Ukraine: Die Zeichen stehen auf Sturm
Nach dem angeblich erfolgreichen Referendum wird die "Volksrepublik Donezk" zum souveränen Staat erklärt, der nun mit seiner "Armee" gegen die ukrainischen bewaffneten Kräfte eine "Antiterroroperation" startet
Es ist wieder gespenstisch verlaufen. Zunächst haben die Separatisten dort, wo sie an den Machthebeln sitzen, ein Referendum abgehalten, das auch allein schon durch seine Methodologie bestenfalls als Ausdruck der Stimmungslage gelten kann, aber nicht den Willen der Bevölkerung zum Ausdruck bringt. Ob die hohen Zahlen stimmen, ist fraglich, vermutlich haben tatsächlich viele Menschen teilgenommen und sich für eine unabhängige Republik ausgesprochen. Das militärische Vorgehen gegen Oppositionellen hat hier sicherlich einen guten Teil beigetragen ebenso wie die Dialogunfähigkeit der Regierung in Kiew, während der fast reibungslose Prozess der Abspaltung der Krim und deren Anschluss an die Russische Föderation das Vorbild war.
Die Frage ist, wie weit Russland hinter den Separatisten stand und steht. Auf der Krim schloss das Referendum die Frage ein, ob die Krim sich von der Ukraine lösen und ein Teil Russlands werden will. Das haben die Separatisten in Donezk und Lugansk nicht gemacht, wohl wissend, dass hier der Anteil der russischsprachigen Menschen geringer ist und zwar ein gewisser Anteil, vielleicht sogar eine knappe Mehrheit für eine Unabhängigkeit ist, aber ein Anschluss an Russland wohl nicht von einer Mehrheit gewünscht wird, was auch Umfragen belegen. Der ukrainische Interimspräsident behauptet, dass höchstens ein Drittel der Bewohner am Referendum teilgenommen hätten. Aber die Informationen aus Kiew sind ebenso wenig vertrauenswürdig wie die von den russischen Medien.
Es dürfte daher ein Fehler der Separatisten unter der Führung von Denis Puschilin sein, in aller Eile wie auf der Krim Fakten schaffen zu wollen, indem er die "Volksrepublik Donezk" für unabhängig erklärte - was prompt von Moskau auch anerkannt wurde -, um gleich den Kreml auch noch um eine Aufnahme der Region in die Russische Föderation zu bitten. Damit wurde demonstriert, dass die neuen Machthaber auf Demokratie nur zum Schein setzen, um eine Agenda auch gegen das Volk durchzusetzen, die zumindest seit dem Plan festgestanden haben dürfte, ein Referendum abzuhalten.
Das dürfte schnell zu Konflikten zwischen den Separatisten und Kiew-Oppositionellen führen, aber auch die Auseinandersetzung mit Kiew weiter zuspitzen. Bislang scheint zumindest Moskau noch zu zögern oder abzuwarten, wie es sich verhalten soll. Eine Eingliederung wäre mit sehr viel höheren Risiken und Kosten verbunden und könnte Russland noch stärker isolieren - allein schon deswegen, weil viele Staaten Unabhängigkeitsbewegungen im Inland nicht fördern wollen und Sorge vor der äußeren Einmischung haben.
In Kiew hat man allerdings bereits den folgenschweren und von den westlichen Unterstützern nicht einmal kritisierten Fehler begangen, nicht nur Armee, Polizei und Geheimdiensteinheiten gegen die Separatisten in einen "Antiterrorkampf" zu schicken, sondern auch die Nationalgarde, angefüllt mit militanten Maidan-Aktivisten, und Kampfgruppen der rechtsradikalen ukrainischen Nationalisten um den Rechten Sektor, die nun neben den regulären Sicherheitskräften ganz legitim für Sicherheit und Ordnung auch in der Ostukraine sorgen sollen.
