von ‚Lebensmitteln, Alkohol und Tabak‘ (6,4 Prozent, gegenüber 5,0 Prozent im März), ‚Industriegütern ohne Energie‘ (3,8 Prozent, gegenüber 3,4 Prozent im März) und ‚Dienstleistungen‘ (3,3 gegenüber 2,7 Prozent im März)“ aufweisen soll, schreibt Eurostat.

Eine solche Teuerungsrate hat es seit der Einführung des Euro als europäische Gemeinschaftswährung noch nie gegeben. Dass nun die Inflationsrate in immer mehr Ländern zweistellig ist und in einigen Ländern sogar die Marke von 20 Prozent erreicht, zeigt zudem an, dass es noch viel Luft nach oben gibt und die Geldentwertung zum Teil schon galoppiert.

In einigen Ländern wie Frankreich, schließlich war dort Wahlkampf, ist die Inflationsrate mit 5,4 Prozent noch vergleichbar niedrig. Diese Teuerungsrate wurde – teuer für den Staat – über gedeckelte Energiepreise erreicht. Die Regierung hatte vor den kürzlich abgehaltenen Präsidentschaftswahlen die Gas- und Strompreise gedeckelt. Pünktlich vor dem ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen wurden am 1. April auch die Spritpreise an den Tankstellen um 18 Cent gesenkt. Es war klar, dass Macron seine Kandidatur nicht mit Spritpreis-Protesten belasten wollte, weshalb er tief in die Schatulle gegriffen hat.

Da am 12. Juni der erste Wahlgang zu den Parlamentswahlen stattfindet, wird sich das kurzfristig auch nicht ändern. Aber es ist natürlich kein Zufall, dass die Maßnahme auf vier Monate beschränkt wurde und am 31. Juli nach den Parlamentswahlen auslaufen wird. Bisher wird in Frankreich also die Inflation über hohe und ungezielte Subventionen mit der Gießkanne künstlich niedrig gehalten, um das Wahlvolk nicht zu verschrecken.

Auch wohlhabende Autofahrer profitieren

Das dicke Ende kommt aber demnächst, da diese für die Staatsfinanzen ruinöse Politik nicht lange aufrechterhalten werden kann. Offiziell will die Regierung die Subventionen neu kalibrieren. Denn auch für Wirtschaftsminister Bruno Le Maire ist klar, dass jeder Autofahrer gleich profitiert, also auch „Autofahrer mit sehr hohem Einkommen oder solche, die ihr Fahrzeug nicht für die Fahrt zur Arbeit nutzen“.

Auch er weiß, dass diese Tankrabatte eine „sehr kostspielige“ Angelegenheit für den Staat sind und schon wie bisher geplant drei bis vier Milliarden Euro kosten.

Das sind im Fall Frankreichs natürlich Milliarden, die sich als neue Schulden auf den ohnehin stark wachsenden Schuldenberg auftürmen. Das saisonbereinigte Defizit im französischen Haushalt ist seit Jahren nicht unter die Marke von vier Prozent gefallen, es stieg in der Covid-Krise teilweise – wie im zweiten Quartal 2020 – sogar auf 14,5 Prozent.

Nach den Stabilitätskriterien sollten drei Prozent nicht überschritten werden. Schon im vierten Quartal 2021 hatte Frankreich einen Schuldenberg von fast 2,7 Billionen Euro aufgehäuft, das sind schon fast 115 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Nach den Stabilitätskriterien sollten es höchsten 60 Prozent sein. Im Nachbarland Spanien sind es allerdings schon 120 Prozent.

In Griechenland, wo man über absurde Austeritätsprogramme des Internationalen Währungsfonds (IWF) die Schuldenquote 2020 auf 120 Prozent senken wollte, ist die Verschuldungsquote schon auf 206 Prozent angewachsen und Italien ist mit 155 Prozent auch weiter auf einem Kurs, der den Schuldendienst eigentlich unbezahlbar macht.

"Madame Inflation"

Auch und vor allem für ihr Frankreich im Wahlkampf macht die ehemalige IWF-Chefin Christine Lagarde als „Madame Inflation“ als Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB) eine Geldpolitik, die immer absurder wird. Ungebremst hält sie an der Geldschwemme und der Null- und Negativzinspolitik fest. Das tut sie auch jetzt noch mit konsequenter Realitätsverweigerung, da trotz einer enormen Inflation nichts an der Geldpolitik geändert wird.

Von der Aufgabe, für Geldwertstabilität zu sorgen, kann keine Rede mehr sein. Die ohnehin erhöhte Zielmarke von zwei Prozent wird seit langem nicht mehr eingehalten. Während andere Währungsräume längst das Ruder herumgerissen und mit Leitzinserhöhungen begonnen haben, hält die Lagarde-EZB das Ruder weiter auf dem bisherigen Kurs und man benutzt dafür entweder absurde Prognosen oder findet immer neue Ausreden.

Denn, das haben wir hier auch schon aufgeführt, hat der Ukraine-Krieg mit der Inflationsentwicklung nur wenig zu tun, auch wenn der sie natürlich weiter antreibt. Doch wird der Krieg nun gerne, auch in den sogenannten Qualitätsmedien, als Ausrede für die Rekordinflation benutzt.

