Überflüssige Kohle
Studie belegt erneut das Potenzial regenerativer Energieträger und stellt Kohlepläne in Frage
Während die Hamburger Grünen kurz vor der Zustimmung zum Kohlekraftwerk in Moorburg zu stehen scheinen und ihre graue Eminenz Joschka Fischer meint, der Protest gegen die CO2-Schleudern sei sektiererisch, sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache: Neue Kohlekraftwerke werden nicht gebraucht und sie laufen Gefahr, den Ausbau der Windenergie zu behindern. Das legen verschiedene Studien nahe, die in den letzten Wochen veröffentlicht wurden.
Besonders viele Kohlekraftwerke sind an den Küsten von Nord- und Ostsee geplant, wo zwar der Verbrauch wegen der insgesamt dünnen Besiedlung niedrig, die Lage für die Versorgung mit Importkohle aber besonders günstig ist. Die Folge: Sollten die Kraftwerkspläne in Emden, Wilhelmshaven, Stade, Brunsbüttel (beides an der Unterelbe), Kiel, Hamburg und Lubmin (bei Greifswald) alle umgesetzt werden, würde es reichlich eng im Netz. Der überwiegende Teil der von den Kraftwerken bereitgestellten elektrischen Energie müsste nämlich ebenso wie jene der expandierenden Windbranche in die Verbrauchszentren im Inland abgeführt werden.
Dass das zu erheblichen Problemen führen wird, verdeutlicht eine kürzlich an der Uni Flensburg erstellte Diplomarbeit. Deren Autorin hatte sich Rahmen ihres Studiums des Energiemanagements mit der Frage auseinander gesetzt, ob die in Brunsbüttel geplanten Kohlekraftwerke, überhaupt ihren Strom ans Netz werden abgeben können. Das Ergebnis: Die Netzkapazität am Einspeisepunkt Brunsbüttel wird nicht ausreichen, sowohl den Windstrom aus den geplanten Offshore-Parks als auch den Kohlestrom aufzunehmen. Da aber ersterer nach dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz bevorzugt werden muss, können die neuen Kraftwerke bei weitem nicht voll ausgelastet werden. Und das obwohl den Modellrechnungen ein Ausbau der Übertragungsleitungen auf 7000 Megawatt Kapazität zugrunde lag.
"Die maximal mögliche Auslastung der vier 800-MW-Blöcke würde sich auf 4111, 4411, 5243 und 6190 Volllaststunden pro Jahr beschränken", schreibt die Autorin Frauke Weise in der Zusammenfassung ihrer Arbeit. Ob unter diesen Umständen die Kraftwerke überhaupt wirtschaftlich betrieben werden können, dürfte fraglich sein. Für das in Kiel von E.on geplante Kraftwerk werden 6000 Stunden angesetzt. Weise weiter:
Außerdem kommt es zu vermehrten An- und Abfahrvorgängen sowie Teillastzuständen, was sich negativ auf den Wirkungsgrad des Kraftwerks auswirkt. Dieser ist, mangels der Möglichkeit der Abwärmenutzung in Brunsbüttel sowieso schon auf 46 Prozent im Bestpunkt begrenzt. ... Angesichts der Rahmenbedingungen dieses Standorts ist aus wirtschaftlicher Sicht davon abzuraten 3200-MW-Kohlekraftwerkskapazität in Brunsbüttel zu errichten. Auf weniger Volllaststunden ausgelegte Erdgas-GuD-Kraftwerke wären bei den errechneten disponiblen Volllaststunden des dritten und vierten Blockes in jedem Fall wirtschaftlich vorteilhafter. Unter Annahme einer den Klimaschutzzielen der Bundesregierung angemessenen hohen Veräußerungsrate der CO2-Emissionsberechtigungen weist der emissionsärmere Brennstoff Erdgas für alle vier Blöcke bei ihrer maximal möglichen Auslastung niedrigere Stromgestehungskosten auf.
