US-Regierung will das Finanzsystem auf Kosten der Steuerzahler retten
Die Börsen feiern, dass der Staat mit der wohl bislang teuersten Rettungsaktion den Banken die Verluste abnimmt
Die US-Regierung will mit einer riesigen Auffanggesellschaft das verlorene Vertrauen in das angeschlagene Finanzsystem herstellen. Doch zunächst wird der Aktienhandel stark beschnitten und 50 Milliarden Dollar für die Einlagensicherung bereitgestellt. Wenn es nach der Regierung geht, sollen schon in der nächsten Woche Gesetze verabschiedet werden, um den Markt von faulen Krediten und Wertpapieren zu bereinigen und die Kosten den Steuerzahlern aufzubraten. Doch auch aus den eigenen Reihen erhalten die Republikaner heftige Kritik, während die Börsen feiern, dass der Staat den Banken die Verluste abnehmen will.
Wie schon in den letzten Tagen in Russland werden nun auch in den USA als Sofortmaßnahme sogenannte Leerverkäufe verboten. Bei derlei Börsengeschäften besitzt der Verkäufer die Aktien nicht, sondern spekuliert nur einen erwarteten Kursverfall des Wertpapiers. Stellt der sich ein, kauft er billiger zurück und macht erhebliche Gewinne. So sollen Anleger und Märkte geschützt werden, teilte die US-Börsenaufsicht SEC am Freitag mit. Banken, wie die strauchelnde große Investmentbank Morgan Stanley, hatten sich beklagt, sie seien durch diese Geschäfte, die oft von Hedge-Fonds getätigt werden, bewusst an den Rande des Abgrunds getrieben worden, damit diese viel Geld verdienen können.
Die Maßnahme gilt in den USA zunächst für 799 Finanzaktien, die nach Ansicht der "Financial Times" nun unter "Artenschutz" gestellt werden. Das Verbot tritt sofort in Kraft, es gilt bis zum 2. Oktober und kann um zehn Tage verlängert werden. Dass an dem "short selling", das in Deutschland verboten ist, grundsätzlich etwas faul ist, wollte die SEC nicht eingestehen. Sie verteidigt ihre Politik, die den Handel damit ermöglicht, und schreibt in einer Mitteilung, dass unter normalen Bedingungen solch ein Schritt nicht notwendig wäre. "Momentan allerdings entsteht der Eindruck, dass Leerverkäufe ohne fundamentale Ursache zum Verfall der Aktienkurse führen." Deutlich weiter geht man in Großbritannien, denn auch dort wird die Maßnahme sekundiert. Sie gilt aber für alle Aktien und soll zunächst bis Januar gelten.
In Deutschland hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) schließlich am Freitag auch noch nachgezogen und "Leerverkäufe (Transaktionen, die zu einer Short Position führen) von Aktien" bestimmter Unternehmen bis Ende des Jahres verboten. „In der derzeitigen Marktsituation kann Shortselling Finanzunternehmen in den Untergang treiben“, sagte BaFin-Präsident Jochen Sanio. Geschützt werden sollen damit die Aktien von Aareal Bank AG, Allianz SE AMB Generali Holding AG, Commerzbank AG, Deutsche Bank AG, Deutsche Börse AG, Deutsche Postbank AG, Hannover Rückversicherung AG, Hypo Real Estatet Holding AG, MLP AG und der Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft AG.
Alle Hilfsmaßnahmen und Geldspritzen nach der verweigerten Rettung der Lehman Brothers konnten bisher nicht die Panik aus den Finanzmärkten vertreiben. Die Zentralbanken in Europa hatten am Freitag erneut Milliarden in den Geldmarkt gepumpt, um den Banken aus der Kreditklemme zu helfen. Allein die Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt stellte erneut 25 Milliarden Dollar bereit. Da auch die sehr teure Rettung durch Verstaatlichung (http://www.heise.de/tp/r4/artikel/28/28731/1.html) des größten US-Versicherers American International Group (AIG) nicht zog, setzt die US-Regierung nun zum Befreiungsschlag an.
Am Freitag kündigte US-Finanzminister Henry Paulson einen weiteren neuen teuren Kursschwenk durch ein umfassendes Rettungspaket für die Finanzinstitute an. Und dabei gehe es um "Hunderte Milliarden Dollar", bereitete er die Steuerzahler auf einen tiefen Griff in ihre Säckel vor. "In den vergangenen Wochen haben wir immer Einzelfallentscheidungen getroffen. Jetzt ist mehr vonnöten, wir müssen nun eine grundlegende Lösung finden und die entscheidenden Probleme direkt angehen", sagte er. "Die Regierung muss ein Programm auflegen, um die in Not geratenen Vermögenswerte zu beseitigen." Es müsse umfangreich genug sein, um maximale Wirkung zu entfalten. Dabei müsse der "Steuerzahler so weit wie möglich geschützt werden", wenngleich ein Rückgriff auf Steuergelder nötig sei. Doch Paulson behauptet: "Dieser kühne Ansatz kostet amerikanische Familien weit weniger als die Alternative: weitere Zusammenbrüche von Finanzinstitutionen und ein eingefrorener Kreditmarkt, der Wirtschaftswachstum nicht mehr finanzieren kann."