Dabei war die Inflationsrate schon vor dem Ukraine-Krieg im Januar im Euroraum auf 5,1 Prozent geklettert und wurde im Februar nur durch den Kriegsausbruch auf 5,8 Prozent getrieben.

Gier und Spekulation

Wie hier schon vor längerer Zeit aufgezeigt, hatte auch die Spritpreisexplosion, die für die Inflationsentwicklung bedeutsam ist, real nur wenig mit den gestiegenen Ölpreisen zu tun. 2008 kostete das Barrel Öl fast 150 US-Dollar, doch stieg damals der Dieselpreis nur auf etwa 1,50 Euro an. Derzeit kostet das Barrel Nordseeöl Brent aber nicht einmal 109 Dollar.

Dass Gier und Spekulation eine bedeutsame Rolle bei der Energiepreisexplosion für Verbraucher zu tun hat, wurde hier auch schon erklärt.

Doch es ist offensichtlich, dass dagegen genauso wenig vorgegangen werden soll, wie die Geldpolitik geändert werden soll, die für hohe Energiepreise ebenfalls mitverantwortlich ist. Wie in Frankreich oder Spanien denkt man viel lieber auch in Deutschland über absurde Tankrabatte nach. Man will auch hier Spritpreise subventionieren, um die Inflationsraten zu stabilisieren oder zu senken. Spekulationsgewinne anzugreifen, darüber denkt man lieber nicht nach.

Ein oben angedeutetes Problem sollte nicht unbeachtet bleiben. Denn es ist die EZB-Politik des extrem billigen Geldes, die zwar auf der einen Seite die Staatsverschuldung für einige Länder bezahlbar hält und die Schulden nun zum Teil über die hohe Inflation weginflationiert. Aber es ist diese Geldpolitik, die für die extrem hohen Energiepreise mitverantwortlich ist.

So werden über die Geldpolitik nicht nur Sparer immer schneller enteignet, die keine Zinsen bekommen, bisweilen sogar Negativzinsen und immer neue Gebühren bei Banken bezahlen müssen, sondern ihnen wird das ständig entwertete Geld immer schneller für hohe Preise aus der Tasche gezogen.

Schließlich wird beispielsweise Öl auf dem Weltmarkt in US-Dollar bezahlt. Da die EZB aber an der Geldpolitik nichts ändert, die US-Notenbank FED derweil zum Beispiel auch die Leitzinsen schon erhöht hat, gibt der Euro gegenüber dem Dollar weiter nach. Kapital fließt in Richtung der Währungsräume ab, in denen die Leitzinsen wie in den USA erhöht wurden. Das verteuert natürlich Energieimporte für Verbraucher im Euroraum über den sich veränderten Währungskurs weiter.

Umso stärker sich der Euro gegenüber dem Dollar verbilligt, umso teurer wird Öl und Gas für die Verbraucher im Euroraum, auch wenn die Preise für Öl und Gas gar nicht ansteigen.

So hätte die EZB, anders als sie behauptet, sehr wohl eine Möglichkeit, dämpfend auf die Energiepreise einzuwirken – und damit natürlich auch auf die Inflation. Das hätte aber als Wirkung, dass hochverschuldete Staaten wie Frankreich, Spanien, Italien und Griechenland über steigende Leitzinsen in die Bredouille kämen, da der Schuldendienst darüber teurer oder sogar unbezahlbar würde.

Somit ist man in der Lagarde-EZB in Frankfurt am Main aber tief in die Sackgassen gerannt, dass man lieber Energie und Spritpreise über das billige Geld subventioniert – und damit die Staatsverschuldung weiter hochschießen lässt.

Verfehlte Konjunkturpolitik

Die EZB ist inzwischen ganz offensichtlich in einem Teufelskreis gefangen, aus dem sie nicht aussteigen will. Je später sie das tut, umso heftiger werden allerdings die Bremsspuren.

Da die EZB seit vielen Jahren Konjunkturpolitik macht, prügelte sie über ihre Geldpolitik den Euro gezielt nach unten, um Waren aus dem Euroraum für andere Währungsräume billiger zu machen und damit die Exporte und die Konjunktur zu stärken.

Jetzt zahlen wir eben den Preis für diese völlig verfehlte Politik. Doch die erwartete Ernte fällt dafür fällt derzeit weitgehend aus, da Lieferengpässe und Probleme in den Lieferketten dazu führen, dass man zwar auf dem Weltmarkt billiger verkaufen könnte, aber dort nicht verkaufen kann, weil man nicht liefern kann.

Wir haben es also mit einem perfekten Sturm zu tun – und die Anzeichen für eine gefährliche Stagflation, dass eine hohe Inflation mit einer Stagnation der Wirtschaft oder mit einer Rezession zusammenfällt, werden immer deutlicher. Der Werkzeugkasten, mit dem die EZB stimulierend auf die Konjunktur Einfluss nehmen könnte, ist aber inzwischen leer.

Es ist kein Wunder, dass angesichts dieser Entwicklung, die Wachstumsprognosen ständig zurückgenommen werden. Dabei sollte doch gerade jetzt ein starkes nachholendes Wachstum nach der Covid-Pandemie kommen. Doch das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland ist im ersten Quartal gegenüber dem Vorquartal gerade einmal um schwache 0,2 Prozent gestiegen.