Über den Wolken muss die Freiheit wohl begrenzt sein

Es mögen schweigen die Frager und Zweifler. Sie mögen kommen, sehen und staunen. Ring frei für Panzer Dragoon Orta

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Hier ist Dein Cursor. Da ist Dein Ziel. Bewege den Cursor über das Ziel. Drücke den Knopf. Ein Videospielprinzip, fast so alt wie Videospiele selbst. Ein Spielprinzip, wie es einfacher kaum geht. Was soll so ein Prinzip schon hergeben, was soll man groß damit anstellen können? Ist da nicht MOORHUHN, kurzer Zeitvertreib für unausgefüllte Bürominuten, das Höchste der Gefühle? Hat so ein simpler Spielmechanismus überhaupt noch was verloren auf den Game-Maschinen der derzeitigen "nächsten Generation"? Es mögen schweigen die Frager und Zweifler. Sie mögen kommen, sehen und staunen. Ring frei für PANZER DRAGOON ORTA.

Schon lang, bevor es Videospiele gab, hat man sich zum Vergnügen mechanisierte Geschicklichkeitsproben unterzogen, hat sich gemessen an Präzision und Geschwindigkeit von Unterhaltungs-Maschinen. Und selbst als Spielautomaten noch aus Blech und Räderwerk, aus Blinkelämpchen und Glocken gefertigt waren, ging es bereits gerne ums simulierte Schießen - auf Wildtiere, U-Boote, Cowboys. Von da war es gar kein so revolutionärer Schritt zu den ersten vollelektronischen Daddelautomaten - doch wer hätte schon gedacht, dass DEREN Abkömmlinge dereinst nicht dem Hau-den-Lukas auf dem Jahrmarkt Konkurrenz machen würden, sondern Romanen und Spielfilmen? Dass sie bald lernen würden, ganze eigenen Welten zu bauen, mit Geschichten und Geschichte, sich erstreckend über riesige virtuelle Weiten, reichhaltig bevölkert mit künstlichem Leben?

Dass Besondere an PANZER DRAGOON ORTA (nur auf X-Box) ist, wie dieses Spiel versteht, beide dieser Traditionen zu vereinen. Wie es den simplen Reiz-Reaktions-Test als Mittel nutzt, um in und durch eine Fantasie-Welt zu führen. Und wie es in beiden dieser Aspekte dabei beeindruckende Brillanz erreicht.

ZEIGEN & ZIELEN

Der Cursor, den man in PANZER DRAGOON ORTA über den Bildschirm bewegt, ist kein entkörperlichter, wie in astreinsten Point-and-click-Spielen, und er steht auch nicht für das Visier einer virtuellen Waffe, mit der die Gamer quasi direkt anlegen auf die Welt des Spiels. Was man führt mit diesem Cursor ist vielmehr der Zielpunkt für die Protagonistin des Games, das bleiche Mädchen (oder doch nur: mädchenähnliche Wesen?) Orta, die - in schönster Umkehrung klassischer Märchenplots - von einem Drachen aus ihrem Turmgefägnis befreit wird und dann auf dem Rücken der fliegenden Panzerechse durch die Lüfte schnellt, im Kampf gegen ein übermächtiges Imperium, aus ihrer futuristischen Handfeuerwaffe dabei mehr Schüsse abgebend als Chow Yun Fat in einem John Woo-Film. Ein bisschen komplizierter als nur stures Zeigen-und Klicken ist die Sache bei PDO denn auch schon im Prinzip: Erstens gehört auch das Ausweichen vor feindlichen Geschossen dazu - in eingeschränktem Rahmen folgt der Flug des Drachen auch der Cursor-Richtung.

Dann hat man zwei unterschiedliche Grund-Arten von Schüssen zur Verfügung, die eine langsamer, aber kraftvoller und mit Lock-On-Mechanismus für mehrere Ziele auf einmal, die andere ein MG-artiges Schnellfeuer. Und schließlich kann der Drachen, auf dem Orta durch die Lüfte reitet, drei verschiedene Verwandlungs-Formen annehmen, jede mit ihren eigenen Stärken und Schwächen - die eine mit mehr Schüßen gleichzeitig, die andere mit stärkerem Feuer und besserer Panzerung, die nächste wendiger im Flug. Durch Einsammeln von Power-Ups lassen sich diese Formen zudem unabhängig voneinander auf höhere (im Kampf mächtigere und optisch eindrucksvollere) Stufen aufrüsten. Außerdem gibt es noch die Shooter-üblichen Sonder-Waffen, die erst aufgeladen sein wollen, dann aber mit einem gewitternden Schlag den Bildschirm weitgehendst freifegen von Feinden. Und - ebenfalls nur zum sparsamen Einsatz - kurze Boosts, vorwärts oder rückwärts, für den Drachenflug.

