USA stützen mit Außenpolitik eigene hegemoniale Vormachtstellung

Seite 2: Deutschland und die Nato: Eine (zu) enge Bindung

Heute käme niemand mehr auf die Idee, Bundesminister Pistorius auch nur zu fragen, ob er sich als "schwarzes Schaf" in der Nato fühle. Soweit es Deutschland betrifft, ist das Schaf woll-weiß und himmelt den Leithammel an.

Dem Publikum an der Johns-Hopkins-Universität erklärte Pistorius die Gründe in englischer Rede unlängst wie folgt:

Wir Deutschen werden uns immer daran erinnern, was die USA für uns während der Luftbrücke taten. Wir werde uns immer an ihre Anstrengungen in den Jahrzehnten danach erinnern, als die Freiheit an der Nato-Ostflanke verteidigt werden musste, und als diese Flanke wir waren, Westdeutschland… Die Nato-Alliierten waren da (Anmerkung: Bezug auf Niedersachsen), um Deutschland vor der sowjetischen Bedrohung zu verteidigen. Sie waren da, um unsere Sicherheit zu ihrer Sicherheit zu machen.

Das Wesen der Nato

So wird Geschichte glatt gebügelt und das Wesen der Nato verniedlicht.

Pistorius pries die US-Vorreiterrolle für ein "freies und geeintes" Europa, zu dem, das ergibt sich aus der Gesamtrede, Russland definitiv nicht gehört, nie gehört hat und auf absehbare Zeit auch nicht gehören wird, denn dieses Russland ist ein Feind. Den man, so verstand jedenfalls Lawrow im April 2024 ein deutsches Politikziel, "vernichten" will.

Pistorius erläuterte in den USA auch, wie man Sicherheitsdenken zu verstehen habe:

Einem alten Sprichwort zufolge bedeutet der Umgang mit der Sicherheit des eigenen Landes, immer vom Schlimmsten auszugehen. Verteidigung zu denken bedeutet, in worst-case-Szenarien zu denken.

Dann aber verfiel er in die "Zeitenwende"- Rhetorik, an der Kagan oder Nuland ihre helle Freude haben müssten: Das neue "Zeitenwende"-Deutschland büxt aus dem US-geführten Konvoi nicht aus. Es bettelt allerdings um Genehmigung für ein bisschen europäische Führungsrolle. Schließlich sähe das neue Deutschland die Zwei-Prozent-Verpflichtung im Rahmen der Nato nicht mehr als zu erreichende Obergrenze, sondern als das Minimum an. Von diesen Steuermilliarden fließt ein schöner großer Batzen direkt in die USA.

Der "Worst Case" nach Pistorius: Das Ende der menschlichen Zivilisation?

Darf man von einem deutschen Verteidigungsminister erwarten, dass er die selbst postulierte Natur des Sicherheitsdenkens versteht, durchdekliniert und dann Schlussfolgerungen zieht? Ich denke schon.

Das beginnt allerdings mit der Frage, was der "Worst Case" ist.

Die Antwort darauf ist im nuklearen Zeitalter seit Jahrzehnten immer dieselbe: Der schlimmstmögliche Fall ist das Ende der menschlichen Zivilisation, darunter wegen eines ausufernden Krieges, der im nuklearen Weltenbrand mündet. Es ist bis jetzt nicht ausgemacht, dass der aktuell tobende Stellvertreterkrieg in der Ukraine nicht völlig außer Kontrolle gerät.

Die Wurzel des Krieges um die Ukraine: Fehlende Sicherheitsarchitektur

Pax Americana und die sie stützende Propaganda verhindern nach wie vor zuverlässig, dass die Wurzel des Krieges um die Ukraine korrekt benannt wird: die Abwesenheit einer inklusiven transatlantischen Sicherheitsarchitektur, die von Pazifik zu Pazifik reicht, also von Vancouver bis Wladiwostok. So sollte sie nach 1990 gebaut werden. Das wurde von den USA aus Gründen ihrer Dominanz in Europa hintertrieben. Deutschland und die EU haben das durchgehen lassen, wenn nicht sogar aktiv unterstützt.

Man kann es aber auch mit den Worten von John Pilger beschreiben, der 2014 im Guardian prophezeite, dass die USA mit ihrer Ukraine-Politik "uns in den Krieg mit Russland ziehen": Wenn Putin in der Ukraine den ethnischen Russen zu Hilfe eilen sollte, dann wird dessen vorfabrizierter Paria-Status dazu führen, dass es zu einem Guerilla-Krieg kommt, der auf Russland übergreift, so Pilger damals.