Kein Wunder also, dass auch die weiterhin nicht gewählten Machthaber der "Volksrepublik" nicht nur wie zuvor auch die Maidan-Bewegung bewaffnete Milizen zum "Selbstschutz" - auch gegen die Opposition in den eigenen Reihen - aufgestellt hat, sondern nun eine "Armee" aufbauen will. Nachdem nun die "Volksrepublik Donezk" zum souveränen Staat erklärt wurde, halten sich nach dieser Logik alle bewaffnete Verbände der Ukraine illegal in ihr auf. Puschilin hat den obskuren Igor Strelkov, bislang Chef der so genannten Donbass-Volksmiliz, zum Kommandeur der neuen "Armee" gemacht. Strelkov soll angeblich ein ehemaliger russischer Geheimdienstagent sein und gilt als Verbindungsmann zu Moskau, weswegen er auch von den Sanktionen betroffen ist. Das sollen auch abgehörte Telefongespräche zwischen ihm und dem russischen Gesandten Lukin über die Lösung der Geiselnahme der Militärbeobachter in Slawjansk belegen.
Wie auch immer, Strelkov machte am Montag klar, dass auch er mit seiner Armee nun eine "Antiterroroperation" ausführen werde. Alle Soldaten und alle bewaffneten Kräfte der Ukraine sollen innerhalb von 48 Stunden die "Volksrepublik" verlassen oder den Treueeid auf die Volksrepublik ablegen, wie dies viele Soldaten auf der Krim gemacht haben. Ausgenommen sind die "Schläger der neonazistischen Gruppen (Nationalgarde, Rechter Sektor und Bataillon Ljaschko)", die festgenommen würden.
Mit dem Aufmarsch der bewaffneten Milizen auf beiden Seiten, die nicht so diszipliniert wie Soldaten agieren, dürfte die Chance, einen Runden Tisch in letzter Sekunde unter der Vermittlung der OSZE zustande zu bringen, um doch noch die Wahl am 25. Mai zu ermöglichen, praktisch verschwunden und ein offener Bürgerkrieg noch einen Schritt näher gerückt sein. Puschilin hat bereits erklärt, dass er die Durchführung der Wahl in der von ihm beherrschten Region verhindern will. Sollte die ukrainische "Antiterroroperation" nun nicht schnell doch noch die Separatisten vertreiben können, wäre die Präsidentenwahl eine ähnliche Farce wie die Referenden auf der Krim und in Lugansk und Donezk.
Der Rechte Sektor sieht sich im Aufwind
Den Kämpfern des Rechten Sektors scheint es jedenfalls zu gefallen, an der "Ostfront" zu kämpfen, das weckt alte Bilder auf, was auch der Zweck sein dürfte. Überhaupt scheint ein Problem zu sein, dass nun auf beiden Seiten in der Ukraine aggressive Männer, die gerne mit Waffen spielen und Macht demonstrieren wollen, zunehmend das Sagen haben. Sie sind nicht auf "Deeskalation" aus, sondern lieben das Abenteuer und suchen den Kampf, sie brauchen Feinde, gegen die sie ins Feld ziehen können. Es sind womöglich die "Überflüssigen" der ukrainischen Gesellschaft, die wenig Zukunft haben und von Größe träumen, selbst wenn es ihr Leben und das von anderen kosten sollte. Große Politik spielt da keine Rolle, sie liefert nur den Rahmen, lässt aber auch die aggressiven Männer als nützliche Idioten erscheinen, die für andere Zwecke kämpfen und ihr Leben riskieren.
Der Rechte Sektor wirft der ukrainischen Regierung "Sabotage" vor, weil sie zu unentschlossen gegen die Separatisten in der Ostukraine vorgeht. Gefordert wird, so eine Mitteilung gestern,sofort etwas zur Stabilisierung der Süd- und Ostukraine zu unternehmen. Der Rechte Sektor sei bereit, in Kooperation mit den staatlichen Behörden gegen die "Feinde unseres Landes" vorzugehen, werde aber, wenn die ukrainische Regierung weiterhin "kriminell inaktiv" bleibt, den Kampf selbst fortsetzen. Alle Kampfverbände des Rechten Sektors müssten ab jetzt in maximaler Kampfbereitschaft sein, um beim ersten Signal gegen die Separatisten vorzugehen.