In dieser Dichte aufgezählt, mag das fast schon wieder verwirrend vielfältig scheinen, aber es ist im Spiel selbst gerade genug, um das Grundprinzip vor der Gefahr der Stumpfsinnigkeit zu bewahren, um den Spielern ein paar überschaubare Wahlmöglichkeiten zu geben, aus denen die optimale für die jeweilige Situation gesucht sein will. Ohne dabei aber durch Überfrachtung dem Spiel seine fundamentale Einfachheit, Klarheit, Reinheit zu nehmen - die ja durchaus ein Reiz ist.

DIE UNERTRÄGLICHE VIELFÄLTIGKEIT DER FREIHEIT

Die strenge Beschränkung der Freiheitsgrade ist für PANZER DRAGOON ORTA letztlich sogar Schlüssel zum Erfolg: Mehr oder minder heimliches Ziel vieler 3-D-Science Fiction-Shooter ist seit jeher, in interaktiver Form die begeisterte Aufregung, das gebannt-überwältigte Staunen nachzuschaffen, die man erlebte, wenn man als Kind zum ersten Mal die Raumschlachten in STAR WARS sah. (Wie vieles am ersten STAR WARS beginnt man diese grenzenlose, naive Begeisterung freilich mit erwachsenen Augen etwas zwiespältiger zu sehen, wenn man erst einmal die '30er- und'40er-Jahre-Quellen kennen gelernt hat, aus denen George Lucas den überwiegenden Teil seiner Inspiration schöpft.

Und da stand eben nicht nur TRIUMPH DES WILLENS für das STAR WARS-Finale ziemlich 1:1 Pate, sondern auch reale wie propaganda-fiktive Bilder von Luftschlachten aus dem Zweiten Weltkrieg für die Raumschiff-Kämpfe.) Selten ist das auch nur annähernd gelungen, und in den meisten Fällen (auch gerade bei offiziellen STAR WARS-Games) lag das Scheitern daran, dass die Designer nicht wirklich dem Filmerlebnis nacheiferten, sondern einem vermeintlichen Realismus. Da wurde man dann in die Cockpits veritabler Weltraum-Kampfflieger entlassen und mit der vollen Kontrolle über alle Bewegungs- und Waffensysteme betraut, durfte mit voller 360°-Freiheit auf allen Raumachsen durchs All düsen und über Planeten donnern. Und stieß dabei meist auf die schnöde Wahrheit, dass sich Flugmanöver, die von Special Effect-Crews für die Leinwand mit Bedacht auf maximalen Schauwert designt wurden, in der Realität einfach so nicht nachvollziehen lassen - nicht mal in der virtuellen.

Da fand man sich ständig überfordert und der Orientierung verlustig gegangen, durfte schon froh sein, wenn man wenigstens mal einen Feind für mehr als Sekundenbruchteile im Visier halten konnte. Von atemberaubenden kampffliegerischen Husarenstücken im Sekundentakt konnte da gar nicht die Rede sein. Filmhelden können wilde Jagden durch unbekannte Zick-Zack-Parcours als Millimeter-Maßarbeit absolvieren und gleichzeitig noch aus allen Rohren Präzisionstreffer abfeuern - echte Menschen in Simulationen solcher Situationen tun aber genau dass, was auf der Leinwand die feindlichen Flieger machen:

Nach ein paar Sekunden gegen die nächste Wand klatschen. PANZER DRAGOON ORTA hingegen - das wenig Hehl daraus macht, dass es sich bei berühmten Science Ficiton- und Fantasy-Genre-Vorbildern bedient, wo es nur kann, sei es STAR WARS, DRAGONRIDERS OF PERN, ALIEN oder DUNE - ist in zahlreichen Momenten (ganz besonders im vierten Level, beim Kampf gegen die imperiale Luftflotte) an diesem atemberaubenden "sense of wonder" des Ur-STAR WARS viel näher dran, als das selbst auf der Leinwand George Lucas persönlich noch schafft, der mit seinen unsäglichen Episoden 1 & 2 nur noch den Glanz besserer Tage verwaltet und ausschlachtet.

Und zwar gelingt PDO dies eben dadurch, dass für die halsbrecherischen Flugmanöver und den dramaturgischen Ablauf der Kämpfe von selbst gesorgt wird. Der Computer trägt einen automatisch auf der rechten Bahn durch den Raum, als Spieler hat man nur noch für die (Ausweich-)Bewegung im Detail zu sorgen, und für das Schießen, Feuern, Ballern. Ein Ross-und-Reiter-Prinzip, das in der Spielewelt von PDO selbst eine schöne Entsprechung findet im Paar der eigentlichen Protagonistin Orta und des sie mit selbständiger Intelligenz durch die Level transportierenden Drachens.