Pilger erinnerte in dem Zusammenhang an die Sequenz der Ereignisse, die mit dem westlich gestützten Putsch in der Ukraine 2014 ins Rollen kamen. Er erinnerte ebenfalls daran, dass Russland im Anschluss zwar nach der Krim, aber nicht nach dem Donbass griff und dessen Unabhängigkeit nicht unterstützte.

All das wird nicht erzählt, denn das Imperium redet lieber von der imperialen Natur des Feindes, um die eigene unsichtbar zu machen. Eine interessante Studie zur propagandistischen Begleitung des Krieges in der Ukraine seit 2022 lieferte Florian Zollmann, Newcastle University, 2023. Er analysierte auch deutsche Medien.

Propagandistisch gibt es keine Nato-Mitverantwortung.

Im Guardian konnte Anfang Januar 2022 nach den russischen Sicherheitsvorschlägen vom Dezember 2021 nachgelesen werden, worum es der russischen Seite ging, bevor sie zum militärischen Mittel griff: Es ging um die Rückgängigmachung bereits erfolgter militärischen Positionierungen der Nato, und um den Ausschluss ihres weiteren Vorrückens mit militärischen Strukturen (d. h. Stützpunkte, Waffenstationierungen) auf das Territorium der Ukraine. Das sind, frei nach Pistorius, harte Sicherheitsinteressen (aus Moskauer Sicht), über die die Nato "selbstverständlich" (Nato-Generalsekretär) nicht verhandelte.

Die Nato und Russland: Ein problematisches Verhältnis

Das widerspiegelt das wirkliche Nato-Problem. Dem Vertrag nach ist sie eine gute Institution, der UN-Charta und der Konfliktlösung verpflichtet. In der Realität schert sie das alles nicht. In der Realität ist sie Teil der Absicherung der US-Hegemonie in Europa. Das ist, wie es in einer sehr bemerkenswerten Analyse der CIA 1990 formuliert wurde, ihre "raison d'être".

Selbstverständlich formulierte der Guardian die russischen Sicherheitsbedürfnisse eleganter: Es regiere seit Langem in Moskau ein "Gefühl", im Zuge der deutschen Einigung mit falschen Versprechungen "betrogen" worden zu sein. Das spiele bis heute eine Rolle.

Solange man das auf der psychologischen Ebene hält, lässt sich alles abtun, denn schließlich empfiehlt sich bei gestörten Gefühlshaushalten allenfalls der Gang zum Psychiater. Das andere Nato-Argument lautet in der Regel, dass nichts Schriftliches existiere. Überhaupt, die Russen waren 1990 sehr schwach auf der Brust und gut aus deutscher Kasse bezahlt worden.

Die imperialistische Logik der USA und Nato

Nach der imperialen Logik verfuhren die USA bzw. die Nato mit Russland ab 1990 ganz konsequent: Verlierer der Geschichte sollten froh sein, falls wir Interessen berücksichtigen, aber nur die, die uns in den Kram passen. Im Übrigen gilt: Klappe halten und kuschen.

Wie schön wäre es doch gewesen, wenn Russland im Gefolge der Auflösung der Sowjetunion sich in den Niedergang der 1990er-Jahre ergeben, schlussendlich seine Massenvernichtungswaffen den USA abgeliefert und sich das Halsband eines Washingtoner Pudels hätte umlegen lassen. Natürlich hätte das der Westen vornehm als "Junior-Partnerschaft" bezeichnet.

In der diplomatischen Diktion wäre von "Zusammenarbeit auf Gebieten von gegenseitigem Interesse" die Rede gewesen. Und ökonomisch wären die Lieferungen von Gas, Öl und neuerdings auch Getreide kein Problem mehr. Ressourcenverfügung ist nur dann ein imperiales Problem, wenn sie in "feindlicher Hand" liegt.

Aber so lief es leider nicht, und das ist ein andauerndes imperiales Ärgernis, das durch die Russland-China-Allianz, die BRICS, und die Schar der vielen neuerdings Aufmüpfigen nicht kleiner wird. Da ist es schon gut, wenn Deutschland, so "unverbrüchlich" wie in Sachen Ukraine, fest an der Seite der USA steht. Egal, wie rückwärtsgerichtet das ist, und was es an realer Sicherheit und realem Wohlstand kostet.