Turbulenter Vorwahlkampf in Griechenland

Athene und Plato über den Wundern Griechenlands. Foto: Sébastien Bertrand / CC BY 2.0

Streitpotential bei Syriza und eine Reform, wonach der Besitz von Sprengstoff kein mit Zuchthaus bedrohtes Kapitalverbrechen mehr sein soll

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In der Syriza-Fraktion im griechischen Parlament rumort es. Zum ersten Mal seit Jahren gab es am Mittwochnachmittag, direkt nach der Rede von Premierminister Alexis Tsipras, offenen Streit unter den Abgeordneten. Eine von ihren drohte ihren Kollegen gar mit ihrem Rücktritt. Weil die betreffende Parlamentarierin, Theodora Megalooikonomou, ein Transfer von der Zentristenunion ist, gefährdet ihr angedrohter Rücktritt die Regierungsmehrheit.

Megalooikonomous Nachrücker würde von der Liste der Zentristenunion kommen und somit wäre dann die knappe Regierungsmehrheit von Tsipras perdu. In diesem für tatsächliche politische Arbeit ungesunden Klima, führt Tsipras seinen verlängerten Vorwahlkampf.

Der Termin für die Europawahlen, der 26. Mai 2019, war bislang der einzige bekannte Wahltag im Superwahljahr 2019. Ebenfalls am 26. Mai finden nun die Kommunal- und Regionalwahlen im ersten Wahlgang statt. Der 2. Juni ist für die Stichwahlen für die Kommunal- und Regionalwahlen vorgesehen. Hinsichtlich der ebenfalls 2019 fälligen Parlamentswahlen möchte Tsipras bis zum letzten möglichen Termin im Oktober durchregieren.

Megalooikonomous Gedichte

Theodora Megalooikonomou ist eine sehr eigenwillige Persönlichkeit. Sie schied aus ihrer früheren Partei, der Zentristenunion, im Streit mit Parteichef Vasilis Leventis. Tsipras nahm sie nach mehreren Monaten Parteilosigkeit bei Syriza auf, weil die streitbare Politikerin den Staatsetat der Regierung mit ihrer Stimme im Parlament stützte.

Megalooikonomou hält sich aber außerhalb des Parlamentes an keinerlei Parteidisziplin. So bricht sie das Parteiembargo gegen den Sender SKAI und merkt dabei nicht, dass die dortigen Moderatoren sie schlicht benutzen. So kommt es den gegenüber der Regierung Tsipras feindlich eingestellten Mitarbeitern von SKAI entgegen, dass die Dame zahlreiche Angriffspunkte liefert, um sie lächerlich zu machen. Sie kommt mit Gemüsekörben oder Süßgebäck zu Fernsehsendern, um die Mitbringsel mit einem ironischen, teilweise sexistischen Kommentar an politische Gegner zu verteilen.

Megalooikonomous Verehrung zu Tsipras geht so weit, dass sie eigens für ihn ein Lied schrieb, welches sie, mit allen an Kitsch grenzenden Strophen, bei einem anderen Fernsehauftritt vortrug. Dass sie keinerlei gesangliche Begabung an den Tag legte, störte sie kaum. Sie fügte später einen in gleicher Manie vorgetragenen Spottgesang auf Oppositionsführer Kyriakos Mitsotakis hinzu.

Die zahlreichen, für die Partei eher kompromittierenden Auftritte goutierte die dem linken Syriza-Flügel angehörende Annetta Kavvadia nicht. Kavvadia mahnte Megalooikonomou bei der Fraktionssitzung, sich doch bitte etwas zurückzuhalten. Das nahm Megalooikonomou ihrer Parteikollegin so übel, dass sie nichts Besseres zu tun hatte, als den Donnerstag über auf den Parlamentsfluren gegenüber jedem Journalisten, den sie wahrnahm, mit Rücktritt und somit Regierungssturz zu drohen.

Auf die Seite Megalooikonomous stellte sich Vize-Gesundheitsminister Pavlos Polakis, der seinerseits Kavvadia für ihre Kritik tadelte, "auch mit mir habt ihr Differenzen. Wir tragen alle eine schwere Last". Diese konterte, "wie Du, und viele andere auch, haben wir alle Sachen im Parlament abgesegnet, die wir nicht wollten. Wenn wir hier nicht frei sprechen können, wo dann?"

Tsipras ermahnte seine Parlamentarier, den Kritikern der Regierung keine Angriffspunkte zu liefern. Aus den eigentlichen Streitthemen hielt er sich heraus.

Straferleichterung für die Goldene Morgenröte?

