USA wollen Piraten auch auf somalischem Festland jagen
Die Bundesregierung hat die Teilnahme an der EU-Militärmission zur Bekämpfung der Piraten beschlossen - ein Abenteuer mit zweifelhaften Erfolgsaussichten
Zur Bekämpfung von somalischen Piraten wollen die USA im UN-Sicherheitsrat die Befugnis erhalten, gegen Verdächtige auch an Land vorgehen zu können. Ein entsprechender Resolutionsentwurf wurde an die Mitglieder des Sicherheitsrats verteilt. Darin heißt es, dass "alle notwendigen Maßnahmen auf dem somalischen Festland und im Luftraum" ergriffen werden können. Somalia ist ein "failed state", in dem es nur eine provisorische Regierung gibt, die aber auf weite Teile des verarmten Landes wenig Einfluss hat, von dem sich einige Regionen abgespalten haben, während Clans, Warlords oder Islamisten über Gebiete herrschen und eine Zentralregierung verhindern. Über drei Millionen Menschen sind in Somalia auf Lebensmittellieferungen angewiesen, über eine Million Menschen wurden vertreiben.
Die somalische Übergangsregierung hat bereits zugestimmt, dass Piraten auch auf dem Land von den internationalen Truppen verfolgt und bekämpft werden können. Was es bedeutet, wenn diese Regierung – und die Puntland - die Piratenjagd von ausländischen Truppen freigibt, ist sicherlich ebenso ein Problemfall wie die Tatsache, dass sie – nach dem Vorbild der USA – überhaupt als militärische Mission und nicht als Aufgabe der Polizei durchgeführt wird. Auf dem Land dürfte auch der Sachverhalt der Piraterie schwerer nachzuweisen sein, Übergriffe auf andere Bevölkerungsschichten, ob gewollt oder nicht, sind dabei zu erwarten. Die USA sind sicher nicht nur daran interessiert, Piraten zu bekämpfen, sie wollen vermutlich auch eine Möglichkeit haben, legitim und mit Deckung der Vereinten Nationen Islamisten zu bekämpfen, um zu verhindern, dass Somalia, seit dem Rückzug der US-Truppen 1993 sowieso schon ein Trauma der USA, das nächste Afghanistan wird.
Ungeklärt ist auch, wie genau verfahren werden soll, was bereits seitens der indischen Marine geschehen ist, wenn Boote versenkt oder Menschen gerötet werden, die mit Piraterie nichts zu tun hatten. Wird das als "Kollateralschaden" verbucht? Werden Gefangene gemacht, ist unklar, wer sie wie lange auf Grund welcher Beweise festhalten sowie wo und wann sie vor Gericht gestellt werden sollen, da Somalia kein funktionierender Rechtsstaat ist und keine souveräne Regierung besitzt. Und was soll mit Festgenommenen geschehen, für die man kein Auslieferungsland findet? Zwar ist stets die Rede von der Notwendigkeit, die Piraterie militärisch zu bekämpfen, relativ wenig aber davon, deren Ursachen anzugehen. Eine der Ursachen, so die FAO, ist die illegale Fischerei vor Somalias Küste, die von internationalen Fischerflotten betrieben wird und die Existenzgrundlage der somalischen Fischer bedroht. Bekannt ist auch, dass die Situation von Somalia als failed state auch ausgenutzt wird, um an der somalischen Küste Giftmüll und atomaren Abfall zu "entsorgen".
Gerade hat die Bundesregierung beschlossen, mit einer Fregatte und bis zu 1400 Soldaten an der EU-Mission Atalanta und damit an dem Abenteuer der Piratenjagd auf trotz Resolution 1846 ungesicherten Rechtsgrundlagen teilzunehmen. Begründet wird die Teilnahme vor allem damit, dass so die weitgehend über den Seeweg erfolgende Versorgung der Menschen in Somalia mit Lebensmitteln gesichert werden soll. Dazu soll die durch den Golf von Aden führende Handelsroute geschützt werden. "Mit Atalanta sollen Geiselnahmen und Lösegeldforderungen unterbunden und das Völkerrecht durchgesetzt werden", heißt es seitens der Bundesregierung.
Bekannt sind bislang die Einsatzregeln für Atalanta nicht, auch nicht die, die für die Teilnahme der deutschen Soldaten und Polizisten an der Mission gelten sollen. Zwar soll die deutsche Teilnahme, die noch vom Parlament beschlossen werden muss, nicht nur militärisch sein, da Festnahmen zwar durch die Soldaten erfolgen kann, eine Übergabe der Festgenommenen jedoch durch die Bundespolizei erfolgen muss. Sie ist auch dann zuständig, wenn Deutschland selbst ein Interesse an der Strafverfolgung hat.
Zwar wurde die Nato-Mission Allied Provider nun beendet, aber neben Enduring Freedom gibt es jetzt nicht nur Atalanta (was sich als ähnlich problematisch wie die Parallelexistenz von Isaf-Truppen und US-Soldaten unter US-Mandat erweisen könnte). Sondern auch andere Nationen, die ebenfalls Kriegsschiffe entsenden. Das dürfte das Einsatzfeld ziemlich unüberschaubar machen. Wenn dann das Einsatzgebiet auch noch von der See auf das Land erweitert würde, wo dann nicht nur tatsächliche oder mutmaßliche Piraten bekämpft, sondern Konflikte mit anderen Gruppierungen unvermeidbar wären, würde trotz aller Aufrufe des UN-Sicherheitsrats zur Kooperation und Koordination die Situation vollends unübersichtlich und gefährlich.
Dass sich mit vorwiegend militärischen Mitteln ein "failed state" kaum befrieden und in einen demokratischen Rechtsstaat überführen lässt, kann man am Beispiel Afghanistan sehen. Auf Druck von der US-Regierung und mit ihrer Unterstützung vertrieben äthiopische Truppen 2006 die "Union der Islamischen Gerichte" von der Macht, die das Land vorübergehend ein wenig stabilisiert hatte. Seitdem hat sich die Union gespalten und mit al-Shabaab eine radikale, islamistische Gruppierung abgelöst, die nun bereits wieder Teile des Landes kontrolliert, während der Friedensprozess nicht vorankommt, das Land weiter zerrissen ist und auch bereits abgespaltene Regionen wie Somaliland und Puntland instabil werden. Wenn sich die äthiopischen Truppen – verspätet – Ende des Jahres aus Somalia zurückziehen werden, könnte das Land wieder verstärkt in neuen Kämpfen versinken. Die wenigen Soldaten der UN-Mission AMISOM würden das nicht verhindern können.
Noch will die Bundesregierung den Antipiraterie-Einsatz auf das Meer beschränken. Ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums äußerte sich in diesem Sinne.