Eng ist die Verwandtschaft (und in einem kurzen Levelabschnitt mit Mienenloren auf achterbahnartig gewundenen Schienen direkt im Bildschirm-Bild greifbar) zu Vergnügungspark-Rides, wie "Star Tours" oder das Indiana Jones-Abenteuer im kalifornischen Disneyland. Nur dass PANZER DRAGOON ORTA es dabei auch noch schafft, seinen durchrasten Sehenswürdigkeiten immer wieder nicht nur Achterbahn-Thrill sondern auch eine kunsthandwerkliche Schönheit zu verleihen, nach deren überwältigendem Anblick man seine dezent auf den Boden gedozte Kinnlade erst wieder aufklauben muss, bevor es weitergehen kann im Spiel.

SCHIENEN & ACHSEN

"Shooter on Rails", einen Shooter auf Schienen nennt man üblicherweise diese Art von Spiel, aber das lenkt den Blick etwas in die falsche Richtung, weil es die Hauptbetonung legt auf einen vermeintlichen Mangel an Bewegungsfreiheit. Sprachlich weniger griffig, aber in der Sache treffender und zugleich die Tradition anklingen lassend, in der diese Spiele stehen, wäre "In die Tiefe des Raumes scrollender Shooter". Denn die Urväter von PANZER DRAGOON ORTA sind Games wie SCRAMBLE, XEVIOUS, GRADIUS, R-TYPE: Ballerspiele, in denen die Landschaft unerbittlich streng horizontal oder vertikal über den Bildschirm scrollt. Spiele, in denen der Computer das Tempo bestimmt, in welchem es durch ihre Fantasie-Welten voran geht, und in denen der Kampf gegen die Feinde gewissermaßen ein Kampf um die Fortsetzung des Sightseeings ist. (Mehr als von den anderen genannten Beispielen hat PDO sein Erbgut von XEVIOUS: Auch dort war die Landschaft selbst keine Bedrohung, waren Kollisionen mit der Spielumgebung selbst weitgehend ausgeschlossen.)

So viele Schritte sind es gar nicht von diesen Anfängen zu PANZER DRAGOON ORTA: Ein erstes entscheidendes Bindeglied ist ZAXXON, das erstmals wahre Räumlichkeit vortäuschte, mit einer isometrischen Perspektive von schräg oben auf das strikt diagonal scrollende Geschehen. Und spätere Shooter wie G-DARIUS, R-TYPE DELTA und insbesondere RAYSTORM und RAYCRISIS (mit ihren "Lock On"-Geschossen), in denen die Spiel-Umgebungen nicht mehr aus Bitmaps bestehen sondern aus virtuell dreidimensionalen Polygon-Modellen, unterscheiden sich eigentlich vollends nur noch durch die Platzierung der Kamera von PDO - dort schaute sie meist ziemlich gerade von oben oder der Seite auf das vom Spieler gelenkte Raumschiff, während sie bei PDO hinter der Flugechse herschwebt (und vom Spieler bei Bedarf auch nach rückwärts, rechts oder links geschwenkt werden kann).

Letztlich ist der prinzipielle Weg von SCRAMBLE zu PANZER DRAGOON ORTA nicht viel weiter als ein Viertelkreis - eine 90°-Fahrt der beobachtenden virtuellen Kamera. Nur, dass der Raum in SCRAMBLE, GRADIUS et al. nicht nur durch die Kameraperspektive flach wirkte, sondern sich wirklich das gesamte Geschehen in bloß einer Ebene abspielte (selbst wenn die Bildhintergründe das Vorhandensein weiterer Tiefe vortäuschten). Weswegen das Zielen, Schießen, Treffen nie ein Problem war - es kannte nur eine Variable, die Höhe. Sobald freilich Spieler wie Feinde auch auf der dritten, der z-Achse von der Leine gelassen werden, ist das Ballern mit einer weiterhin stur gerade nach vorne feuernden Waffe eine nervenaufreibende und arg treffunsichere Angelegenheit - wie jeder weiß, der frühe 3D-Weltraumshooter gespielt hat, die genau diesem Prinzip treu bleiben.

