USA: Der militärisch-industrielle Komplex
Seite 2: Wie mit der Sowjetunion umgehen?
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Natürlich ist dieses Konzept, welches als Doktrin der Massiven Vergeltung in die Geschichtsbücher eingegangen ist, keine Kopfgeburt von Eisenhower. Entworfen wurde es vom einflussreichen New Yorker Council on Foreign Relations (Der Klub der "Weisen Männer"), einem Gravitationszentrum der Eliten aus Finanz, Industrie, Medien und Politik der USA.
Um dieses Konzept auch im politischen und militärischen Establishment in Washington durchzusetzen, bildete Eisenhower in der Dachkammer des Weißen Hauses, dem so genannten Solarium, drei Arbeitsgruppen aus Experten, die drei verschiedene Konzeptionen ausarbeiten sollten, wie man mit der Sowjetunion umgehen sollte.
Es war aber klar, dass sich nach Ikes Willen die Arbeitsgruppe unter George Kennan durchsetzen sollte. Kennan war der Mann, der als Botschafter in Moskau das so genannte Lange Telegramm verfasst hatte. Darin warnte er vor dem angeblich weiterhin existenten Expansionsdrang der Sowjets. Er wollte die Sowjetunion aber nicht vernichten, sondern nur eindämmen oder einhegen in ihrem Machtbereich.
Kennan war jetzt der Anwalt gegen eine allzu aggressive Angriffspolitik der Sowjets. Die geheimen Strategiespiele flossen ein in das Papier des Nationalen Sicherheitsrates, dem NSC-162/2. Das war das Grundlagenpapier der Doktrin der Massiven Vergeltung.
Doch bereits 1954 wurden im Denkpapier NSC-5440 <<https://en.wikipedia.org/wiki/New_Look_%28policy%29#Notes>> massive Zweifel angemeldet am Erfolg der Massiven Vergeltung: wenn man bei jeder kleinen Revierverletzung des Sowjetreiches gleich mit der Totalvernichtung droht, wird man schnell unglaubwürdig, denn das kann sich jeder ausrechnen, dass der US-Präsident vor dem Knopfdruck ins pure Nichts zurückschrecken würde. Er würde sich sehr schnell unglaubwürdig machen, und die Sowjets würden Ike auf die Dauer doch nur die lange Nase zeigen.
Die Doktrin der flexiblen Antwort
Das war der Nukleus jener Militärdoktrin, die langfristig die Massive Vergeltung ablösen sollte: nämlich die Doktrin der flexiblen Antwort. Diese wurde im Auftrag des Council on Foreign Relations von dem jungen Harvard-Professor Henry Kissinger 1956 in einer Arbeitsgruppe entwickelt, und 1957 der Öffentlichkeit vorgestellt.
Die Flexible Antwort bedeutet: wenn die Sowjetunion in das Revier der USA einbrechen sollte, würden die USA zunächst im diplomatischen Gespräch versuchen, die Sache zu bereinigen. Falls das nicht fruchten würde, kämen konventionelle Waffen zum Einsatz. Und erst wenn das nicht zum Erfolg führen würde, dann wäre auch der Einsatz nuklearer Waffen nicht mehr ausgeschlossen.
Das klingt zunächst vernünftig. Aber nicht nur Eisenhower sah in der Strategie der flexiblen Antwort ein offenes Scheunentor für ungebremstes Wachstum der Rüstungsindustrie - zu Lasten der Zivilwirtschaft. Hilflos musste der alternde Ex-General zusehen, wie sich in seinem Umfeld die Rüstungslobbyisten mit ihnen gefälligen Militärs zusammentaten, um das Geschäft mit dem Tod über eine erneute Ankurbelung der konventionellen Aufrüstung anzuheizen. Da war der Abschuss des amerikanischen Spionageflugzeugs über der Sowjetunion nur noch das atmosphärische Tüpfelchen auf dem "i".