Damit widerspricht die junge Autorin Politikerreden, wie jenen des ehemaligen Kieler Wirtschaftsministers Dietrich Austermann, der noch im vergangenen Jahr neue Kohlekraftwerke als notwendige Ergänzung zum Strom aus Windkraftanlagen pries (Kohle um jeden Preis). Umweltschützer und Windbranche weisen bereits seit längerem darauf hin, dass Gaskraftwerke wegen ihrer höheren Flexibilität viel besser geeignet sind, als Lückenbüßer in Zeiten von Flauten einzuspringen.
Das ist auch das Ergebnis eines Szenarios, das die juwi-Gruppe durchgerechnet und Anfang des Monats vorgestellt hat. „Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung nimmt immer schneller zu. Was wir übergangsweise brauchen, sind konventionelle Kraftwerke, die schnell und variabel auf Produktions- und Verbrauchsschwankungen reagieren. Fossile Großkraftwerke können dies nicht leisten“, resümiert juwi-Vorstand Matthias Willenbacher die Berechnungen. Sein Unternehmen hat an Dutzenden von Standorten in Deutschland und Frankreich Wind- und Solarparks entwickelt, die zum Teil auch selbst betrieben werden. Zur Zeit expandiert man in Argentinien, der Tschechischen Republik und in Polen.
Auch hinsichtlich des weiteren Ausbaus der erneuerbaren Energie ist man bei juwi sehr optimistisch. Derzeit haben diese einen Anteil von etwa 15 Prozent am Bruttostromverbrauch in Deutschland (2007 14,2 Prozent, 2006 11,2 Prozent). 2007 wurden 87,45 Milliarden Kilowattstunden elektrischer Energie aus Wasser- und kleinen Biogaskraftwerken sowie Wind- und Fotovoltaikanlagen bereit gestellt. Knapp 70 Milliarden Kilowattstunden davon wurden nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) vergütet. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) geht in seiner Mittelfrist-Prognose zur Stromeinspeisung nach dem EEG davon aus, dass 2014 bereits auf 156,12 Milliarden KWh nach dem EEG vergütet werden. Insgesamt kommen dann bereits rund 180 Milliarden KWh aus erneuerbaren Quellen. Geht man davon aus, dass der Stromverbrauch konstant bleibt und nicht, wie von der Bundesregierung, angestrebt zurückgeht, dann wären das schon etwa 30 Prozent des deutschen Strombedarfs.
Dass damit sich der Strom für den Endverbraucher so schrecklich verteuern würde, wie von konservativen Politikern und den großen Wirtschaftsverbänden oft behauptet, lässt sich aus den BDEW-Zahlen nicht entnehmen. Zur Zeit wird der EEG-Strom nach Angaben des Verbandes, in dem neben den kleinen Stadtwerken auch die großen Stromkonzerne zusammengeschlossen sind, mit durchschnittlich 11,06 Cent pro KWh vergütet. Die BDEW-Prognose besagt, dass dieser Betrag in den nächsten Jahren zunächst noch geringfügig ansteigen wird, um dann bis 2014 auf 10,69 Ct/KWh abzusinken. Aus den BDEW-Statistiken für 2007 ergibt sich übrigens auch, dass derzeit die Windmüller für eine KWh durchschnittlich rund 8,75 Cent bekommen.
Insgesamt sind die Vorhersagen der etablierten Energiewirtschaft was den Ausbau der neuen Kapazitäten angeht aber eher konservativ. Der Vergleich der in den letzten Jahren erstellten Mittelfristprognosen des BDEW zeigt, dass das Wachstumstempo meist unterschätzt wurde. Im Sommer letzten Jahres wurde zum Beispiel für 2008 noch von einer Jahresproduktion von 69,6 Milliarden KWh ausgegangen, die nach dem EEG zu vergüten sind. Doch inzwischen rechnet man eher mit 79,4 Milliarden KWh, die unters EEG fallen. Man kann daher davon ausgehen, dass die BDEW-Vorhersage bis 2014 eher konservativ ist.