Das ist der Grund, warum ein Game wie PANZER DRAGOON ORTA zum Cursor-Shooter werden MUSS, warum es eine solch simple Mechanik für gezielte Schüsse im dreidimensionalen Raum braucht, wenn es beibehalten will, was schon Grundreiz der Ur-Ballerspiele war: Die Einfachheit und das hohe Tempo beim Abschießen unzähliger Horden von Bildschirm-Gegnern. (Dass der virtuelle Raum von PDO tatsächlich drei Dimensionen hat, macht auch den entscheidenden Unterschied zu jenem Spiel, mit dem die STAR WARS-Spiele-Franchise schon vor längerem genau der Erkenntnis gehuldigt hat, dass der Wunsch nach einer größeren Nähe zu den Filmerlebnissen eine Beschränkung der spielerischen Freiheit erfordert: REBEL ASSAULT. Dessen Konzept war den technischen Möglichkeiten zu einer vollauf befriedigenden Umsetzung noch voraus. RA hinterließ genau den Eindruck dessen, was es auch war - interaktive Game-Elemente, die in einen ablaufenden Film einkopiert waren.)

Von all den genannten Ahnen hat PANZER DRAGOON ORTA die Tugenden eines gelungenen 2D-Shooters geerbt: Erst einmal eine räumliche und zeitliche Verteilung der Feinde, die eine gleichsam musikalische Dramaturgie des Spielablaufs bewirkt - eine zwingende, mitreißende, wellengleiche Folge unterschiedlicher Mengen, Dichten, Ballungen, Symmetrien und Tempi, von Spannung und Lösung. (Es ist etwas schade, dass der - ansonsten sehr gelungene - mit sinfonisch-orchestralen Anklängen spielende Soundtrack von Saori Kobayashi und Yutaka Minobe ("SOUNDMASTER") nicht mehr Nutzen zieht aus den ganz unmetaphorisch musikalischen Konsequenzen des vorprogrammierten Drachenflug-Pfades.

Denn da die Musik einen weitgehend vorstrukturierten Zeitablauf vorfindet, könnte sie sich den für Videospiel-Musiken seltenen Luxus gönnen, großteils durchkomponiert zu sein, eine musikalisch sinnvolle Struktur zu bieten, die dennoch im Detail auf die dramaturgische Situation des Spiels eingehen kann - anstatt nur die übliche Aneinanderreihung musikalischer Warteschleifen mit vereinzelten, plötzlich hereinbrechenden Cues für besondere Ereignisse zu sein.) Dann pflegt PDO die klassische Shooter-Tugend einer perfekten Balance von Herausforderung und Fairness - nie hat man das Gefühl, den Sieg geschenkt zu bekommen, auf dauernde Wachsamkeit und Geschick verzichten zu können; aber genau so wenig teilt PANZER DRAGOON ORTA auch nur einen einzigen Schlag unter die Gürtellinie aus, nie ist ein feindlicher Treffer unvermeidbar, bei jedem Fehler ist völlig einsichtig, dass er ganz und gar auf die eigene Kappe zu nehmen ist. Wobei PDO lang nicht so unerbittlich wie die meisten frühen seiner Vorfahren darauf aus ist, die Gamer am Vorankommen durch das Spiel zu hindern.

Es geht einem nicht wie bei R-TYPE, wo fast jeder Zentimeter an Fortschritt erkauft sein wollte durch perfektes Auswendiglernen des Levels und millimetergenaue Einstudierung der Steuerungsabläufe. Auch noch unbekannte Situationen sind in PDO meist mit halbwegs flinken Reflexen allein zu meistern. Wobei auch in dieser Hinsicht wiederzufinden ist, was die wahren Klassiker unter den früheren Shootern auszeichnete: Je vertrauter mit, geübter in einem Level man ist, um so mehr weicht das hektische Irgendwie-Durchkommen einem Fluss, der den Eindruck von Ordnung, Sinnfälligkeit, ja, sogar Schönheit hinterlässt. Das Design des Spiels kennt einen "richtigen", "wahren" Weg, den man betreten kann, indem man allmählich herausfindet, in welcher Reihenfolge die Gegner am besten zu besiegen sind, welche Spezialfähigkeit an welcher Stelle zum besten Erfolg führt, etc., und auf dem man im Idealfall durch das ganze Spiel geführt wird, ohne einen einzigen Feind entkommen zu lassen oder selbst auch nur einen einzigen Treffer einstecken zu müssen.

