Tsipras und die Linken

Seite 3: Statt der Einheit von Organisation und Programm eine schöngeistige Ideologie der "Vielzahl von Alternativen"

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An die Stelle der Einheit von Organisation und Programm, die den Kern der alten linken Politik bildete, kam die Ideologie der "Vielzahl an Alternativen". Aber diese Ideologie kann nur in den Köpfen schöngeistiger Intellektueller und naiver Studenten operieren, denen sogar der Sinn für politische Verantwortung abgeht.

Wenn ihr eine echte Umwandlung wollt, dann muss nicht nur eine Alternative ausgewählt werden, zu deren Verwirklichung man alle Kräfte einsetzen muss, sondern es ist auch unvermeidlich, entschieden alle übrigen Varianten und "Alternativen" zu verwerfen und, wenn nötig, mit ihnen zu kämpfen. Das Gesetz des politischen Kampfes wie auch das Gesetz des Krieges ― ist die Konzentration aller Kräfte.

Auf widersprüchliche Weise kehrten die Ideologen und Anführer von Syriza, die von der Ideologie der "Vielzahl an Alternativen" ausgegangen waren, zur faktischen Anerkennung der Formel von Mrs. Thatcher zurück: There is no alternative.

Genau das stellte Varoufakis im Grunde fest, als er verkündete, dass er in der gegenwärtigen Situation keine Alternative zur Unterwerfung unter die Logik des Systems sehe. Diese ideelle Kapitulation kam sogar noch vor der politischen Kapitulation zustande. Und letztlich wurde sie durch die Illusionen der "radikalen Linken" vorherbestimmt, wonach man ein wenig kämpfen und die Macht übernehmen könne, ohne die Verantwortung auf sich zu laden.

Wenn solch eine tragische Situation nur für Griechenland charakteristisch wäre, dann wäre das traurig, aber nicht katastrophal. Allerdings versucht ein signifikanter Teil der Linken in anderen Ländern, Syriza trotz allem zu rechtfertigen und den armen Tsipras zu bemitleiden, der zum Opfer einer Erpressung geworden sei, oder ihm einen geheimen "Plan B" vorzuschlagen, der vom griechischen Premier überhaupt nicht in Betracht gezogen wird.

Auf den ersten Blick liegt der Grund für so eine merkwürdige Reaktion darin, dass sich die eigentümlichen politischen Positionen und Ansätze vieler jener, die heute fassungslos sind, kaum von den Ansätzen Syrizas unterschieden haben. Sich im vollen Umfang zum Bankrott dieser Politik zu bekennen, heißt entweder, sich zum eigenen Bankrott zu bekennen oder einen prinzipiell anderen Ansatz zu wählen, der einen unvermittelten, schroffen Bruch mit den üblichen Formeln darstellt, deren Wiederholung es einem ermöglicht, bequem im Rahmen des neoliberalen Systems zu funktionieren und sich gleichzeitig als unversöhnlichen Kämpfer gegen jenen darzustellen.

Dazwischen liegt der point of no return ― und nicht nur in Griechenland, sondern auch auf gesamteuropäischem Maßstab. Der Zusammenbruch Syrizas und die Spaltung der Linken anhand der Haltung zur russisch-ukrainischen Krise markiert keinen geringeren Umbruch in der Geschichte der linken Bewegung als es der Zusammenbruch der Zweiten Internationale 1914 war.