US-Armee nutzt Psychologen beim Verhör

Dürfen Psychologen die Befragung von Gefangenen unterstützen? Dokumente der US-Army fordern: auf jeden Fall, wenn es um Fragen der nationalen Sicherheit geht

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Das Berufsbild des Arztes ist relativ klar umrissen: Er soll Menschen zu einem Mehr an Gesundheit verhelfen, er soll heilen. Das gilt für Neurologen und Chirurgen ebenso wie für Psychiater und Psychologen. Darf er seine Dienste auch seinem Vaterland zur Verfügung stellen, um zum Beispiel besonders renitenten Terrorverdächtigen verwertbare Aussagen abzutrotzen? Im Kern geht es dabei um die Frage, wem der Arzt verpflichtet ist: seinem Patienten, der Gesellschaft, in der er lebt, oder gar beiden?

Diese Frage wird von den Ethischen Richtlinien so gut wie aller Mediziner-Verbände klar beantwortet: Der Heiler ist einzig für seinen Patienten da. Anderenfalls könnte man von ihm mit Berechtigung fordern, Menschen nicht mehr zu behandeln, die keinen Nutzen für die Gesellschaft haben oder ihr gar schaden. Chirurgen würden so schnell zu Henkern, Psychologen gäben gute Folterknechte ab, kennen sie sich doch mit den Ängsten und Motiven ihres Gegenüber besonders gut aus.

Nach dem 11. September stellte sich allerdings schnell heraus, dass nicht alle Vertreter dieses Berufsstands dieser Meinung sind. Verhörtechniken der US-Armee und der US-Geheimdienste, bei denen etwa mit Schlafentzug und dem geschickten Spiel mit Ängsten den Verdächtigen erfolgreich Informationen entlockt wurden, waren unter tatkräftiger Mithilfe von Psychologen entstanden.

Als auch die besonders schaurigen Details aus den Folterkellern von Guantanamo und Abu Ghreib ans Tageslicht kamen, stellten sich die amerikanischen Dachverbände American Psychiatric Association (APA) und American Medical Association (AMA) ziemlich eindeutig dagegen. Psychiater, so die APA, dürften sich an Verhören von Personen in militärischer oder ziviler Gefangenschaft unter keinen Umständen beteiligen - das schließe selbst die bloße Anwesenheit im Befragungsraum und die Beratung bezüglich spezieller Verhörtechniken ein. Auch die AMA konstatierte, dass Ärzte nicht an Verhören teilnehmen dürften, weder direkt noch beratend, weil das ihrer Rolle als Berater widerspreche.

Lediglich die als gesellschaftlich ultra-liberal geltende American Psychological Association (ebenfalls APA abgekürzt) brauchte etwas länger, um zu einer eindeutigen Position zu gelangen: Anwendung psychischer Gewalt lehnt die Organisation als Folter ab - das schließt zum Beispiel auch das Ausnutzen von Ängsten der Gefangenen ab. Allerdings dürften Psychologen an Verhören teilnehmen, wenn es darum ginge, künftige Gewaltakte zu verhindern.

Psychologische Stärken und Schwächen des Gefangenen als Faktoren für ein erfolgreiches Verhör

Das stört die US-Army aber offensichtlich nicht dabei, ihre eigene Interpretation ethischer Standards zu entwickeln. In einem Artikel im renommierten New England Journal of Medicine beschreibt der Bioethiker Jonathan Marks den Inhalt einiger Memos, die er auf Grundlage des US-Informationsfreiheitsgesetzes erhalten hat. Demnach versucht die Army, den von ihr beschäftigten Psychologen einen Rollenwechsel schmackhaft zu machen. Während eines Verhörs dienten sie eben nicht als Heiler, sondern als Berater in Sachen Verhaltenwissenschaft. Zudem könnten die Ärzte mit ihrer Anwesenheit womöglich auch verhindern, dass den Gefangenen Gewalt angetan wird.

Psychiatern sollte es demnach erlaubt sein, den Verhörenden bei der Befragung des individuellen Verdächtigen zu beraten, wenn ihr Input durch die „Interessen der nationalen Sicherheit“ gefordert sei und keine für medizinische Zwecke gewonnenen Erkenntnisse genutzt würden. Die Ärzte sollten dabei auch „psychologische Stärken und Schwächen des Gefangenen“ bewerten und dabei helfen, diese als Faktoren für ein erfolgreiches Verhör zu nutzen.

Marks’ Hauptkritik richtet sich dagegen, dass die US-Army damit den Positionen der Berufsverbände direkt widerspricht. Ein Psychologe, der sich derart einspannen lässt, würde seine Mitgliedschaft im Berufsverband verlieren und damit womöglich auch seine Lizenz - in einigen Bundesstaaten ist die Mitgliedschaft Voraussetzung dafür. Zudem zeigten die Dokumente, dass noch mindestens fünf Psychologen von der Armee als „Berater für Verhaltenswissenschaft“ ausgebildet wurden, nachdem die Berufsverbände ihre Ethik-Richtlinien geändert hatten.

Deutsche Psychologen dürfen übrigens „weder als Berater noch direkt an Verhören teilnehmen, wenn die Menschenwürde in diesen Verhören verletzt werden könnte“, interpretiert eine Pressemitteilung des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen seine gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Psychologie erarbeiteten Ethischen Richtlinien.