Teilt PDO hier mit den klassischen 2D-Shootern höhere, ins Vergeistigte spielende Weihen, ist es schließlich auch noch auf einer viel unmittelbareren Ebene der Tradition seines Genres treu: Der berauschende Adrenalin-Schub eines richtig gelungenen Ballerspiels hängt nicht zuletzt mit der rein körperlichen Betätigung zusammen, die es einem abverlangt. Ein solches Game an einem Automaten-Kabinett zu spielen, mit frenetischem Hämmern auf die großen Feuerknöpfe und hektischem Herumreißen am soliden Joystick, oder es vor heimischem Bildschirm mit automatischem Dauerfeuer und Ministicks quasi im Daumenumdrehen zu meistern, das kann einen Unterschied machen wie den zwischen einem Filmerlebnis auf riesiger Leinwand mit Sechskanalton oder auf einem schnöden Fernseher mit 30cm-Diagonale. PANZER DRAGOON ORTA geht, angesichts seiner unveränderbaren Voraussetzungen als X-Box-Spiel, einen guten Mittelweg: Der einzelne Druck auf den zum Schießen bestimmten Controller-Knopf löst eine kleine Salve aus, aber kein permanentes Dauerfeuer. So ist eine ähnlich hohe Schussfrequenz wie einst beim Zeige- und Mittelfingertriller auf den Automatenbuttos auch mit dem behäbigeren Daumen noch machbar, aber sie aufrechtzuerhalten braucht genauso anstrengende, permanente Fingerbetätigung. Es ist also nicht allein die Schönheit der Grafik oder der spannende Kampf gegen die Feinde, die einem beim Spielen von PANZER DRAGOON ORTA manchmal atemlos machen können...

KONTRASTPROGRAMME

Mit seinem vollautomatischen Drachenritt durch die Levels ist PDO andererseits so ziemlich das genaue Gegenstück zu jenem weiteren Shooter, den das für PANZER DRAGOON ORTA verantwortliche Sega-Entwicklerteam Smilebit erst kürzlich ebenfalls für die X-Box vorlegte: GUNVALKYRIE. (Nebenbei bemerkt: Mit JET SET RADIO FUTURE und PANZER DRAGOON ORTA ist Smilebit nunmehr für mindestens die Hälfte aller echten Exklusiv-Titel verantwortlich, die die Anschaffung einer X-Box rechtfertigen können. Und im Gegensatz zu HALO, das bei allen Momenten grandioser Brillanz doch stark erkennen lässt, dass Bungie bis zum X-Box-Start nicht genug Zeit hatte, den von früher gewohnten Feinschliff zu besorgen, ist PDO bis ins Kleinste ausgefeilt.)

Bei GUNVALKYRIE ist das Schießen noch der einfachste Teil der Übung - die Bewegung durch den Raum ist es, die erst mühsam gelernt sein will. Die beiden Helden von GUNVALKYRIE haben keinen wehrhaften Glücksdrachen, auf dessen Rücken sie sich durch die Wolken schwingen können - sie sind auf ihre Düsen-besetzten Kampfanzüge angewiesen. Und ganz auf die Steuerung durch die Gamer. Zunächst einmal kleben die Protagonisten dieses Spiels am Boden; ein einfacher, Jet-unterstützter Sprung in die Luft ist Grundlage für all die (im wahrsten Wortsinn) höheren Weihen. Dieser Sprung ist von begrenzter Reichweite und Dauer - erst ein System von speziellen, für Anfänger schwer zu steuernden Boosts kann ihn ausdehnen.

Und nur, wenn man solche Boosts mit viel Geschick zu langen Combos reiht, kommt man allmählich der Spielweise näher, auf die GUNVALKYRIE im Grunde seines Herzens aus ist: Durch seine Missionen zu düsen, ohne dabei kaum je den Boden zu berühren. Was bei PANZER DRAGOON ORTA ganz von selbst geht, ist bei GUNVALKYRIE der Lohn für hart erarbeitete spielerische Meisterschaft: Das Fliegen. Erst wenn man das beherrscht, kommt ein Fluss, kommt Rhythmus in die Level; erst dann findet die räumliche Struktur dieser Spielwelt ihre ideale zeitliche Entsprechung.

Dafür gibt es ein anderes Spiel der jüngeren Game-Geschichte, das mehr als nur ein paar Parallelen aufweist zu PDO - das großartige REZ (Dreamcast, PS2). Kein Wunder: War doch Art Director Katsumi Yokota vom Entwickler UGA einst Mitglied des legendären Team Andromeda, das für das originale PANZER DRAGOON auf dem Sega Saturn verantwortlich zeichnete. Sie sind sich enorm ähnlich, REZ und PANZER DRAGOON ORTA, in der zu Grunde liegenden Spielmechanik sowieso, aber auch bis hinein in Design-Details ihrer Welten und deren Bewohnern. Und trotzdem verfolgen sie zwei einander ganz entgegengesetzte Ideale. REZ strebt hin auf pure Abstraktion, auf Loslösung von Form, Farbe, Bewegung, Raum, Klang von der Abbildung einer als real denkbaren Welt.