Ebenfalls öffentlich wird ein weiterer Streit in der Partei ausgetragen. Justizminister Michalis Kalogirou hat eine Strafjustizreform ausgearbeitet, die nach drei Wochen öffentlicher Diskussion ins Parlament zur Abstimmung kommen soll. Die einzelnen Vorschläge des Ministers bergen massiven Sprengstoff.

Einerseits soll der Besitz von Sprengstoff kein mit Zuchthaus bedrohtes Kapitalverbrechen mehr sein. So können Bombenbauer durchaus straffrei ausgehen, wenn sie ihre Kumpane vor einem terroristischen Anschlag verpfeifen. Erheblichen Straferlass bekommt auch derjenige, der seinen Sprengstoff und seine unerlaubten Waffen selbst zur Polizei bringt. Für die konservative Opposition ist dies ein Straferlass für Demonstranten, welche Molotow-Cocktails werfen. Die Konservativen fixierten sich in ersten Stellungnahmen allein auf diesen Punkt.

Als flapsige Antwort darauf ließ sich Giorgos Kyritsis, gelernter Journalist und aktuell Parlamentarier für Syriza, zur mindestens unglücklichen Stellungnahme hinreißen, dass er in dreißig Jahren Berufserfahrung [als Journalist] nie etwas über einen Todesfall wegen eines Molotowcocktails erfahren habe. Die letzten Toten durch massiven Einsatz von Molotowcocktails gab es, nachdem bislang unbekannte Täter im Mai 2010 bei Protesten gegen Sparmaßnahmen die Marfin Bank in der Stadiou Strasse mitten im Athener Zentrum abfackelten. Dabei starben drei Bankangestellte, unter anderen eine schwangere Frau.

Kyritsis geriet sofort ins Kreuzfeuer der Kritik der Opposition, aber auch der Überlebenden der Marfin-Bank. Zudem bekam er bei der Fraktionssitzung von Nikos Filis, der wie Kavvadia dem linken Flügel, der "Gruppe der 53" angehört, Schelte und eine Belehrung über die Gefährlichkeit von Molotowcocktails. Kyritsis verhielt sich weniger theatralisch als Megalooikonomou. Er sah seinen Fehler ein.

Bei der gesamten Debatte über Molotowcocktails ging unter, dass auch dieser Passus der Justizreform auch den Angeklagten der Goldenen Morgenröte zugutekommt. Viele von ihnen sind wegen Verstoßes gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz vor dem Kadi.

Schwerer wiegt jedoch, dass der Hauptanklagepunkt der griechischen Justiz im Mammutprozess gegen die Goldene Morgenröte entkräftet wird. Deren Führungsspitze steht seit vier Jahren (erster Prozesstag 20. April 2015) vor Gericht, wegen "Bildung einer kriminellen Vereinigung". Diese Anklage brachte bislang zwanzig Jahre Zuchthaus ein.

Kalogirou will die Strafe auf fünf bis zehn Jahre begrenzen. Damit könnte die Führungsspitze der Partei, die nach achtzehn Monaten Untersuchungshaft, der höchstzulässigen U-Haft Zeit, unter Auflagen auf freiem Fuß sind, sehr schnell frei kommen.

Die Partei war ins Visier der Justiz geraten, nachdem ihr Mitglied Giorgos Roupakias in Begleitung eines Stoßtrupps der Partei am 18. September 2013 auf offener Straße und vor Polizisten den Rapper Pavlos Fyssas erstach. Der geständige Roupakias saß zunächst achtzehn Monate in Haft und steht aktuell unter Hausarrest. Die Anklage gegen ihn lautet auf Mord.

Eigentlich gibt es dafür die lebenslange Freiheitsstrafe. Nach Kalogirou soll aber nun eine Verurteilung für zehn Jahre Haft möglich sein. Roupakias hätte damit aktuell fast zwei Drittel dieser Haftstrafe verbüßt, und könnte bei der Urteilsverkündung sogar auf die Freiheit hoffen.

Stichwort Urteilsverkündung - der Prozess gegen die Goldenen Morgenröte zieht sich immer weiter in die Länge, auch weil die Regierung nicht alles tut, um der Justiz mehr Prozesstage pro Woche zu ermöglichen. Auch dies führt innerhalb der Syriza-Fraktion zu Kritik an eigenen Ministern. Die gesamte Opposition sieht in den einschlägigen Reformparagraphen ein Geschenk Tsipras an die Goldene Morgenröte.

