US-Drohnenangriff tötet Al-Qaida-Legende Aiman al-Sawahiri

Bild: President Biden/Twitter

Präsident Joe Biden jubelt ein Jahr nach der Niederlage der US- und Nato-Mission in Afghanistan über einen Erfolg im Kampf gegen Terroristen. Kritiker sehen enge Verbindungen zwischen der Taliban-Führung und al-Qaida bestätigt. Die politische Wirkung der Nachricht?

Am vergangenen Sonntag, um 6 Uhr 18, hielt sich die "graue Eminenz" der al-Qaida, ihr Anführer Aiman al-Sawahiri (oft auch: Ayman al-Zawahri), auf einem Balkon in einem der besseren Viertel der afghanischen Hauptstadt Kabul auf. Das erwies sich als tödlicher Irrtum: Zwei US-Drohnen, bestückt angeblich mit Hellfire-Raketen, hatten ihn im Visier und die Raketen trafen zielgenau.

Der Raketeneinschlag im Kabuler Viertel Sherpur, Wohnort Gutsituierter, blieb nicht unbemerkt. Am selben Tag gab es eine Meldung der afghanischen Nachrichtenagentur Pajhwok. Ihr zufolge teilte der afghanische Innenminister mit, dass es keine Toten gegeben habe.

Zweieinhalb Tage später ist die Bilanz eine andere. US-Präsident Joe Biden hat eine Erfolgsmeldung: Der Nachfolger und enge Mitarbeiter von Osama Bin Laden ist tot. Damit ist der nächste gezielte Schlag gegen einen Hauptverantwortlichen für die Terroranschläge vom 11. September 2001 gelungen. Die Tötung von Osama Bin Laden in der Nacht zum 2. Mai 2011 war die Erfolgsmeldung des vorgängigen US-Präsidenten der Demokraten, Barack Obama.

"Jetzt wurde der Gerechtigkeit Genüge getan und dieser Terroristenführer ist nicht mehr", sagte Biden in einer siebenminütigen, landesweit im Fernsehen übertragenen Ansprache aus dem Weißen Haus. "Wir machen heute Abend noch einmal deutlich," fügte er hinzu, "dass, egal wie lange es dauert, egal wo Sie sich verstecken, wenn Sie eine Bedrohung für unser Volk sind, werden die Vereinigten Staaten Sie finden und ausschalten."

New York Times

Nach offiziellen Angaben, so der Bericht der New York Times, wurde keine weitere Person getötet: keine Familienmitglieder, keine unbeteiligten Zivilisten. Doch gibt es, wie stets bei Geheimdienstoperationen, noch andere Informationen. So wird von einem bekannten britischen Terror-Experten weitergetragen, dass Mitglieder der Haqqani-Familie ebenfalls getötet wurden. Die Meldung wurde nicht offiziell bestätigt. Hinter ihr steckt aber ein ernstzunehmendes Politikum.

Die Haqqani-Connection

Besitzer der Wohnung, die Aiman al-Sawahiri Unterschlupf in Kabul gewährte, ist nach Informationen von Thomas Joscelyn, einem Analysten der US-Publikation Long War Journal, ein enger Berater von Siradschuddin Haqqani. Dieser spielt in der gegenwärtigen Taliban-Herrschaft Afghanistans eine maßgebliche Rolle.

Joscelyn gehört wie sein Kollege Bill Roggio zu publizistischen Terrorfahndern, die eine klare politische Agenda haben, die den Neocons nahesteht – beide bringen afghanische Terrornetzwerke mit Vorliebe in Verbindung mit Iran. Anderseits haben beide in afghanischen Angelegenheiten über lange Jahre hinweg besser über die tatsächliche Lage im Land informiert als offizielle US-Situationsberichte. Die Autoren des Long War Journal waren entschiedene Gegner des Deals zwischen der US-Regierung unter Trump und Taliban-Vertretern.

So ist es keine Überraschung, dass Roggio umgehend auf den neuralgischen politischen Punkt der Erfolgsmeldung Bidens zeigt:

Die Tötung des Al-Qaida-Emirs Ayman al-Zawahiri wird als Erfolg der Terrorismusbekämpfung verkauft werden. Doch diese Darstellung verschleiert die unbestreitbare Tatsache, dass das von den Taliban kontrollierte Afghanistan ein sicherer Hafen für Al-Qaida ist.

Bill Roggio

Sawahiri konnte in Afghanistan, insbesondere in Kabul, nicht ohne die Zustimmung der Taliban operieren, so Roggio, der mit dieser Auffassung unter Terrorexperten nicht alleine steht. Das sei nicht der "kategorische Sieg", den Biden nun behauptet, so Max Abrahms, ein in Expertenzirkeln bekannter Professor für internationale Sicherheit. Eigentlich sollten die Taliban verhindern, dass sich die Al-Qaida-Führer dort verstecken.

So war es bei den Gesprächen in Doha zwischen US-Vertretern und Taliban-Vertretern, die den Weg zur Taliban-Herrschaft in Afghanistan geebnet haben, nach offizieller Darstellung ausgemacht worden.

Die Botschaft

Am 15. August jährt sich die Machtübernahme der Taliban, der den Abzug der US- und Nato-Truppen in Gefolge hatte. Auch das gehört zur Botschaft Bidens. Sie will demonstrieren, dass die USA weiterhin militärisch in der Lage sind, gezielt in Afghanistan zuzuschlagen, ohne das Leben von US-Soldaten zu riskieren. Man hat die Situation, soweit sie eine Terrorgefahr für das Homeland betrifft, unter Kontrolle, soll die Erfolgsmeldung vermitteln.

Zum Hintergrund der Botschaft "Wir können jederzeit sehr präzise zuschlagen" gehört auch, dass der Abzug aus Afghanistan in vielen Berichten als militärische Schwäche der USA und der Nato dargestellt wurde, was bis hinein in den Ukraine-Krieg und das Nato-Selbstbild wirkt.

Ob die politische Wirkung der Erfolgsmeldung über den Tod eines der "key plotter" von 9/11 gegen Bidens tief gesunkene Popularität in den USA hilft und seiner Partei Auftrieb für die anstehenden Midterm-Wahlen gibt, ist schwer vorauszusagen. Einerseits ist Al-Qaida ist nicht tot, die Organisation und ihre Netzwerke geben in manchen Regionen noch deutliche Lebenszeichen, aber eben nicht so sehr, dass sie Bürger in den krisengeschüttelten Industrienationen des Westens noch viel angehen.

Der Kampf gegen den auswärtigen Terror spielt gegenüber den drängenden gegenwärtigen Problemen, Inflation, Wirtschaft, Jobs, Ukraine-Krieg, Rivalität mit Russland und China, Massentötungen durch Schießereien im Homeland USA, politische Spannungen und inländischem Terrorismus wohl keine große Rolle mehr im Bewusstsein der Bevölkerung.

Der al-Qaida-Terror ist weit weg, die Sahelzone, Mali, Syrien sind keine politischen Hotspots für die US-amerikanische Bevölkerung. Aiman al-Sawahiri ist Teil einer schon etwas älteren Erzählung. Eine legendäre Figur der alten al-Qaida.