Sie sollen zu einer Gesamtheit verschmelzen, die sich ganz aus sich selbst bedingt, sollen nur noch einem Rhythmus, einem Fluss gehorchen. Die Spielstruktur ist darauf angelegt, die Gamer zum Einsteigen auf diesen Rhythmus zu nötigen; wenn man REZ richtig beherrscht, dann werden seine Level nicht zur Herausforderung der Geschicklichkeit sondern zu Auffahrtsrampen in die Trance. Nicht umsonst hat REZ Spielmodi, in denen die Spielfigur keinerlei Schaden nehmen kann, in denen der Anspannungs-, Streßfaktor ausgeschaltet wird. PANZER DRAGOON ORTA hingegen nutzt das selbe Grund-Spielprinzip, um Gamer in eine Welt zu ziehen, die alles tut um möglichst echt, möglichst substantiell, voll der Geschichten und Gesetze zu wirken. Dieses Game WILL Abbild sein, scheut nichts mehr als die Abstraktion. Alles hat Ursache und Wirkung, Masse und Ort, bezieht sich nicht auf sich selbst sondern auf das Ganze einer virtuellen Realität.

Oder anders: REZ entwickelt das Spiel-Erlebnis ganz aus dem Grundprinzip - indem es den Vorgang rhythmisiert; die körperliche Komponente des Ganzen, die physische Betätigung der Spieler bewusst versucht, in den hypnotischen Fluss des Spiels einzuleiten. PANZER DRAGOON ORTA aber möchte die tatsächliche Aktion der Gamer, das schnöde Knöpfedrücken, vergessen machen, lädt alle anderen Aspekte des Spiels so stark auf, dass sie sie aus dem Bewusstsein verschwinden lassen. (Es sind dies freilich nur die entgegengesetzten Pole, auf die die beiden Spiele hinstreben. Keines von ihnen erreicht seinen Pol ganz, zu gewissen Teilen bewegen sie sich immer auf dem Territorium dazwischen.)

FUßNOTEN & KURZGESCHICHTEN

Von einer (nie planlosen) Buntheit und Fülle ist die Welt von PANZER DRAGOON ORTA, hinter jeder Biegung hält sie Neues bereit zum Schauen und Staunen, protzt mit Panoramen, wuselt vor Fauna und Flora. Flusstäler und Eiswüsten gibt es zu erleben, Himmelsarmadas und Cyber-Festungen; man begegnet riesigen Wasserwürmern und Luft-Rochen, gigantischen Wüstensand-Flundern mit ganzen bewohnten Dörfern auf dem Rücken und Wolken-Quallen.

Diese Beispiele zeigen schon: Auch wenn bisher oft vom "Fliegen durch die Lüfte" die Rede war, kommt es einem nicht selten eher vor, als sei PANZER DRAGOON ORTA ein Unterwasser-Spiel in nicht schwer zu durchschauender Verkleidung. Die Kreaturen, die einem begegnen, sind - alter PANZER DRAGOON-Tradition treu bleibend - mindestens ebenso oft von irdischen Meeresbewohnern als erkennbare Vorbilder inspiriert wie von gefiedertem Getier. Ortas Drachen scheint eher durch die Atmosphäre zu SCHWIMMEN - und in der Tat sieht sein Vorwärts-Boost nichts so gleich wie einem kräftigen Brustschwimm-Zug.

Nur in den letzten beiden Levels vergisst PANZER DRAGOON ORTA etwas auf seine eigenen Stärken. Da kommt der Aspekt des Sightseeing in einer fremden, fantastischen Welt weitgehend abhanden, zugunsten aneinandergereihter Boss-Fights über leerer Wolken- und Wasserkulisse. Das Spiel zieht nur noch einen Teil seiner Register (die allerdings gewohnt überzeugend) und kann so zum Finale nicht noch einmal ein Crescendo hinlegen.

Zweifelsohne steht hinter der Erfindung all dieser Schauplätze und ihrer Bewohner vor allem eins: Der Wunsch nach größtmöglichem Schauwert. Das Design dieser Welt ist aus Visionen geboren, nicht aus dem Versuch, sie logisch und plausibel aus gewissen Grundvoraussetzungen zu entwickeln. Nachträglich aber haben die Schöpfer dieser mitunter ans Psychedelische grenzenden Kunstwelt viel detailversessene Liebesmüh aufgewandt, ein Gewebe akribischer Erklärungen um die Elemente dieser Welt zu stricken, flechten, das sie zum vorgeblich auch rational motivierten Ganzen zusammenfügt.