Wir verstehen also die Wut von Ike am drittletzten Tag seiner Amtszeit, ausgesprochen vor großem Fernsehpublikum, nur zu gut. Er wollte seinen Nachfolger John F. Kennedy die Schattenseiten der Doktrin der flexiblen Antwort noch einmal deutlich machen. Die Weltgemeinschaft wurde sodann in der Kuba-Krise Zeuge, wie sukzessive die massive Vergeltung durch die flexible Antwort ausgetauscht wurde. Doch auch Kennedy hatte den Horror des Zweiten Weltkriegs miterlebt und wollte so etwas nicht noch einmal mitmachen.
Er ließ eine direkte Telefonleitung vom Weißen Haus in das Amtszimmer Chruschtschows legen, um bei Unklarheiten immer zuerst bei seinem sowjetischen Amtskollegen nachfragen zu können. Andererseits wusste Kennedy auch nicht so genau, wie er den aggressiven militärisch-industriellen Komplex bändigen sollte. War womöglich sein ambitioniertes Weltraumprogramm ein Versuch, die Energien der Rüstungswirtschaft in die Raumfahrt abzuleiten, sozusagen: zu "sublimieren"? Wir wissen es nicht, denn Kennedy wurde bereits nach zwei Jahren Amtszeit ermordet.
Das Wachstum des militärisch-industriellen Komplexes (diesen Begriff hat tatsächlich Eisenhower in jener Abschiedsrede in Umlauf gebracht) ging unvermindert weiter, allerdings in einer ansteigenden Sinuskurve: unter demokratischen Präsidenten wie Carter oder Clinton verlangsamte sich das Wachstum; unter den republikanischen Präsidenten Reagan und Bush II. explodierte das Wachstum.
Auch zivile Bereiche werden der Logik der Militärwirtschaft unterworfen
Mittlerweile stehen die USA tatsächlich dort, wo sie Dwight D. Eisenhower partout nicht sehen wollte: der militärisch-industrielle Komplex saugt nicht nur alle Mittel für die Erhaltung der Zivilgesellschaft ab. Straßen verrotten. Obdachlosigkeit nimmt sprunghaft zu. Suppenküchen für Arme sind nichts Ungewöhnliches mehr im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Auch zivile Bereiche werden der Logik der Militärwirtschaft unterworfen, die ihrem totalitären Anspruch mit dem neuen Wort "Sicherheitsindustrie" gerecht wird. Gefängnisse wurden privatisiert, und dieser Maschinerie werden heute elfmal mehr Menschen zugeführt als noch 1970 (Im Strudel der Gefängnisindustrie).
Im Ausland werden ständig neue Kriegsschauplätze aufgemacht. Zivilgesellschaften werden gesprengt und nach dem Schema des Militär-Industriellen Komplexes wieder aufgebaut. Der Chefideologe des Militär-Industriellen Komplexes, Thomas P.M. Barnett, hat die Blaupause für das Pentagon geliefert <1>: ein Land militärisch zu erobern ist für die USA heutzutage eine Kleinigkeit. Schwierig wird es nach den Worten von Barnett, das unterworfene Land zu verwalten.
Dies sei die Aufgabe einer neu zu schaffenden Abteilung des Militärs, die er "SysAdmin" nennt. An dieser Arbeit des Wiederaufbaus von zerstörten Ländern sollten zu fünfzig Prozent Militärs beteiligt sein, und zu je fünfundzwanzig Prozent Polizeikräfte und Zivilisten. Ansätze einer neuen Ordnung nach dem Muster des Militär-Indutriellen Komplexes sind bereits beim Wiederaufbau des Irak zu erkennen.
Jetzt nimmt Präsident Eisenhower seine dicke Hornbrille ab, in seiner letzten Rede als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, und schaut uns an, faltet die Hände:
Glücklicherweise kann ich sagen, dass Krieg vermieden werden konnte. Steter Fortschritt hin zu unserem endgültigen Ziel ist vollzogen worden. Aber es muss noch so viel getan werden …Ich danke Ihnen, und gute Nacht.
Literaturtipp:
Thomas P.M. Barnett: Blueprint for Action - A Future Wort Creating. New York 2005.