Über Klagenfurt der Geist von Uwe Tellkamp
Seite 2: Literatur, Innerlichkeit und Politik
- Über Klagenfurt der Geist von Uwe Tellkamp
- Literatur, Innerlichkeit und Politik
- Und der Ukrainekrieg?
- Auf einer Seite lesen
Die Erforschung der eigenen Innerlichkeit ist nun mal Aufgabe der Kunst, wie die Naturwissenschaften die äußere und Sozialwissenschaften die soziale Welt erforschen. Nur könnte man in dieser inneren Welt durchaus auch wieder auf relevante Teile der sozialen Welt stoßen, wenn man sie ins eigene Erleben denn hinein gelassen hätte.
Die Reflexion gesellschaftlicher Probleme kann sensible Zeitgenossen in Seelennöte bringen und eine gewisse Herzensbildung schaut aus der heilen Welt des Besitzbürgertums auch mal auf die unteren Zweidrittel, denen es nicht gut genug geht, um sich gepflegte Kultur zu gönnen.
So geschehen auch 2022 in einigen Texten, die schauten etwa auf einen prekarisierten Afroamerikaner, einen Exil-Iraner, der in einen deutschen Knast einfährt, eine werdende Mutter, die am Elend der Klima-Katastrophe leidet, und auf die im eigenen PR-Blabla ersaufende Gig-Economy, während ausgebeutete Lieferando-Radler einen Streik organisieren. Nur der letztere, satirisch präsentierte Text von Elias Hirschl bekam einen Preis, aber nicht von der Jury, sondern den per Email-Voting vergebenen Publikumspreis, wohl auch wegen vieler verdienter Lacher.
Immerhin blieb die unter Ägide des DLF-Mannes Hubert Winkels üblich gewesene Geißelung solcher Themen als "altbackener Sozialismus" aus. Die neue Chef-Jurorin, die DLF-Frau Insa Willke, geht literarisch subtiler vor, auch die Nachwuchs-Literaten werden weniger hart angefasst.
Frühere Jurys warfen ihnen etwa mangelndes Sprachtalent, Schlagerpoesie, unoriginelle Themenwahl, Effekthascherei oder wahlweise Langweiligkeit vor. Heuer war es dem offenbar als Feuilleton-terrible besetzten Juror Tingler vorbehalten, sich durch die allzu großen Fußstapfen des ehedem in Klagenfurt wetternden Literaturpapstes Reich-Ranicki zu kämpfen und wenigstens gelegentlich "Kitsch" in den Texten zu bemängeln.
Die Bachmannpreis-Reform 2022
Bei den TDDL konkurrieren nicht nur die Autoren, sondern auch die Juroren untereinander um Aufmerksamkeit, gelungene Kritik, kluge Deutung und elegantes Formulieren. Dazu gehört der Ruhm, die vier letztlich preisgekrönten Autoren ausgewählt zu haben, insbesondere den Bachmannpreis. In der sonntäglichen Endrunde erreichte dieses Ringen früher den Höhepunkt im etwas wuseligen Auswahlverfahren mit begründeter Juroren-Wertung der Texte.
Beginnend mit dem Haupt- also dem Bachmann-Preis verteilte man die zuletzt fünf Ehrungen in finanziell absteigender Reihe von gut 20.000 bis hinab zu bescheidenen 7.000 Euro. Diese dramaturgisch ungünstige Regel wurde 2022 zugunsten einer Hinterzimmer-Preisverteilung gekippt. Jetzt werden die Preise in die Spannung haltender aufsteigenden Reihe verliehen.
Heinz Sichrovsky, grauhaariger Kulturjournalist mit Wiener Schmäh, grantelte in einem Gespräch zwischen den Lesungen, der eigentliche Zweck dieser Veranstaltung sei je her die Selbstdarstellung der Juroren. Der Klagenfurt-Veteran lobte die "Rückkehr des Erzählens und des Farbenreichtums", es sei ein gutes Niveau heuer, und zeigte sich gespannt, ob das neue Verfahren der Endbewertung besser wäre als das bisherige:
Das war ja wirklich eine Schändlichkeit, wie die Juroren den Favoriten des jeweils anderen hinunter taktiert haben in zahlreichen Runden, bis dann oft, manchmal, will nicht generalisieren, der Kompromiss des Mittelmaßes herausgekommen ist, weil die guten Leuten vorsichtshalber schon beiseite geräumt worden sind.