US-Atomwaffen: Biden hält am nuklearen Erstschlag fest

Gasmasken in Bunker nahe Prag, 2015. Bild: Laika ac, CC BY-SA 2.0

Themen des Tages: USA beharren weiter auf atomaren Erstschlag – und niemand bekommt es mit. Sorgen vor Lebensmittelpreisen. Cyberangriffe auf Polen.

Liebe Leserinnen und Leser,

1. Viel wurde über atomare Drohungen aus Moskau gesprochen. Weit weniger Aufmerksamkeit kommt der neuen US-Atomwaffenstrategie zu. Zu Unrecht.

2. Die Deutschen haben viele Sorgen. Die vor steigenden Lebensmittelpreisen aber überwiegen.

3. Politiker und Diplomaten in Polen (und anderorts) sollten beim E-Mail-Verkehr Vorsicht walten lassen.

Doch der Reihe nach.

Telepolis exklusiv: Polen im Visier von Cyberattacken

Regierungsstellen in Polen sind in den vergangenen Tagen und Wochen offenbar in einem weitaus größeren Maße Opfer von Cyberangriffen geworden, als dies bisher bekannt war. Das berichtet Telepolis heute unter Berufung auf diplomatische Kreise in Brüssel.

Demnach sind polnische Diplomaten in zwei Fällen offenbar Ziel sogenannter Spear-Fishing-Angriffe geworden. Der EU-Quelle zufolge wurden wiederholt E-Mails unter Missbrauch des Namens einer polnischen Diplomatin der Ständigen Vertretung Warschaus bei der EU versendet, um einen Cyberangriff durchzuführen und mutmaßlich Systeme im diplomatischen Apparat der EU zu infiltrieren.

Stimmung in Deutschland: Sorge vor Lebensmittelkosten

Steigende Preise in fast allen Lebensbereichen bereiten den Menschen in Deutschland zurzeit mehr Sorgen als andere Themen, schreibt heute Telepolis-Autor Bernd Müller, der das Thema in den vergangenen Wochen und Monaten mehrfach behandelt hatte. Selbst der Krieg in der Ukraine bereite ihnen weniger Kopfzerbrechen, ebenso der Klimawandel oder die Coronapandemie. Das geht aus einer am Samstag veröffentlichten repräsentativen Umfrage der Unternehmensberatung McKinsey hervor. Müller weiter:

Die Inflation habe in den vergangenen Monaten alle anderen Sorgen fast vollständig in den Hintergrund gedrängt, urteilten die Experten von McKinsey. Zum Vergleich: Nur 18 Prozent der Befragten nannten noch den Krieg in der Ukraine als größte Sorge, sechs Prozent den Klimawandel und drei Prozent die Coronapandemie.

Auschwitz und der Friedenspreis des deutschen Buchhandels

Mit dem Träger des Friedenspreises des deutschen Buchhandels 2022 befasst sich Telepolis heute erneut. Unser Autor Peter Nowak verweist auf den relativierenden Vergleich zwischen Auschwitz und dem russischen Krieg gegen die Ukraine durch Serhij Zhadan. Solche komparative Holocaustrelativierung sei nicht neu, so Nowak, doch es sei eben ein Unterschied, ob solche Relativierungen an einem renommierten Ort stattfinde und von Teilen des deutschen Staatsapparats mit Applaus gewürdigt werden:

Man kann hier durchaus eine Parallele ziehen zur Rede Martin Walsers anlässlich der Preisverleihung 1998 an ihn. Walser wollte damals nicht mehr ständig an Auschwitz erinnert werden – und fast das gesamte Publikum applaudierte ihm stehend. Nur Ignatz Bubis, damals Vorsitzender des Zentralrates der Juden in Deutschland, blieb erschrocken sitzen.

Neue US-Nuklearstrategie: Die Zeichen stehen auf Sturm

Von der deutschen Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt hat die US-Regierung unter Präsident Joseph Biden unlängst drei Dokumente veröffentlicht, in denen sie die Kernelemente ihrer Verteidigungsstrategie darlegt.

Zusammen mit der Nationalen Sicherheitsstrategie (NSS), die Anfang Oktober veröffentlicht worden war, bilden sie den Rahmen für die nationale Sicherheitspolitik der Vereinigten Staaten.

In den USA muss jede Regierung innerhalb eines Jahres nach ihrem Amtsantritt eine nationale Sicherheitsstrategie veröffentlichen. Der entsprechende Biden-Bericht wurde durch den Angriff Russland auf die Ukraine verzögert.

Auch die neue NSS bildet nun den Rahmen für andere Berichte: die Nationale Verteidigungsstrategie, die Nuclear Posture Review (NPR) und die Missile Defense Policy Review.

Vor allem die Nuklearstrategie der Biden-Regierung wird von kritischen Beobachtern in den USA nun entscheiden zurückgewiesen. Stephen Young von der US-amerikanischen "Union of Concerned Scientists" etwa bezeichnete die überarbeitete Nuklearstrategie der USA als "ein Dokument des Schreckens".

Die neue US-Strategie zum Einsatz atomarer Waffen breche mit einem zentralen Versprechen, das Biden noch während seines Wahlkampfs gegeben habe. Damals hatte er mehrfach versichert, eine No-first-use-Politik durchsetzen. Das wäre eine Neuausrichtung der US-Militärpolitik gewesen. Seit dem Ende des Zweitens Weltkriegs und den bisher einzigen Einsätzen von Atomwaffen auf militärische und zivile Infrastrukturen – in Japan 1945 – hat keine US-Regierung je einen Erstschlag ausgeschlossen.

Russland hatte seine defensive Haltung aus Sowjetzeiten 1993 fallenlassen und seither mehrfach Szenarien für einen Ersteinsatz atomarer Waffen skizziert.

Die US-Aktivistin Jacqueline Cabasso, Direktorin der Western States Legal Foundation, sagte nun zur neuen US-Strategie:

Angesichts der alarmierenden nuklearen Drohungen der russischen Regierung in der Ukraine und der Tatsache, dass die Welt einem Atomkrieg so nahe ist wie seit den dunkelsten Tagen des Kalten Krieges nicht mehr, könnte die Nuclear Posture Review der Biden-Regierung weiteres Öl ins Feuer gießen.

Anstatt einer deutlichen Forderung nach Diplomatie, militärischer Zurückhaltung und neuen, nicht-nuklearen globalen Sicherheitsvereinbarungen, bestärkt die neue NPR die Bedeutung der nuklearen Abschreckung – also des drohenden Einsatzes von Atomwaffen – für die nationale Sicherheitspolitik der USA.

Jacqueline Cabasso

Das mit monatelanger Verzögerung veröffentlichte US-Strategiepapier enthalte zwar auch "Lippenbekenntnisse" zu einer "erneuerten Betonung der Rüstungskontrolle", so Cabasso weiter. Zugleich aber sei in dem Dokument zu lesen:

In absehbarer Zukunft werden Atomwaffen weiterhin eine einzigartige Abschreckungswirkung haben, die durch kein anderes Element der militärischen Macht der USA ersetzt werden kann. (...) (Aus diesem Grund) haben sich die Vereinigten Staaten verpflichtet, ihre Nuklearstreitkräfte, ihr nukleares Kommando-, Kontroll- und Kommunikationssystem sowie ihre Produktions- und Unterstützungsinfrastruktur zu modernisieren.

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