Der Rechte Sektor, eine während der Maidan-Proteste entstandene Verbund mehrere militanter und rechtsextremistische bis faschistischer Gruppen, bezeichnet sich als "Dritter Weg", also als Alternative zur herrschenden Politik und zur ukrainischen Kaste der Politiker und Oligarchen. Für den Rechten Sektor, der seit der von Teilen der Maidan-Bewegung bewirkten Nichtanerkennung des Abkommens der damaligen Oppositionsparteien mit der Janukowitsch-Regierung, mit der Abspaltung der Krim und der zunehmenden Zuspitzung des Konflikts mit den Menschen in der Ostukraine bekannter und populärer wurde, ist die Gewalt das Mittel der Politik.
Auch wenn der Rechte Sektor sich zur Partei mauserte, um ihren Vorsitzenden Dmitri Jarosch als Präsidentschaftskandidaten aufzustellen, besteht seine Haupttätigkeit darin, junge Männer zu gewinnen, um Milizen und Stoßtrupps aufzubauen - neuerdings auch Schwarze Männer genannt, wohl um das Pendant der so genannten "Grünen Männlein" darzustellen. Der Rechte Sektor wollte sich nicht wie von der Regierung gefordert freiwillig entwaffnen oder mit seinen Bewaffneten in die extra geschaffene Nationalgarde eintreten, sondern eigenständig agieren.
Offenbar ist der Rechte Sektor mit Kräften der Maidan-Bewegung und Teilen der Regierungskoalition, allen voran der Swoboda-Partei, die den Generalstaatsanwalt und mit Paravuij auch den Vorsitzenden des einflussreichen Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats stellt, gut vernetzt, um trotz des immer unverblümten militanten Auftretens von der Regierung in Kiew und damit auch von deren Unterstützern einen Freibrief erhalten zu haben. Es gibt aber sowohl Auseinandersetzungen mit anderen Gruppen der "Selbstverteidigungskräfte" des Maidan, also anderen Milizen, und Teilen der Regierung. So hat der Rechte Sektor bereits den Rücktritt des Innenministers und des Übergangspräsidenten gefordert, weil die Polizei gegen Mitglieder des Rechten Sektors vorgegangen ist und der Präsident trotz der militärischen "Antiterroroperation" nicht offensiv genug gegen die Anti-Maidan vorgehen würde.
Ungeschminkt kann der Rechte Sektor im Internet seine Parolen und seine faschistische Ästhetik verbreiten. Auch als nach dem Brand im Gewerkschaftsgebäude in Odessa, bei dem zwischen 47 bis mehr als 100 meist Anti-Maidan-Aktivisten umkamen, vom Rechten Sektor der Terror gefeiert wurde, gab es nicht die leiseste Kritik. Man bekannte sich nicht direkt, für die Tat verantwortlich zu sein, veröffentlichte aber Bilder, auf denen "prorussische" Käfer über die Flamme eines Feuerzeugs gehalten werden.
Zuletzt hat auch die Regierung sowie die Rada in Kiew, nachdem auch Timoschenko patriotische Milizen forderte, zugestimmt, auch Kämpfer des Rechten Sektors, bezeichnet als Patrioten, in Freiwilligenverbänden neben dem Militär und der Nationalgarde im Süden in den Kampf ziehen zu können (Wahlen Ende Mai in der Ukraine?). Übergangspräsident Turtschinow hatte dann am 29. April dazu aufgerufen, dass sich alle Patrioten, die willens sind zu kämpfen, melden sollen. Die Aufstellung von "Bataillonen" von Freiwilligen zur territorialen Verteidigung in allen Landesteilen wurde dann mit einem Dekret am 1. Mai legalisiert (vom Westen gab es dazu keinen Kommentar). Schon vor einiger Zeit hatte der Rechte Sektor seine Zentrale nach Dnipropetrovsk verlegt, um dort ein solches "Bataillon" aufzubauen, das zwar mit den Streitkräften kooperieren, aber eigenständig befehligt werden sollte. Nachdem das Militär nicht entschlossen genug war, gegen die ostukrainischen Bürger mit Panzern, Kampfhubschrauber und schweren Waffen vorzugehen, sind die rechtsextremen, ultranationalistischen Militanten nun staatlich geadelt und dürfen die Kämpfe gegen die stets von der Regierung nur als Terroristen, ausländische Söldner und Banditen bezeichneten Ostukrainer führen, die die Soldaten nicht führen wollen. Ausgebildet werden die Freiwilligen vom Verteidigungsministerium.
