USA: Weichenstellung für die Medizin der Zukunft

Seite 2: Umstritten: "Real world evidence" als Ersatz für klinische Studien

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Als besonders umstritten gilt eine Passage, die die FDA auffordert, ein Programm zur Bewertung von "real world evidence" bzw. realen Befunden zur Wirksamkeit einer Therapie im Alltag zu entwickeln, um diese bei der Zulassung von Medikamenten in Betracht zu ziehen.

Die möglichen Quellen sind zahlreich: Neben den vom Gesundheitssystem selber generierten Daten wie elektronischen Gesundheitsakten, Apotheken-Rezepten und Rechnungen, Labor-Testergebnissen, Statistiken, Röntgenbildern, Gewebeproben und Genom-Daten aus Biodatenbanken kommen zum Beispiel auch Daten zu Kreditkarteneinkäufen in Frage, die einen Einblick in den Lebenswandel versprechen.

Und weitere Gesichtspunkte sind denkbar, etwa Antworten auf die Fragen, mit wem man lebt, und ob man ein Haustier besitzt. Hinzugezogene analytische Methoden wie Data Mining sollen helfen, aus dem Daten-Potpourri neue Patientengruppen herauszufiltern, die sonst unbemerkt bleiben würden und die anders reagieren könnten als andere Patienten mit dem gleichen Gesundheitszustand.

Abgesehen von der Überwachung nach der Markteinführung verwendet die FDA reale Befunde aus Studien zum Krankheitsverlauf und aus retrospektiven Beobachtungen bisher meist nur, um Arzneimittelzulassungen für seltene oder lebensbedrohliche Krankheiten zu unterstützen. Die Palette realer Befunde soll nun die Wissenslücke zwischen klinischer Forschung und klinischer Praxis überbrücken. Wie sie in den Regulierungsrahmen eingefügt werden, muss jedoch noch gründlicher untersucht werden.

Befürworter merken an, das die Daten zur Unterstützung einer FDA-Zulassung für neue Produkte typischerweise aus klinischen Studien stammen, deren streng kontrollierten spezifischen Bedingungen nicht viel mit dem Alltag im Gesundheitssystem zu tun haben. Kritiker wiederum sehen hier Zugeständnisse an die Pharmabranche, die sich so lästiger und teurer klinischer Studien entledigen und diese durch kaum kontrollierbare Alltagsbeobachtungen ersetzen kann. Eine schnelle Einführung vieler der anvisierten "Heilverfahren des 21. Jahrhunderts" sei nur durch eine gewollte Absenkung der Sicherheitsstandards möglich und werde so zu einer Gefahr für die Patienten.

Dabei gibt es bereits Bemühungen, die reale Befunde zu verwenden, um die Effizienz der klinischen Prüfung und die Überwachung der Arzneimittelsicherheit zu verbessern, darunter die National Institutes of Health Collaboratory, PCORnet und die Sentinel Initiative der FDA. Bisher aufgetauchte Probleme sind vor allem die schwierige Überprüfbarkeit der Gültigkeit und Zuverlässigkeit solcher realen Befunde, deren Quellen oft keine Verbindung untereinander haben und in vielen Fällen widersprüchlich sind.

Pharma-Unternehmen soll nun erlaubt werden, zusammengefasste Studienergebnisse anstelle vollständiger Datensätze zu kompletten klinischen Studien einzureichen. Diese Zusammenfassungen könnten wichtige Informationen zu Sicherheit und Effizienz verschleiern, die FDA-Wissenschaftlern bei der Sichtung dann verborgen bleiben. Für Kritiker sind das alles eindeutige Anzeichen dafür, dass die Latte insgesamt tiefer gehängt werden soll.