Denn diese hatte bei einer entscheidenden Abstimmung geschlossen für die Kandidatin Tsipras für das Präsidium der Wettbewerbskommission gestimmt. Die Partei hatte den Schritt ihren Anhängern gegenüber öffentlich damit erklärt, dass sie mit der Wahl der früheren Obersten Richterin, Interimspremierministerin und Justizberaterin Tsipras, Vassiliki Thanou, ihren Stand beim Prozess gegen die Führungsspitze der Goldenen Morgenröte stärken wollte.

Vergewaltigung setzt laut Kalogirou körperliche Gewalt voraus

Frauen, nicht nur aus der Syriza-Fraktion, nehmen es Kalogirou übel, dass gemäß seiner Reform eine Anklage wegen Vergewaltigung nur dann möglich ist, wenn dem Opfer körperliche Gewalt angedroht wird. Sie bemängeln gemeinsam mit zahlreichen Vertretern des männlichen Geschlechts, dass damit sämtliche weitere Formen der Gewalt strafrechtlich entkräftet werden.

Der Denkmalstreit

Gegen Kalogirou wettert in der Syriza-Fraktion auch der frühere Justizminister Stavros Kontonis. Dieser hat aber auch mit Kulturministerin Myrisini Zorba einen Streit. Denn Zorba soll versucht haben, ein Athener Denkmal an die Hauptstadt Nord-Mazedoniens zu schenken, um im Gegenzug von dort ein Denkmal Alexanders des Großen zu erhalten.

Das Athener Denkmal, eine einen Läufer darstellende Glasskulptur, steht vor dem Hilton Hotel, der hellenistische Herrscher und Feldherr sollte eventuell sogar vor den Propyläen des Zeus aufgestellt werden. Gegen das Vorhaben sind nicht nur die Bürger, auch der Bildhauer, Kostas Varotsos, selbst möchte sein Werk in Athen sehen.

Varotsos hatte von dem Vorhaben Zorbas erfahren, als diese ihn eigens dafür ins Ministerium einlud. Tage später möchte die Ministerin von dem Treffen jedoch nichts mehr wissen, und bestreitet es.

Polakis vs Papangelopoulos

Vize-Gesundheitsminister Pavlos Polakis nahm es Vize-Justizminister Dimitris Papangelopoulos übel, dass dieser seinen Fall bereits ins Parlament gebracht hat. Polakis hatte den Zentralbankchef Yannis Stournaras angerufen und diesem gegenüber ziemlich ruppig mitgeteilt, dass er mit der Prüfung von an ihn gegebene Konsumentenkredite über 100.000 Euro durch die marode, staatlich kontrollierte Attika Bank nicht einverstanden sei.

Polakis forderte Stournaras auf, doch umgehend die Kredite der politischen Gegner zu überprüfen. Im gegenteiligen Fall, so ließ er den Bankchef wissen, würde er so lange in dessen Büro campieren, bis seine Forderung erfüllt sei.

Das komplette Gespräch landete als Abschrift bei der regierungsnahen Zeitung Documento. Polakis bestätigte den kompletten Inhalt, bestritt jedoch eine unerlaubte Telefonaufzeichnung. Stattdessen berief sich der Minister auf sein exorbitantes Erinnerungsvermögen. Stournaras hingegen erstattete Anzeige, die gemäß der rechtlichen Vorschriften vom Staatsanwalt über das Vize-Justizministerium ans Parlament geleitet wurde.

Polakis wurmt, dass andere Fälle für den behördlichen Weg viel längere Zeit beanspruchen würden. Allerdings kann sich der Minister über die Justizreform Kalogirous freuen. Denn statt zehn Jahren Gefängnis droht ihm mit dieser nur eine Bewährungsstrafe von fünf Jahren.

Wer hat wen verpetzt?

Bei der Fraktionssitzung gab es zudem einen Streit zwischen der Abgeordneten Nina Kasimati und ihrem Parteikollegen Christos Karagiannidis. Karagiannidis hatte Kasimatis Stimmzettel beim ersten Wahlgang zur Verfassungsreform fotografiert und veröffentlicht - meint Kasimati. Sie wurde kompromittiert, weil sie nicht für alle Vorschläge ihrer eigenen Partei stimmte.

Karagiannidis gehörte zu den Abgeordneten, welche die Stimmzettel auswerteten und zählten. Bei diesem Streit schlichtete Parlamentspräsident Nikos Voutsis, der befand, dass statt Karagiannidis ein Abgeordneter der Opposition das fragliche Foto gemacht haben müsse. Ein bei YouTube abrufbares Video des Parlamentsfernsehens belegt dagegen Kasimatis Version.

