US-Regierung im Medienkrieg

Warum werden auf der gestern bekannt gegebenen Liste der "Most Wanted Terrorists" Bin Ladin und Co. nicht wegen der Anschläge auf das WTC und das Pentagon gesucht?

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Im Krieg gegen "den Terror" setzt die US-Regierung nicht nur auf Waffen und Lebensmittelpakete, sondern auch auf Geheimhaltung und Propaganda. Zumindest symbolisch hat sie jetzt eine neue Front mit der Liste der "Most Wanted Terrorists" eröffnet, um dem Terrorismus ein Gesicht zu geben, wie Präsident Bush sagte, aber auch, um den Neuen Krieg nicht nur auf den einen großen Bösewicht zu konzentrieren, der bald schon - je nach Perspektive - dämonische oder mythische Größe besitzt, für manche gar schon zu einem neuen Messias zu mutieren scheint.

Der Kampf gegen den Terrorismus findet nicht nur auf dem Schlachtfeld statt, sondern er geht seit den perfekt für die Medien inszenierten Anschlägen auch um die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit. Mit dem arabischen Sender al-Jazeera hat Bin Ladin eine Möglichkeit gefunden, seine Botschaften zu verbreiten, auch wenn der Sender angeblich neutral über alle Seiten informieren will. Hier wurde nicht nur der Aufruf von Bin Ladin zum Heiligen Krieg gesendet, sondern auch vorgestern die Drohung des Sprechers der Terrororganisation al-Quaida, dass weitere Tausende Menschen bereits stünden, ihr Leben im Kampf gegen die Ungläubigen aufs Spiel zu setzen.

Schon vor den Angriffen auf Afghanistan und den beiden ausgestrahlten Videos hatten die USA versucht, den Sender zu schließen. Das dürfte jetzt, nachdem nicht nur Bin Ladins Rede, sondern auch ein Interview mit Tony Blair ausgestrahlt wurde, schon schwerer sein, zumal alle westlichen Medien sich der Bilder und Informationen des arabischen Senders bedienen, dessen Hauptsitz sich in Katar befindet, der aber auch als einziger Fernsehsender ein in Kabul ein Büro besitzt und in diesem Krieg bislang die Rolle spielt, die ansonsten eher der CNN hatte. "Usama Bin Ladin ist, egal ob einem das gefällt nicht, ein Teil der gegenwärtigen Krise", meinte Achmed Scheich, Nachrichtenredakteur des Senders, gegenüber BBC. "Wenn wir gesagt hätten, dass wir ihm die Sendezeit nicht geben, dann hätten wir unsere Integrität und Objektivität verloren und wäre unsere Darstellung der Story einseitig geworden."

Die US-Regierung versucht jetzt zumindest, die amerikanischen Sender zu beeinflussen. Sie sollen Vorsicht walten lassen, wenn sie vorfabrizierte Äußerungen von Bin Ladin und seinen Verbündeten ausstrahlen. Explizit wird zwar davor gewarnt, dass in den Videos versteckte Mitteilungen an Terroristen enthalten sein könnten, aber vermutlich geht es eher darum, die mediale Präsenz des Gegners zu verringern. "Bestenfalls ist Usama Bin Ladins Botschaft Propaganda, die dazu aufruft, Amerikaner zu töten", sagte Ari Fleischer, der Sprecher des Weißen Hauses. Schlimmstenfalls könnte er Befehle an seine Mitarbeiter aussenden, um Anschläge auszulösen." Auf die Frage, ob es dafür Hinweise gebe, sagte Fleischer, dass dies ein durchaus begründeter Verdacht sei, da die Möglichkeiten, aus Afghanistan heraus zu kommunizieren, für die Terroristen derzeit sehr beschränkt seien. Die Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice habe mit den Verantwortlichen der amerikanishen TV-Sender über dieses Thema gesprochen, die sich ihrer Verantwortung bewusst seien und zumindest vorübergehend die Videos nicht mehr zu zeigen scheinen. Jeden Versuch einer Zensur wies Fleischer für die Regierung weit von sich.

Update: Die fünf größten amerikanischen Kabelgesellschaften haben nach der Bitte von Rice erstmals eine gemeinsame "patriotische" Entscheidung getroffen, wie die New York Times berichtet, künftig keine vollständigen Videos mehr zu senden, die von Bin Ladin oder Mitgliedern von al-Quida stammen.

"Das ist eine neue Situation, ein neuer Krieg und ein neuer Feind", begründete Andrew Heyward, der Präsident von CBS News die Entscheidung. "Aufgrund der historischen Ereignisse, in die wir verstrickt sind, ist es richtig, neue Wege zu erkunden, um unsere Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit zu erfüllen." Beeindruckt hat offenbar auch, dass Bin Ladin mit solchen Videos für seinen Kampf werben kann: "Ihr wichtigster Punkt", so Neal Shapito von NBC News, "war, dass es hier einen charismatischen Redner gibt, der antiamerikanische Stimmungen erzeugen kann, wenn man ihm 20 Minuten Sendezeit gibt, um Hass zu verbreiten und seine Anhänger aufzufordern, Amerikaner zu töten."

