Über Klagenfurt der Geist von Uwe Tellkamp
Seite 3: Und der Ukrainekrieg?
Der deutsche Kulturbetrieb hatte seit der russischen Invasion in der Ukraine treu an der Seite der westlichen Medien gegen den Aggressor gestanden. Man hatte russische Dirigenten und Operndiven gegängelt und zur Verdammung Putins genötigt, russische Komponisten aus den Spielplänen genommen.
Dagegen blieb der Bachmann-Betrieb vergleichsweise neutral. Kein vorgelesener Text geriet zum flammenden Appell, etwa Panzerhaubitzen für Kiew zu fordern.
Einige dezentere Stellungnahmen fanden jedoch zwischen den Leserunden statt, etwa Gespräche über den Balkankrieg der 90er-Jahre unter peinlicher Auslassung der völkerrechtswidrigen Nato-Intervention. Es gab Einspieler über Moldau und Transnistrien, die russische Verwicklungen problematisierten, den Text des irakischen Literaten mit Erwähnung des Iran-Irak-Kriegs 1980 ohne die Verwicklung der USA darin zu nennen.
Die Autorin Nino Haratischwili aus Georgien durfte in einem eingespielten Video-Interview ihren Roman "Das mangelnde Licht" vorstellen, sprach über Leid und Angst vor Russland und sah im Ukrainekrieg aktuell eine "identische Taktik" Moskaus. Ein 3sat-Sprecher aus dem Off erläuterte:
Wie jetzt in der Ukraine hat Russland schon 2008 vor dem Kaukasuskrieg, zwei von Georgien abgespaltene Regionen demonstrativ unterstützt und in beiden Gebieten sind bis heute noch Soldaten stationiert.
Verschwiegen wurde dem 3sat-Publikum, dass eine KSZE-Untersuchung nach dem Krieg bestätigte, Georgien habe damals den Krieg begonnen, Russland nur von seinem Selbstverteidigungsrecht Gebrauch gemacht. Seine dort verbliebenen Soldaten sind Friedenstruppen, die im Bürgerkrieg die Parteien trennen sollen.
Genau so, wie etwa Nato-Truppen im Jugoslawienkrieg, der mit der völkerrechtswidrigen Bombardierung Belgrads durch die Nato und der Abspaltung des Kosovo von Serbien endete. Trotz Sieg und Eroberung der Hauptstadt Tiflis hatte sich die russische Armee 2008, nachdem der Frieden wieder hergestellt war, wieder in die russischsprachigen Gebiete zurückgezogen.
Blaugelbe Mütze blieb unbeachtet
Die Falschdarstellung des Kaukasuskriegs als völkerrechtswidrige Invasion Russlands in Georgien konnte man in den letzten Monaten häufig in unseren Medien hören. Veranstalter, Autoren und Juroren enthielten sich bei den TDDL jedoch der Stellungnahme zum Ukrainekrieg.
Nur der erste Lesende hatte eine Schirmmütze mit Ukrainischem Blaugelb auf dem Kopf, was aber keine hörbare Resonanz bei Publikum, anderen Autoren oder Veranstaltern fand.
Umgekehrt gab es auch niemanden, der es gewagt hätte, den medialen Mainstream-Darstellungen entgegen zu treten, wie etwa der Literat Wolfgang Bittner. Der hatte 2014 im Telepolis-Interview "über MH-17, Faschisten in der Ukraine und das Versagen der westlichen Medien" den niederländische Politikwissenschaftler Karel van Wolferen dahingehend zitiert, dass sich die russischsprachigen Ostukrainer nicht "von einer Sammlung von Verbrechern, Abkömmlingen ukrainischer Nazis und in den IWF und die EU verliebten Oligarchen" regieren lassen wollten.
So unangepasst kann Literatur sein. Derart Widerständiges ließ man in Klagenfurt 2022 freilich nicht in die Nähe eines Mikrofons oder einer Kamera.