Warum die Parlamentarier von Syriza sich nach vier Jahren nahezu komplett geschlossener Reihen nun gegenseitig bekämpfen hat einen Grund. In den Umfragen verliert die Regierungspartei massiv Zuspruch. Nun möchte sich jeder der einzelnen Abgeordneten gegenüber seinen Kollegen in ein besseres Licht setzen, um vielleicht doch noch eine weitere Legislaturperiode mit den üppigen Diäten zu gewinnen.

Die Aussicht, nach vier beruflich sicheren und lukrativen Jahren auf dem Arbeitsmarkt zu landen, den die Parlamentarier mit ihren Gesetzen selbst geprägt haben, wirkt offenbar abschreckend.

Streitgelegenheiten gibt es viele

Die Parlamentarier müssen dabei nicht lang nach einer Gelegenheit für einen öffentlichkeitswirksamen Aufstand suchen. So bescherte der Wechsel der Spitze im griechischen Ministerium für Bürgerschutz im vergangenen August bescherte, damals für viele überraschend der erzkonservativen Katerina Papakosta den Posten einer ministeriellen Staatssekretärin.

Papakosta steht für eine der Linken ideologisch fernen law-and-order Politik. Papakosta ist für Tsipras aber wegen ihrer Parlamentsstimme, welche die Regierungsmehrheit rettet, wichtig. Die Hardlinerin setzt auf präventive Verhaftungen und auf das Durchforsten von sozialen Netzwerken.

In Giannitsa in Nordgriechenland gab es für die Polizei den Befehl, sämtliche Passanten, die sich in der Nähe des Veranstaltungsortes einer Syriza-Parteiversammlung befanden, festzunehmen, wenn diese in sozialen Netzwerken oder in Kommentarforen verdächtige Aktivitäten gezeigt hätten. So fanden sich zahlreiche Bürger Giannitsas, die im Internet erbitterte Kritik an der Regierung geübt hatten, für die Dauer der Parteiveranstaltung in der Haftzelle des Polizeipräsidiums wieder.

Einer von ihren hatte den Fehler begangen, in der Nähe des Veranstaltungsorts seinen Sohn von einer Prüfung abzuholen, was auch dem Dreizehnjährigen die Erfahrung der schwedischen Gardinen bescherte. Ein weiterer wollte schlicht wie an jedem Sonntag, seinen Kaffee samt Frühstück im Stamm-Café genießen. Pech, das dieses nahe der Parteiversammlung lag. Die Bürger haben Strafanzeige gegen sämtliche Verantwortliche erstattet.

Sie können den Vorgänger der aktuellen Bürgerschutzministerin Olga Gerovasili, Nikos Toskas, als Zeugen der Anklage einladen. Denn dieser bezeichnete öffentlich, das Vorgehen der Beamten als komplett illegal.

Toskas hat sich noch nicht zu weiteren ungewöhnlichen Maßnahmen der Polizei geäußert. Diese durchforstet nämlich auf Videos und Fotos, die von Journalisten bei der Berichterstattung über Demonstrationen gemacht wurden. Auf dem Bildmaterial werden Verdächtige als Teilnehmer an Demonstrationen identifiziert.

Weil diese im Fall der Zwangsversteigerungen von Wohnungen per Gesetz als illegal erklärt wurden, finden identifizierte Teilnehmer eine entsprechende Anklageschrift in ihrem Briefkasten. Darin können sie dann die Bilder finden, aber auch die Namen der Journalisten als - unfreiwillige und ungefragte - Belastungszeugen sehen.

Bei der überwiegenden Mehrheit der Angeklagten handelt es sich um Mitlieder der LAE, jener Partei, die von ehemaligen Syriza-Mitgliedern gegründet wurde, die sich von Tsipras im Streit um dessen Schwenk zum Sparkurs getrennt hatten.

Tsipras selbst hält sich aus dem parteiinternen Streit zwar heraus, möchte aber aus sämtlichen anderen Parteien des linken und sozialdemokratischen Lagers Abweichler abwerben. Sein Ziel ist es, sich bei den Wahlen als einziger Gegenpol der Nea Dimokratia zu etablieren. Alles andere ist ihm offensichtlich egal.

So kümmert es die Regierung wenig, dass die Kreditgeber, über eine Entscheidung der Eurogruppe, die Auszahlung einer Dividende über knapp eine Milliarde Euro mit dem Verweis auf mangelnde Erfüllung der Reformagenda abgelehnt haben. Die Milliarde wäre ohnehin nicht im Staatsetat gelandet. Ihr Verwendungszweck ist festgeschrieben. Das Geld soll an die inländischen Gläubiger des griechischen Staats, die Lieferanten, gezahlt werden.