USA: Bürgerkrieg 2.0

Robert Edward Lee-Denkmal in Charlottesville, 2006. Foto: Cville dog / gemeinfrei

Die alte Wunde der Spaltung von Nord- gegen Südstaaten wird ohne erkennbare Notwendigkeit wieder aufgerissen

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Es gibt einen physischen Unterschied zwischen der weißen und schwarzen Rasse, der es den beiden Rassen für immer verbieten wird, politisch und gesellschaftlich auf gleichem Fuße miteinander zu verkehren.

Abraham Lincoln*

Die Vereinigten Staaten von Amerika befinden sich im freien Fall nach unten. Im Zustand der Desintegration, der Selbstzerfleischung. Der große Sozialvertrag von Präsident Franklin Delano Roosevelt oder Präsident Lyndon Johnsons Vision der Great Society, sozusagen die amerikanische Variante von Ludwig Erhards Politik des "Wohlstands für Alle", ist von Generationen von marktradikalen Sozialrasierern zerstäubt und vom Winde verweht worden.

Die große kollektive Vereinsamung löscht jegliches Gefühl für Verantwortung für die Gemeinschaft aus. Der Ober-Selfie mit der getönten Gold-Tolle im Weißen Haus wird als zweiter Donald Duck, dem alles immer schief geht, von der Presse gezeichnet. Dabei hat Trump jedoch im Windschatten seiner außenpolitischen Blamagen innenpolitisch große "Erfolge" vorzuweisen. Der marktradikale Abbau von Umweltschutz, Sozialstandards und Gesundheitsfürsorge ist weit vorangeschritten.

Kulturkrieg und der Sturz von Denkmälern

Statt über die Schleifung der letzten Ruinen eines proaktiven Staates empört zu sein, diskutiert jene Öffentlichkeit, die das Geld und die Macht hat, sich bundesweit zu artikulieren, über den Abriss von Denkmälern, die an die Schrecken des amerikanischen Bürgerkrieges im 19. Jahrhundert erinnern. Da wird offen zum illegalen Sturz von Denkmälern aufgerufen. Anlass für diesen Kulturkrieg ist eine spontane Denkmalentfernung in Durham in North Carolina.

Bekanntlich hatte die Ratsversammlung von Charlottesville die Entfernung der Reiterstatue des militärischen Oberbefehlshabers der Südstaaten im amerikanischen Bürgerkrieg, Robert Edward Lee, beschlossen. Der Lee-Park wurde in Emancipation Park umbenannt.

Nun war General Robert Edward Lee kein Kriegsverbrecher. Eher widerstrebend hatte er das Oberkommando der Südstaaten-Armeen übernommen. Nach der Niederlage der Südstaaten soll er sich am Versöhnungsprozess von Norden und Süden konstruktiv beteiligt haben. Er ist zunächst einmal nur der Befehlshaber einer unterlegenen Streitmacht gewesen. Warum also der Drang, jetzt USA-weit alle Denkmäler, die an die Südstaaten erinnern, zu entfernen?

Seitens der Befürworter der Abrisse wird argumentiert, diese Denkmäler könnten zu einer Art Kultstätte eines neu erwachten Faschismus werden. Weiße Suprematisten, also Leute, die die rassische Überlegenheit einer gefühlten weißen Rasse postulieren und daraus politische Privilegien für sich beanspruchen, haben in der Tat die Südstaaten-Denkmäler als ihre Ikonen in Anspruch genommen.

Daraus leiten die "Bilderstürmer" ihr Anrecht ab, die Denkmäler zu entfernen. Sie stünden für "weißen Suprematismus, Sexismus und Homophobie", argumentiert die Geschichtsprofessorin Karen L. Cox von der Universität Charlottesville. Natürlich seien die aktuellen Auswüchse nicht allein auf dem Mist der Südstaaten gewachsen.

Trotzdem wird klar, dass auf die Südstaaten alle unangenehmen Dinge projiziert werden, derer sich eine modern erscheinen wollende USA wenigstens begrifflich entledigen will: Ku Klux Klan, Rassismus, Lynchmorde, Engstirnigkeit und was es sonst an unangenehmen Phänomenen gibt.

Der alte und der neue Ku Klux Klan

Dazu ist festzuhalten: Nach dem Sieg der Nordstaaten gegen die Südstaaten ging der Terror in potenzierter Größenordnung erst richtig los. Diese unbequeme Tatsache soll mit dem Südstaaten-Bashing reingewaschen werden in einem großen Autodafé, einer Verbrennung unliebsamer Auswüchse.

