UMTS und die "Mär" vom gierigen Staat
Interview mit einem Zeitzeugen der UMTS-Frequenzversteigerung vor zwei Jahren
Am 18. August 2000 endete in Mainz nach fast drei Wochen und 173 Durchgängen offiziell die Auktion, in dessen Verlauf sich die potentesten Telekommunikationsfirmen Europas um die Frequenzen für die vermeintliche Zukunft ihrer Branche hierzulande balgten. Die Versteigerung spülte dem Finanzminister über 98,8 Mrd. DM ins Säckel - und führte die "glücklichen" Gewinner an den Rand des Ruins. Stefan Krempl sprach mit Axel Zerdick, Professor für Ökonomie und Kommunikation am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin, der damals live dabei war und die Versteigerung im Nachhinein verteidigt.
Herr Professor Zerdick, Sie waren als "Zeitzeuge" bei der UMTS-Versteigerung vor Ort. Wurde es Ihnen ab einem gewissen Punkt mulmig?
Axel Zerdick: Oh ja, als sich die Summe der Gebote bei 30 Mrd. DM bewegte. Nicht nur mir - nach meinem Eindruck gab es ein unter Experten weit verbreitetes Unbehagen, das etwa in diesem Bereich begann und sich ab 50 Mrd. DM deutlich steigerte.
Wie erklären Sie es, dass sich gestandene Manager im reifen Alter von den damals schon angeknacksten Dotcom-Träumen der New-Economy-Jungstars anstecken ließen und immer weiter boten? Hatten die Firmen keine Kassenwärter?
Axel Zerdick: Man könnte daran zweifeln. Aber im Ernst: Es gab mehrere nachvollziehbare Elemente. Heute wundern sich alle über die Ratschläge, die die Mitbieter anscheinend von ihren externen Experten bekommen hatten. Die sagten damals aber offenbar alle dasselbe. Daraus hat sich ein ansteckender "Bandwagon-Effekt" ergeben: Auch wer Zweifel hatte - und das müssen auch in den Unternehmen viele gewesen sein -, wurde durch die offenbar überwiegende und sich in den konkreten Geboten materialisierende hohe Bewertung mitgerissen. Das wurde später bestätigt: Ich erinnere mich an meinen Schock, als uns in einer Diskussionsrunde der Finanzchef eines erfolgreichen Mitbieters erklärte, dass gleich mehrere Banken zur Finanzierung dieses Engagements bereit gewesen seien.
Was trieb die Preise noch nach oben?
Axel Zerdick: Die Versteigerungsregeln sahen vor, dass die insgesamt 12 Frequenzblöcke mindestens zu vier Lizenzen (mit je drei Blöcken) und höchstens zu sechs Lizenzen (mit je zwei Blöcken) führen konnten. Allen Bietern war klar, dass ein Wettbewerb unter sechs Gruppen noch härter werden würde als unter vier. Die Höhe der Gebote erklärt sich zum Teil aus dem nachvollziehbaren Versuch, jeweils drei Blöcke zu erwerben und damit für den zukünftigen Wettbewerb bessere Ausgangsbedingungen zu haben.
Es gab also keine Mauscheleien unter den Auktionsteilnehmern?
Axel Zerdick: Anscheinend hat es tatsächlich keine Absprachen gegeben. Dazu haben die ungewöhnlich harten Regeln des Verfahrens - bei Aufdeckung Verlust der Lizenz und zugleich vollständiger Verlust der gebotenen Summe - wohl beigetragen.
Welche Rolle spielten Sie bei der Lizenzauktion?
Axel Zerdick: Die eines informierten Beobachters. Als Mitglied des Wissenschaftlichen Arbeitskreises der Regulierungsbehörde hatte ich die Versteigerungsregeln im Detail diskutiert und war neugierig, wie sie sich im konkreten Verfahren auswirken und bewähren würden.
Heute ist klar, dass vielen der "glücklichen" Lizenzerwerber nach den Milliardeninvestitionen allein für die "heiße Luft" das Geld für den Aufbau der eigentlichen UMTS-Infrastrukturen fehlt. War auch der Staat zu gierig, zumal ihn nun Steuerausfälle plagen?
Axel Zerdick: Das Märchen vom "gierigen Staat" sollten wir rasch beerdigen. Die Grundentscheidung, die Frequenzen zu versteigern, war richtig, weil sie die ökonomischen Bewertungen der Marktteilnehmer zur Geltung kommen lässt und keine staatliche Entscheidung über vermutete Entwicklungen erzwingt. Die Höhe der Gebote war alleinige Entscheidung der Unternehmen, und niemand sollte ihnen die Verantwortung dafür nachträglich nehmen wollen.
Aber wie soll es in den Pleite-Unternehmen weitergehen?
