Ukraine: Blinken die USA Richtung Rückzug?

Was kommt nach dem Krieg? Sollten wir uns nicht mehr um die Wirtschaft und China kümmern? Fragen, die in den USA gestellt werden. Die EU könnte am Ende Verlierer des geopolitischen Tauziehens sein. Bild: Pixabay

In den USA wird die Beteiligung am Konflikt zunehmend infrage gestellt. Inflation und China seien wichtiger. In der EU herrscht Eskalationspolitik. Doch was kommt nach dem Krieg?

Während sich in außenpolitischen Debatten in den USA eine vorsichtige Neujustierung ihrer Ukraine-Politik abzeichnet, werden die negativen Effekte der militärischen Eskalation in der deutschen Debatte oft ausgeblendet. Anders die Stimmung bei den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland: Mehr als die Hälfte der Befragten unterstützt laut Forsa eine Verhandlungslösung, bei Waffenlieferungen ist das Meinungsspektrum polarisiert, einen schnellen EU- oder Nato-Beitritt der Ukraine lehnt die Mehrheit der Befragten ab.

Wenn Olaf Scholz, Emmanuel Macron und Mario Draghi gemeinsam in Kiew auftreten, hätten sie genug Gewicht, eine Regelung des Konfliktes durchzusetzen, die den außenpolitischen als auch wirtschaftlichen Interessen Europas entspricht. Die Konzepte liegen seit Wochen bereit, allein die eskalierende Stimmung vieler Meinungsmacher und im Nato-Hauptquartier scheint Zwänge zu erzeugen, die darauf hinauslaufen, dass die EU-Staaten langfristig den ukrainischen Staatshaushalt finanzieren, für die Bewaffnung des Landes aufkommen und ihre Beziehungen zu Russland dauerhaft beschädigen.

Die enggeführte Debatte erstaunt, da in der außenpolitischen Diskussion in den USA seit Wochen zunehmend kritisch über die eigene Beteiligung am Konflikt diskutiert wird und deutlich andere Prioritäten gesetzt werden. In der New York Times erschienen jüngst mehrere Kommentare, die darauf hinweisen, dass die aktuelle Position der Biden-Regierung zumindest unklar, auf jeden Fall aber nicht dauerhaft haltbar ist.

Den Anfang machte ein Meinungsbeitrag der Herausgeber am 19. Mai. Schon jetzt sei eine weitere parteiübergreifende Unterstützung für die Konfrontation in der Ukraine nicht garantiert, warnen die Autoren. Indem die Regierung um Joe Biden es unterlasse zu definieren, was ihre eigentlichen Ziele in diesem Konflikt sind, riskiere das Weiße Haus, das Interesse der Amerikaner an der Unterstützung der Ukrainer zu verlieren.

Die Inflation sei für die amerikanischen Wähler ein viel größeres Problem als die Ukraine, so die Herausgeber unter Verweis auf die Zwischenwahlen im November. Sie gehen davon aus, dass die Störungen auf den globalen Lebensmittel- und Energiemärkten sich wahrscheinlich noch verstärken. Aus diesen und anderen Gründen empfehlen sie Präsident Biden, seinem ukrainischen Gegenüber klarzumachen, dass es "Grenzen für die Waffen, das Geld und die politische Unterstützung gibt".

Noch deutlicher argumentiert zwei Wochen später an selber Stelle ein Gastbeitrag von Christopher Caldwell. Die aktuelle Politik der Biden-Regierung könne dazu führen, dass die europäischen Länder unter der "kurzsichtigen Führung der Vereinigten Staaten" in einen Krieg mit Russland "schlafwandeln". Die USA hätten dazu beigetragen, einen "tragischen, lokalen und unklaren Konflikt" in einen potenziellen Weltenbrand zu verwandeln. Indem sie die ukrainischen Regierungen seit 2014 politisch und militärisch in ihrer Konfrontation mit der Russischen Föderation bestärkten, hätten sie Russland davon überzeugt, dass "es angreifen muss oder angegriffen wird", so Caldwell unter Verweis auf den Kolumnisten Henri Guaino in Le Figaro.

Die weitere Unterstützung würde dazu führen, dass die ukrainische Führung "einen starken Anreiz" hat, den Krieg nicht so bald zu beenden, warnt Caldwell, ähnlich wie die NYT-Herausgeber, die darauf hinweisen, dass das Vorgehen der amerikanischen Regierung "auch den langfristigen Frieden und die Sicherheit auf dem europäischen Kontinent" gefährdet.

Gemeinsam mahnen sie an, dass Zugeständnisse an Russland gemacht werden müssen, um Verhandlungen beginnen zu können. Wenn der Krieg nicht bald beendet werde, nehmen die Gefahren zu. Caldwell zitiert auch aus dem Auftritt von Henry Kissinger in Davos wenige Tage zuvor: Ohne Verhandlungen werde es zu "Verwerfungen und Spannungen kommen, die nicht leicht zu überwinden sind".

Wenn der Krieg über diesen Punkt hinaus fortgesetzt wird, geht es nicht um die Freiheit der Ukraine, sondern um einen neuen Krieg gegen Russland selbst.

Henry Kissinger, Davos

Daher forderte der ehemalige US-Außenminister, die Politik müsse eine Rückkehr zum Status Quo Ante Bellum (Situation vor dem Krieg) ermöglichen. Dieser Forderung schließt sich jedenfalls Christopher Caldwell erkennbar an, ohne zu diskutieren, welche Elemente des Zustands vor Kriegsbeginn genau wieder hergestellt werden sollten. Klar wird aber aus diesen und weiteren Beiträgen, dass die Frage der Verhandlungen zumindest für die Europäer wieder auf die Tagesordnung rücken sollte, und gleichzeitig Stimmen für einen vorsichtigen Rückzug Amerikas zunehmen.