In der "Pandora's Box", die alle Extras bereithält, die durch Fortschritte im Meistern von PANZER DRAGOON ORTA freigespielt werden können, findet sich nach und nach eine wahre Enzyklopädie der Welt von PDO, in der deren Bewohner, Geografie, Historie etc. umfassend benannt, katalogisiert und beschrieben sind. Was auch immer einem im Spiel selbst begegnet - nichts davon bleibt dadurch reine Dekoration, beliebiger Effekt (selbst wenn es das in seinem wahren Ursprung wohl war). Wie eine Sammlung von Fußnoten ist dieser Korpus an erklärendem Bonus-Material: Wofür im eigentlichen "Text" PDOs, dem Spiel selbst, mit seiner interaktiven, audiovisuellen Präsentationsform kein Platz, keine Zeit oder nicht die idealen medialen Grundgegebenheiten vorhanden waren (Shooter können Geschichts- und Biostunden so schwer elegant transportieren...), das übernimmt dieser Anmerkungs-Apparat, auf klassische Lektüre setzend. Es ist eine Lektüre, die die Wahrnehmung des PANZER DRAGOON ORTA-Spielerlebnisses noch einmal neu strukturieren kann.

Denn diese Reichhaltigkeit der Welt von PDO kommt besonders zum Tragen, wenn es darum geht, das Spiel in jedem Stadium der Vertrautheit attraktiv zu halten. Der Anfänger findet sich überwältigt von all den neuen, grandiosen Eindrücken, weiß kaum, wo hinschauen, hinhören, hinballern, kann sich in eine Welt werfen, die ihn überspült mit sights and sounds. Mit etwas mehr Erfahrung lernt man, all diese Eindrücke zu unterscheiden, definieren und ordnen, bekommt nach und nach ein Gefühl des Überblicks und der Kontrolle, weiß immer besser, was man tut und warum, erkennt die Elemente dieser Welt und versteht die Zusammenhänge. Und als wahrer Könner/Kenner kann man sich der Erkundung der letzten Winkel dieser Welt widmen und ihres enzyklopädisch dokumentierten Hintergrunds, kann die einzelnen Elemente nicht nur zu unterscheiden lernen, sondern auch, sie zu benennen und mit Hintergrundinformation zu verknüpfen - während man sich zugleich an die Perfektionierung der eigenen, spielerischen Beherrschung dieses (gar nicht so) kleinen Kosmos machen.

Sogar mit einer eigens konstruierten Sprache kann die Welt der PANZER DRAGOON-Spiele aufwarten (einer angeblichen Mischung aus Latein und Altgriechisch mit einem schwer japanischen Einschlag zumindest der Aussprache), die in ORTA während der filmischen Zwischensequenzen reichlich Verwendung findet. Wie vieles an PDO - darunter die melodramatischen Anflüge der Handlung, deren dick aufgetragener moralisch-philosophischer Anspruch - ist das nicht wenig prätentiös. Da traut das Videospiel seinen ureigensten, aus den Voraussetzungen des Mediums selbst gespeisten, Stärken nicht und will Gewicht heischen mit ein wenig Anstrich aus der bildungsbürgerlichen Rumpelkammer. Aber selbst das gelingt PANZER DRAGOON ORTA, obwohl es in diesen Dingen bierernste Miene bewahrt, mit einem Charme, der entwaffnet und diese naiven "Ich bin fei ganz wichtig!"-Attitüden lächelnd hinnehmen lässt.

Irgendwann freilich kennt man sich in dieser Welt gut genug aus, dass sie anfängt transparent zu werden. Und das Bewusstsein während des Spiels durchblicken kann bis auf den verblüffend simplen Gamedesign-Grund, auf dessen Schultern dieser ganze Kosmos ruht. PDO ist ein Cursor/Ziel/Knopfdruck-Spiel und wird es immer bleiben. Es wird nie ein Spiel der sozialen Interaktion oder moralischen Entscheidungen sein, kein Spiel, das den Verstand lang an Rätseln sich wetzen läßt, keines der abwechslungsreichen Genre-Mixtur, keins, das eine Welt auf eigene Faust erkunden läßt, keins der tausend Sammelobjekte. Bis das wirklich in die Wahrnehmung des Spiels dringt, dahin ist es allerdings ein langer, enorm unterhaltsamer Weg. Und selbst an dessen mit Ernüchterung drohendem Ende hat PANZER DRAGOON ORTA sein Pulver noch nicht verschossen. Nicht nur lexikalisch ist "Pandoras Büchse" ergiebig - in ihr steckt auch noch einiges Spielbares. Dazu gehört erstmal eine emulierte Portierung des originalen PANZER DRAGOON, das noch immer von mehr als bloß historischem Interesse ist. (Gamer sollten übrigens allein schon deswegen beten, dass ORTA noch weitere PANZER DRAGOON-Nachkommen folgen werden, weil einer von denen dann dereinst vielleicht einmal als Bonus das legendäre Rollenspiel PANZER DRAGOON SAGA enthalten könnte... Na ja, man wird doch wohl zumindest träumen dürfen!)