Axel Zerdick: Die Investitionen für den Ausbau der UMTS-Infrastrukturen sind im Vergleich zu den gebotenen und bezahlten Lizenzgebühren nicht so hoch. Wenn dafür jetzt "das Geld fehlt", dann nicht wegen der Lizenzgebühren, sondern wegen der Zweifel daran, ob sich ein Markt für UMTS-Angebote rasch genug entwickeln lassen wird.
Welche Lehren gilt es für eine künftige Regulierungspolitik aus dem UMTS-Massaker zu ziehen? Welche Aufgabe könnte die EU-Kommission dabei übernehmen?
Axel Zerdick: Wir hatten schon lange vor den verschiedenen Versteigerungen vorgeschlagen, die Frequenzvergabe EU-weit zu harmonisieren, sogar eine "Euro-FCC" nach Vorbild der amerikanischen Telekommunikationsaufsicht damit zu beauftragen. Dafür gab es damals wenig Begeisterung, was angesichts der zahlreichen Probleme auch verständlich ist. Mittelfristig halte ich das aber für erstrebenswert, und zwar nicht als Aufgabe der Kommission, sondern in der Form einer unabhängigen Instanz, die dem EU-Parlament verantwortlich sein sollte. Aber das wird ein weiter Weg sein.
Können es sich europäische Telcos wie Sonera und Telefonica (Quam) oder auch die British Telecom (O2) "leisten", ihre Milliardeninvestitionen in UMTS in Deutschland einfach abzuschreiben und auszusteigen?
Axel Zerdick: Die Entscheidung ist schwierig: entweder jetzt gemäß der alten Börsenregel, dass der erste Verlust der beste ist, aussteigen und alle bisherigen Investitionen abschreiben. Oder die Lizenzgebühren durch eine hohe Wertberichtigung teilweise abschreiben und in den Netzausbau und vor allem in das Angebot und die Markteinführung zusätzlich investieren - mit dem Risiko, dass vielleicht auch das nicht funktioniert.
Könnte die Regulierungsbehörde mit einer Erlaubnis zur verstärkten Kooperation beim Netzaufbau oder beim gemeinsamen Nutzen von Lizenzen der Branche aus der Patsche helfen, wie heute verstärkt von allen Seiten gefordert wird?
Axel Zerdick: Die Regulierungsbehörde hat mit den bisherigen Entscheidungen meines Erachtens alles getan, was ohne rechtliche Schwierigkeiten möglich ist.
Was sind die konkreten Nutzungsszenarien für UMTS, wo es mit dem mobilen Mini-TV auf dem Handy wohl doch nichts so richtig wird? Braucht der Otto-Normalverbraucher die Technik überhaupt?
Axel Zerdick: Unsere Wirtschaft lebt auch in anderen Bereichen oft von Dingen, die der "Normalverbraucher" nicht im engeren Sinne braucht. Für den wirtschaftlichen Erfolg würde es ausreichen, wenn erstens eine nennenswerte Zahl von Menschen sich dies als Vergnügen leistet, wobei die Bündelung von Möglichkeiten einen Optionseffekt haben kann. Man zahlt gern auch für Dinge, die nicht immer konkret genutzt werden, die nutzen zu können aber doch einiges wert ist. Zweitens können verschiedene Nutzer unterschiedliche Angebote aus diesem Bündel attraktiv genug finden, um dafür zu zahlen.
Kann UMTS überhaupt zum Erfolg mit einem sich rechnenden Business-Modell werden?
Axel Zerdick: Das ist schwer zu sagen. Die Technik ist interessant, und die möglichen Anwendungen zum Teil attraktiv. Außerdem werden sich - wie im GSM-Markt - wahrscheinlich einige unerwartete Nutzungsschwerpunkte entwickeln. Aber wir sind ein freies Land, und jeder darf sein Geld dort einsetzen, wo er sich eine Zukunft dafür verspricht.
Würden Sie Ihr eigenes Geld auf UMTS setzen?
Axel Zerdick: Nein. Aber das ist natürlich kein Maßstab: Auch ich habe mich in solchen Dingen schon oft geirrt.
Planen Sie persönlich, sich ein UMTS-fähiges Handy zuzulegen, sobald es mal eins geben sollte? Oder hoffen Sie als Laptop-Nutzer auf den WLAN-Boom?
Axel Zerdick: In beiden Fällen natürlich ja - ich sehe beides mehr als ergänzende Angebote denn als Konkurrenz. Es liegt übrigens ein großer Reiz darin, zu den ersten UMTS-Nutzern zu gehören: für skeptische Technikinteressierte wie mich kann man sich entweder über gelungene Anwendungen freuen oder - wenn es nicht funktioniert - darüber, dass man mit seiner Skepsis richtig gelegen hat. Vor allem aber: Man wird endlich wieder anständig mobil telefonieren können. Die jetzigen Engpässe in einigen GSM-Netzen sind mehr als ärgerlich.