In Zukunft könnte es zu erheblichen Überkapazitäten bei den Kohlekraftwerken kommen
An dieser Stelle setzt das von der juwi entwickelte Szenario an: Zunächst wird darauf verwiesen, das Bundesregierung und EU-Kommission sich die Steigerung der Energieeffizienz und das Energiesparen auf die Fahnen geschrieben haben. Eine Dezentralisierung der Stromversorgung, so die juwi-Studie, könne zum Beispiel die jetzigen Netzverluste von rund fünf Prozent des produzierten Stromes vermindern. Außerdem hätten Großkraftwerke einen etwa 50 Mal so hohen Eigenbedarf an Energie wie Windkraftanlagen. Immerhin fünf Prozent der erzeugten elektrischen Energie würden sie selbst benötigen, Windräder hingegen nur 0,1 Prozent.
Das juwi-Szenario für 2020 geht bereits von einem Anteil der Erneuerbaren von etwas über 50 Prozent der Strombereitstellung aus. Den größten Anteil werden daran Onshore Windparks haben, deren Leistung durch den Einsatz neuerer und höherer Anlagen erheblich gesteigert werden kann, wobei gleichzeitig die Zahl der Windräder pro Park abnehmen wird. die juwi-Studie weist auf die großen Fortschritte in der Technik hin, die seit den 1990er Jahren gemacht wurden. Außerdem würden vor allem größere Höhen der Naben den Ertrag erheblich steigern, da der Wind mit der Höhe zunimmt und oberhalb von 100 Metern weniger turbulent weht, wie in Bodennähe.
Bei juwi ist man daher überzeugt, dass der Ausbau der Erneuerbaren noch beschleunigt werden kann und 2020 nicht etwa unter 300, sondern 335 Milliarden KWh erzeugt werden können. Nicht nur das Potenzial der Windenergie, sondern auch das der Fotovoltaik werde unterschätzt. Trifft diese Prognose zu, dann betrüge der Anteil der Erneuerbaren 2020 tatsächlich schon etwas über 60 Prozent an der Strombereitstellung.
Stellt sich die Frage, wie unter derart veränderten Bedingungen Bedarf und Produktion in Einklang gebracht werden können. Immerhin scheint die Sonne nicht immer und auch der Wind ist eine eher unstetige Angelegenheit. Allerdings ergänzen sich Fotovoltaik und Windenergie auch in gewisser Weise. Der Winter ist in der Regel windreicher, aber sonnenärmer, im Sommer ist es gerade umgekehrt. Außerdem stehen mit Biomasse und Biogas langfristig auch umweltverträgliche Energieträger bereit, die zum regeln eingesetzt werden können.
Wind und Sonne können außerdem heute von den Wetterdiensten recht zuverlässig vorausgesagt werden können. Die Dienste haben sich längst darauf eingestellt, entsprechende Prognosen für die Branche zu erstellen. Insbesondere in Dänemark hat man damit bereits gute Erfahrungen im Management der Netze gesammelt. Voraussetzung ist allerdings, dass es tatsächlich ein integriertes Netzmanagement gibt, wovon in Deutschland bisher keine Rede sein kann.
Heute kann man mit der entsprechenden Software den potenziellen Ertrag von Wind und Sonne für ein beliebiges Ensembel von Windparks und Solaranlagen berechnen und mit den zu erwartenden Bedarfskurven vergleichen. Genau das hat man bei juwi getan und kommt zu dem Ergebnis, dass schon 2020 ein großer Teil der Grundlast von den Erneuerbaren, inklusive Biomasse und –gas, abgedeckt werden kann. Konventionelle Kraftwerke würden hingegen nur relativ selten einspringen müssen. Wegen ihrer hohen Flexibilität sind dafür am besten Gaskraftwerke geeignet, die zudem den Vorteil haben, auch mit Biogas betrieben werden zu können.
Kohlekraftwerke werden unter diesen Bedingungen hingegen unwirtschaftlich sein, denn sie müssen, um Gewinn abzuwerfen, möglichst rund um die Uhr laufen. Ihr Neubau in großem Stil macht also nur Sinn, wenn man entweder große Mengen elektrischer Energie exportieren will, oder hofft im nächsten Jahrzehnt die Bevorzugung der Erneuerbaren Energien zu Fall bringen zu können.