Wie der Rechte Sektor meldet, habe auf "Bitten" der Bewohner der Donezk-Region am 11. Mai das "Freiwilligenbataillon Dnepr des Verteidigungsministeriums" und ein "Bataillon der Territorialen Verteidigung der Region Dnipropetrovsk" Patrouillengänge aufgenommen. Diese Milizen sollen ausgerechnet "die Herrschaft des Gesetzes und die Neutralisierung von Plünderern, Banditen und Kriminellen" durchsetzen: "Wir Ukrainer lassen Mitbürger nicht im Stich", heißt es. Dazu gibt es dann eben ein Foto eines bewaffneten und vermummten "Schwarzen Mannes". Man fragt sich dann doch, wenn diese Milizen nun legitim sein sollen, warum müssen die Gesichter noch verhüllt sein? Dass der Rechte Sektor auch bei den Kämpfen um Mariupol mitwirkte, dokumentiert ein Foto, das den Sarg eines am 9. April getöteten Milizen zeigt, der von Mitgliedern des Rechten Sektors getragen wird.
Vorgestern meldete der Rechte Sektor, "Dnepr" habe die Kontrolle über die Stadt Krasnoarmiysk erlangt. Das wiederum würde heißen, dass Mitglieder des Rechten Sektors dort nicht nur das Referendum gewaltsam unterbinden wollten, sondern auch auf unbewaffnete Zivilisten schossen.
Über Conchita Wurst, die Gewinnerin des European Song Contest, macht man sich natürlich auch beim Rechten Sektor lustig. Der rechte Teil des "Euromaidan" ist vor allem nationalistisch, liberal ist man nicht, abgelehnt wird von der "National-Sozialen Allianz", so nennt sich ein Teil des Rechten Sektors, auch der Kapitalismus. Man kann davon ausgehen, dass die Rechten mit dem Konflikt zwischen Ost- und Westukraine, aber auch mit einem möglichen Oligarchenpräsidenten Poroschenko und vom IWF verordneten Sparprogrammen, einen weiteren Aufschwung nehmen wird. Der Rechte Sektor träumt von der "nationalen Revolution", nicht vom Gang ins dekadente Europa.
Im Übergang von 2013 auf 2014 habe es, so verkündete, Dmitri Jarosch am 8. Mai, eine "Revolution des Bewusstseins" durch den Maidan gegeben. Dadurch sei die nationalistische Bewegung aufgestiegen, der Rechte Sektor, so propagiert er, sei zu einer wichtigen Kraft im Land geworden, und es sei die militärische Macht der Nationalisten gewachsen. Der Rechte Sektor sei zu einer "revolutionären Armee" geworden, die im Kampf gegen die Sicherheitskräfte "gestählt" worden sei. Nach dem Sturz von Janukowitsch habe man die Ausbildung der Kämpfer professionalisieren können.
Jarosch bedauert, dass man sich habe anpassen und sich als Partei haben gründen müssen. Zudem sei die Übergangsregierung auch nicht gerade förderlich, um den Kampf für territoriale Integrität zu radikalisieren. Aber, so beruhigt er wohl die militanten Anhänger, man habe jetzt eine "Zusammenarbeit" beschlossen, um mit den staatlichen Sicherheitskräften an der Front und dahinter im nationalen Interesse zu kämpfen. Daraus, so hofft Jarosch, würden die Menschen, die selbstlos für die Ehre und die Nation eintreten, schließlich über die "Händler und Bankiers" siegen.