Muhammad Atef

Now is the time to draw the line in the sand against the evil ones. And this government is committed to doing just that.

Präsident Bush

Mit der gestern veröffentlichten Liste will Bush seinerseits mediale Aufmerksamkeit erzielen. Auffällig ist freilich, dass sich unter den ausgewählten 22 Topterroristen, die von der Regierung als die gefährlichsten Führer, Drahtzieher und Täter bezeichnet werden, nur arabische Männer befinden, was sicher den Verdacht verstärken wird, dass der Kampf gegen den internationalen Terrorismus zumindest derzeit einseitig geführt wird. Bin Ladin, der sich auf Platz eins dieser Liste befindet, ist auch noch immer auf der "alten" Liste der Most Wanted des FBI. Gesucht werden die mutmaßlichen Terroristen, die "große Taten des Bösen" (Bush) begangen haben, allerdings erstaunlicherweise nicht wegen der jüngsten Anschläge auf das Pentagon und das World Trade Center, sondern beispielsweise wegen des Bombenanschlags auf das WTC im Jahr 1993, den Anschlag auf das US-Militär in Saudi Arabien im Jahr 1995 oder die Anschläge auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania im Jahr 1998.

Bin Laden sowie die Ägypter Muhammad Atef und Ayman al-Zawahiri werden neben anderen Angehörigen der Terrororgansiation al-Wuaida für diese Anschläge verantwortlich gemacht. Warum man sie nicht auch als mitverantwortlich für die jüngsten Anschläge bezeichnet, ist seltsam, da doch der jetzige Kampf gegen den Terrorismus und somit auch diese Aktion dadurch ausgelöst wurde und begründet wird. Soll man also vermuten, dass die US-Regierung doch nicht so stichhaltige Beweise für die Mitverantwortung von Bin Ladin und al-Quaida besitzt, wie sie dies geltend gemacht hat, aber nur anderen Regierungsmitgliedern, nicht aber der Öffentlichkeit gezeigt hat?

Weder zu der Beschränkung auf arabische Verdächtige noch auf die Frage der Beschuldigungen hat sich Präsident Bush geäußert. Die Suche nach den Verdächtigen sei "Teil einer weltweiten Niederschlagung des Terrors". Die Liste der "ersten 22" Terroristen, die nicht vollständig sei, mache "alle unsere Freunde und Alliierten mit diesen Übeltätern" bekannt. Die Suche nach ihnen, um ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, sei ein guter Anfang für die Koalition: "Sie müssen gefunden werden, sie werden gestoppt werden und sie werden bestraft werden." Ist die Koalition das Licht, so lebt das Böse nach der Metaphorik von Bush im Dunkeln: "Keine Ecke der Welt wird schließlich noch dunkel genug sein, um sich dort verstecken zu können."

Sicher aber wäre es für eine internationale Koalition gegen den internationalen Terrorismus besser gewesen, nicht nur arabische Verdächtige zu präsentieren, die gegen US-Bürger und -Einrichtungen vorgegangen sind. Schließlich hatte Bush auch schon zu Beginn seiner Rede davon gesprochen, dass man mit dieser Liste den Terroristen, die im Verborgenen vorgehen, dem "Licht der Gerechtigkeit" aussetzt, wobei es allgemein um "den Terrorismus" gehe: "Wir führen ihre Namen auf, wir veröffentlichen ihre Bilder, wir berauben sie ihrer Verborgenheit. Der Terrorismus hat ein Gesicht, und heute offenbaren wir es der Welt, damit sie es sehen kann."

Bush liebt das Gut-Böse-Denken, bei dem es nur ein Dafür oder ein Dagegen gibt, was nicht gerade für die ihm lange zugeschriebenen "Besonnenheit" spricht, wenn es um das Vorgehen und die Ziele des "Neuen Kriegs" geht: "Unser Kampf richtet sich gegen das Böse." Es ist diese archaische und religiöse Tönung seiner Reden, durch die er zurecht in die Nähe seiner Widersacher gerückt wird, die auch vom Kreuzzug sprechen und die Einheit beschwören, die Bush ebenfalls preist. Und nicht zuletzt gibt er auch eine Überheblichkeit zu erkennen, wenn er sagt, dass die USA "die freieste Nation auf der Erde" seien, die eine globale Koalition, wie sie die US-Regierung sucht, langfristig wohl nicht ertragen wird, zumal wenn das "Ausstampfen des Bösen, wo immer wir es finden", nicht mehr so einhellig geteilt wird.