Dann gibt es fünf "Missionen" - kleine Minigames, in denen man teils andere fliegende und fahrende Untersätze zu steuern bekommt als Ortas Drachen, teils mit genau diesem in räumlich statischen Arrangements die im Hauptspiel gelernten Fähigkeiten für eine Art "Shooter-Memory" einsetzen darf; zum Abschießen einer Reihe von Feindformationen, deren Abfolge man auswendig lernen muss, um sie wirklich vollständig und stets mit der richtigen Schussart wegputzen zu können.

Schließlich aber gibt es noch sieben zusammenhängende Episoden, die fast ein eigenes, kleines Spiel darstellen. Gleicht die Welt-Enzyklopädie in "Pandora's Box" einer Fußnotensammlung zum Hauptspiel von PANZER DRAGOON ORTA, dann verhalten sich diese Bonus-Episoden dazu wie eine Kurzgeschichte, die in der von einem Roman etablierten Welt spielt. Sie erzählen die bittersüße, tragisch beginnende Story des Jungen Iva, der auf der Seite des Imperiums kämpft. Man bekommt also die Chance, Ortas Abenteuer (das hier nur am Rande vorkommt) durch die Augen eines ihrer Feinde zu sehen. Das gibt einen schönen emotionalen Kontrapunkt zu der unhinterfragten Zerstörung, die man das ganze Hauptspiel über auf seine Umgebung niederprasseln läßt. So, wie die Welt von PDO durch die Enzyklopädie in "Pandora's Box" Namen, Geschichten, Erklärungen bekommt, so bekommen die Feinde hier plötzlich Gesicht und Gefühle. Zugegeben, nicht in einem Maße, dass es wirklich tiefgreifend auf das Spielerlebnis des Hauptspiels nachwirken würde. Aber dennoch ist das für das Genre eine recht gewagte und innovative Angelegenheit.

Dann aber helfen diese Episoden auch, das Hauptspiel plausibler erscheinen zu lassen. Denn über Ivas Luftgefährt hat man, im Gegensatz zu Ortas Drachen, freie Kontrolle. Und dabei kommt man schnell ins Spekulieren, ob die ungelenke Fluggurke, die man hier steuert, repräsentativ sein könnte für alle Feindgefährte. Wie sie, mit der Wendigkeit eines heliumgefüllten Elefanten in Gallert, meist nur ein Ziel zuverlässig erreicht: An der nächsten Wand zu zerschellen. Dann wird es gleich ein gutes Stück glaubwürdiger, dass man als einsame Orta im Hauptspiel ganze Armeen besiegen konnte. Schließlich aber kann einem stark der Verdacht kommen, dass die sieben Mini-Abenteuer von Iva in Wahrheit als spielbares Argument gedacht sind gegen alle, die närrisch genug sind, die Beschränkung der Flugfreiheit in PANZER DRAGOON ORTA für ein Manko zu halten. Denn in diesen sieben kurzen Episoden kann man sich in konzentrierter Form all die Frustration abholen, von der das eigentliche Spiel so verblüffend frei ist.

Hier kann man endlich mehr als gegen Feinde gegen mutwillig orientierungsverhindernde Kameraperspektiven kämpfen, hier kommt man in unbekannten Leveln (trotz unelegant illusionsdurchbrechenden richtungsweisenden Pfeilen an den Wänden) erstmal selten weiter als bis zur nächsten Möglichkeit, sein Schiff zu havarieren, hier muss alles ganz gemächlich und ganz und gar nicht kinomäßig voranzuckeln, weil Fliegen und Schießen gleichzeitig und in unterschiedliche Richtungen viel Konzentration und Finesse braucht. Wenn man diese Episoden hinter sich hat, dann bettelt man direkt darum, die Verantwortung für die Fortbewegung wieder an den Computer abtreten zu dürfen. Masochist müsste man sein, um sich solch eine totale Kontrolle auch über Ortas Drachen zu wünschen. Nach dem Erleben dieser sieben Episoden freut man sich ganz ungeheuer, wenn man sich wieder allein auf seinen Cursor und das Schießen konzentrieren kann. Die Rückkehr zu diesem Prinzip eingeschränkter Möglichkeiten wirkt da - so paradox es klingt - geradezu befreiend.