Größte und teuerste Rettungsaktion in der Geschichte der USA
In einem ersten Schritt werden der Einlagensicherung bis zu 50 Milliarden Dollar bereitgestellt. Durch die Bankenzusammenbrüche der letzten Monate war der Fonds stark ausgeblutet und die gesetzlich vorgeschriebene Reserve von 1,15% wurde deutlich unterschritten (Finanzkrise: "Das Schlimmste kommt noch"). Doch statt den Markt wirken zu lassen, wie es die Neoliberalen predigten, so lange es Gewinne zu verteilen gab, soll nun ein riesiges Netz aufgespannt werden, um die Verluste staatlich aufzufangen. So liegt der größte Haken beim Zick-Zack Kurs der US-Regierung in einer staatlichen Auffanggesellschaft, die den Banken problematische Wertpapiere abkauft. Um das Finanzsystem vor sich selbst zu retten, solle eine zu gründende staatliche Agentur schlechte Werte und Kredite erwerben, um diese erst einmal aus dem Markt zu nehmen. Das ist wohl der teuerste Teil des Programms, das alsbald im Parlament verabschiedet werden soll.
Die gerade erst verstaatlichten großen Hypothekenfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac (Die größten Immobilienfinanzierer der USA unter staatlicher Kontrolle) sollen zudem den Aufkauf hypothekenbesicherter Wertpapier ausweiten. Einen ähnlichen Schritt plant auch das Finanzministerium. Dadurch sollen Hauskredite wieder leichter verfügbar und besser zu finanzieren sein. "Der Immobilienmarkt ist die Wurzel der Probleme unserer Wirtschaft und unseres Finanzsystems", sagte Paulson. Ohne eine Stabilisierung im Immobiliensektor gäbe es auch keine Stabilität auf den Finanzmärkten, fügte er an. "Die leichte Kreditvergabe hat seit einigen Jahren zu unverantwortlichen Kreditverträgen geführt. Zu viele Familien haben sich einfach übernommen und die Auswirkungen davon sind, dass fünf Millionen Hausbesitzer zahlungsunfähig geworden sind". Damit weist Paulson die Schuld zum großen Teil den einfachen Leuten zu, denen er bei den Zwangsvollstreckungen nicht zur Seite springt.
Die Agentur wird sich an dem Staatsfonds "Resolution Trust Corporation" (RTC) orientieren, der 1989 zur Sanierung zahlreicher Spar- und Darlehenskassen eingerichtet wurde und fast 400 Milliarden Dollar verwaltete. Doch dabei wird es diesmal nicht bleiben, sondern es wird die größte Rettungsaktion in der Geschichte der USA gestartet. Die faulen Kredite zu bündeln, wird mindestens eine Billion Dollar kosten. Schaut man auf ähnliche Rettungsaktionen in Japan und Schweden, dann darf man zwischen 850 Milliarden und weit über zwei Billionen Dollar veranschlagen. Das hängt davon ab, ob die Rettung des Bankensystems eher bei 6 % des Bruttoinlandsproduktes (BIP) liegt, wie in den 1990 Jahren in Schweden, oder bei etwa 20% des BIP, die zur Stützung des japanischen Bankensystems nötig waren, als auch dort eine Immobilienblase in den 1990er Jahren platzte. Japan brauchte viele Jahre, um sich von den Auswirkungen zu erholen und in den USA könnte die Lage sogar noch dramatischer sein.
Während nach den Kurstürzen der letzten Tage die Bekanntmachung mit einem Kursfeuerwerk an den Börsen gefeiert wurde, dass der Steuerzahler erneut für die Verluste der Finanzinstitute zur Kasse gebeten wird, gibt es aber auch warnende Stimmen. So erklärte der gescheiterte Präsidentschaftskandidat Ron Paul zu den Rettungsmaßnahmen: "Das ist wie ein Schuss, den sich ein Drogensüchtiger setzt. Man fühlt sich einen Moment besser, weil sie einen neuen Schuss erhalten haben, doch das hilft dem Süchtigen nicht".
Der Parteifreund von Bush, Paulson und McCain meint, dass auch mit dieser Rettungsmaßnahme die "Agonie nur verlängert wird". Denn die USA seien abhängig von "billigem Geld, billigen Krediten, Neuverschuldung und unseren riesigen Schulden". Er propagiert statt "gelebtem Sozialismus" die "Marktwirtschaft". "Wir brauchen die Preiskorrektur, das wird zwar bitter, aber es wird kurz."