Der Autor kann die Masse der Fakten in einem Artikel nur kurz anreißen. Der Inbegriff allen dumpfen Südstaatlertums finden wir im Ku Klux Klan. Es gab tatsächlich nach der Niederlage der Südstaaten einen nur auf eben diese Region begrenzten Ku Klux Klan. Der ließ die Wut über die Demütigung an wehrlosen Afroamerikanern aus. Durch nächtliches Lynching oder Psychoterror. Allerdings fand in der nachfolgenden Reconstruction-Periode ein Wirtschaftsaufschwung statt, und der KKK löste sich Ende des 19. Jahrhunderts auf.

Im Jahr 1915 wird in Hollywood ein ungeheuer aufwendiger Film produziert, mit riesiger Komparserie und Kulissen. Vielleicht in seinem Gigantismus mit dem "Avatar" vergleichbar. Der Film heißt Birth of a Nation und ist neben "Jud Süß" eines der perfidesten Machwerke des kalkulierten Rassenwahns, die je über die Leinwand gegangen sind.

Wir sehen eine geknechtete "arische" Familie in den Südstaaten in der Reconstruction-Periode. Die "Neger" sind gleichberechtigt und lümmeln als Abgeordnete in den Parlamenten herum, während sich die weißen Farmer abplagen. Die Tochter eines bösen Nordstaatensenators, der sich für die Gleichberechtigung der Schwarzen einsetzt, hat sich in einen Sohn der tapferen Südstaatenfamilie verliebt, der als Soldat auf Seiten der Konföderierten Südstaatenarmee gekämpft hat. Eine Fronten übergreifende Love Story.

Nach allerlei furchtbaren Scheußlichkeiten, die diese "Neger" anrichten, kommt als großer Retter in der Not ritterlich das geordnete Heer des Ku Klux Klan, um die Weißen in den Südstaaten zu befreien. Im Untertitel des gigantischen Stummfilms werden die Worte des damals amtierenden US-Präsidenten Wilson eingeblendet: "Die weißen Männer waren erweckt durch den reinen Instinkt der Selbsterhaltung … bis schließlich ein großartiger Ku Klux Klan ins Leben gerufen wurde, ein wahrhaftiges Reich des Südens, um das Land des Südens zu beschützen. Und der Film schließt mit den Worten: "Die ehemaligen Feinde aus dem Norden und dem Süden wieder vereint in der gemeinsamen Verteidigung ihres arischen Geburtsrechts."

"Rein zufällig" entstand im Gefolge ein neuer Ku Klux Klan 2.0, eine Terrortruppe für Nord- und Südstaaten gleichzeitig, der in den folgenden Jahren Kriegsgegner, die authentische Gewerkschaft International Workers of the World, Juden und natürlich Afroamerikaner terrorisierte. Ihm zur Seite gestellt wurde die American Legion. Vorgeblich eine Reservistenorganisation, die sich aber in erster Linie Streikbrecher, Pazifisten und Juden in Pogromen vorknöpfte. Der Ku Klux Klan hatte in seiner Hochzeit fünf Millionen Mitglieder, bis er Ende der 1920er Jahre implodierte.

Der weiße Suprematismus: Ein Elitenprojekt der Nordstaaten

Der weiße Suprematismus war zudem eindeutig ein Elitenprojekt der Nordstaaten. Eugenische und rassistische Vorstellungen wurden als seriöse "Wissenschaft" an den Ivy League-Universitäten, jenen führenden privaten Universitäten wie Yale, Harvard oder Columbia behandelt, geforscht und gelehrt.

Die US-Bundesregierung initiierte gemeinsam mit den "philanthropischen" Stiftungen Rockefeller, Carnegie oder Harriman sowie mit den Elite-Universitäten ein Rassenaufartungsprogramm (Race Betterment Program), das 1914 vorlag. Demzufolge sollten bis zum Jahre 1985 45 Millionen "minderwertige" (inferior) Menschen daran gehindert werden, sich fortzupflanzen - durch Sterilisation oder lebenslange Internierung in Lagern.

Es waren auch nicht in erster Linie wirrköpfige, isolierte Südstaatler, die Homophobie, Weiße Suprematie oder Judenhass predigten. Es waren vielmehr die mächtigsten Wissenschaftsfunktionäre aus den prosperierenden US-Nordstaaten wie z.B. Murray Butler, der langjährige Präsident der New Yorker Columbia Universität, die Mussolini priesen und nur auserwählte weiße Männer für befähigt hielten, die Geschicke des Landes zu führen.

"Aufnordung"

Dem Rassisten und Umweltschützer Madison Grant "verdanken" wir den Begriff des Nordisizing, in Deutschland übernommen als "Aufnordung": Es genüge nicht, ein Gebiet zu erobern. Man müsse auch dessen indigene Bevölkerung auslöschen und an seine Stelle reinrassige "Nordics" züchten, zur Genesung der weißen Rasse. Sein Kollege Lothrop Stoddard prägte den Begriff des "Underman", des Untermenschen. Der Autobauer Henry Ford schließlich sah im "Internationalen Juden" eine Art bakterielle Infektion, die den Körper der weißen Gesellschaften zu infizieren versuchte.

Und das waren keine Auswüchse, die sich spätestens nach der Niederschlagung des Hitler-Faschismus auch in den USA verbeten hätten. US-Senatoren kritisierten, dass in den Nürnberger Prozessen "eine bestimmte Rasse" schon wieder Rache an den Weißen üben wolle. Die Geringschätzung der Afroamerikaner wiederum manifestierte sich in den infamen Tuskegee-Experimenten.

Über vier Jahrzehnte wurden in einer Kohortenstudie die Folgen der Syphilis erforscht. Die 700 Testpersonen waren ausschließlich Afroamerikaner. Um diese Studie nicht vorzeitig abbrechen zu müssen, wurde den Probanden nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mitgeteilt, dass nunmehr Penicillin ihre Syphilis heilen könnte. Die Testpersonen verstarben elend an der Syphilis.

Ein Problem der gesamten Gesellschaft

Um einer ehrlichen Auseinandersetzung mit den Übeln: Rassismus, Homophobie und Sexismus näher zu kommen, stände es den USA gut an, ehrlich einzugestehen, dass die oben genannten Übel ein Problem der gesamten Gesellschaft der USA darstellen, die man nicht auf eine relativ wehrlose Verlierergruppe wie "die Südstaaten" projizieren darf.

Zum anderen gehört zu einer ehrlichen Bewältigungskultur, dass man umstrittene Denkmäler auch für kommende Generationen erhält. Und unbequeme Fragen, die sich aus der Betrachtung dieser Denkmäler ergeben, nicht durch deren Nichtvorhandensein sozusagen im Voraus vermeidet.

Wie das geht, zeigt sich am Kyffhäuser-Monument an der Grenze zwischen Thüringen und Sachsen-Anhalt. Ein widerwärtiges Dokument germanischen Größenwahns, ausgebrütet vom Lobbyverein der Rüstungsindustrie im deutschen Kaiserreich, dem Alldeutschen Verband. Unten schläft Kaiser Friedrich I. Barbarossa. Sein Bart ist schon durch den Tisch gewachsen. Und darüber, sozusagen als Erfüllung des Mythos, dass der deutsche Kaiser erstarkt wieder aufersteht, steht Kaiser Wilhelm I. auf einem Berg von unterworfenen Völkern.

Das Monument wurde nicht abgerissen. Vielmehr wurde schon zu DDR-Zeiten im Foyer eine Ausstellung über die Opfer des alldeutschen Herrenwahns installiert. In genau diesem Sinn spricht sich auch der amerikanische Philosophieprofessor Gary Shapiro für eine Erhaltung der Südstaatenmonumente aus.

Indes besteht wenig Hoffnung auf eine heilende Selbsterkenntnis der US-Gesellschaft. Die USA ist zerfallen in egoistische Gruppen, es gibt kein einigendes Band. Den ratlosen Eliten bietet sich in einer solchen Situation eine Schnelltherapie gegen galoppierende Desintegration an: Die Ausrufung eines Krieges könnte die verfeindeten Gruppen wieder um ihren Präsidenten scharen.

* Zitiert nach Gerd Raeithel, Geschichte der Nordamerikanischen Kultur. Band2: Vom Bürgerkrieg bis zum New Deal 1860-1930. Weinheim 1988. S.6.

Hermann Ploppa ist der Autor des Buches "Hitlers amerikanische Lehrer - Die Eliten der USA als Geburtshelfer des Nationalsozialismus" Marburg 2016