Ukraine: "Einheimische verwenden russischsprachige Bezeichnungen"

Ukrainischer Soldat am Eingang von Robotnye/Rabonino. Bild: ЮРІЯ МИСЯГІНА

In einem Bericht hat Telepolis für ein ukrainisches Dorf den russischen Namen verwendet. Das wurde in Forum kritisiert. Was sagt der Autor dazu?

Die Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine ist – ebenso wie die politische Debatte – polarisiert. So geraten oft Details ins Visier, manchmal zu Recht, manchmal grundlos. Am gestrigen Montag hat Telepolis, einen Bericht über den Verlauf der Kämpfe in der Ukraine ein solches Beispiel angeführt.

Die Frankfurter Rundschau titelte mit Verweis auf das Interview eines ukrainischen Generals in der britischen Presse: "Russland werden Soldaten ausgehen." Tatsächlich hatte der hochrangige Militär, was zunächst auch nur seine eigene Meinung widerspiegelt, die These aufgestellt, dass die Angreifer ihre besten Soldaten im Kampf verlieren – the Russians will run out of all the best soldiers – danach also schlechteren Karten haben.

Nach einem Telepolis-Bericht wiederum beanstandete ein Leser im Forum die Bezeichnung einer Ortschaft in der Ukraine. Unser Autor Bernhard Gulka das Dorf Robotyne beim russischsprachigen Namen genannt: Rabotino. Widerspiegelt das eine prorussische Haltung, wie der Leser schreibt? Wir fragten nach.

Sie haben kürzlich in einem Artikel die Ortschaft Rabotino erwähnt, den russischen Namen für das Dorf Robotyne, das die ukrainische Armee erobert haben will. Ein Forenmitglied hat Ihnen daraufhin eine prorussische Haltung vorgeworfen. Stimmt das?

Bernhard Gulka: In allen Artikeln über die Lage an der Front versuche ich, so neutral wie möglich zu berichten, was wirklich passiert, mit Quellen von beiden Seiten und aus der kritischen russischen Exilpresse. Viele Journalisten machen den Fehler, die Lage der von ihnen bevorzugten Seite zu positiv und die der anderen Seite zu negativ darzustellen.

Ich bin mir dessen bewusst und versuche, diese Verzerrung der Realität durch Meinungen zu minimieren, Experten und Quellen zu finden, die so nah wie möglich an der Front sind. Denn in Kriegen gewinnt nicht immer die Seite, die man bevorzugt. Echte Fachleute akzeptieren das noch am ehesten und haben mit Propaganda einen Ruf zu verlieren.

Einer Invasionsarmee, die in ein Nachbarland einmarschiert, kann ich kein militärisches Glück wünschen. Zum Wort "prorussisch" habe ich ein zwiespältiges Verhältnis. Die Russen sind - wie alle anderen auch - ein Volk mit sehr unterschiedlichen Menschen und Meinungen.

Wenn mit "prorussisch" die Unterstützung der gegenwärtigen russischen Regierung gemeint ist, dann bin ich nicht prorussisch. Ich verstehe "prorussisch" eher so, dass man Russland das Beste für die Zukunft der Menschen dort wünscht, auch und gerade für die Russen, die mit dem Krieg nicht einverstanden sind. In diesem Sinne bin ich tatsächlich "prorussisch". Mehr als deutsche Putin-Fans.

Warum dann Rabotino?

Bernhard Gulka: Ich war selbst vor dem Krieg in der Ostukraine und habe gesehen, dass ganz im Osten die Einheimischen selbst die russischsprachigen Bezeichnungen verwenden. Schließlich sind sie russische Muttersprachler. Insofern sehe ich nichts Verwerfliches darin, diese Bezeichnungen zu verwenden.

Es ist für mich kein Statement, dass ich auf der Seite der Russen stehe, sondern auf der Seite der Menschen, die Opfer des Krieges sind. Übrigens habe ich ein Interview mit zwei freiwilligen russischen Helfern in der Ostukraine gesehen, die schätzen, dass 70 Prozent der dort noch verbliebenen Einheimischen auf der ukrainischen Seite stehen, und ich halte das außerhalb der Krim für realistisch. Wobei alle offenen "Proukrainer" geflohen sind. Sprache ist keine Nationalität, sonst gäbe es auch keine Österreicher.

In manchen Regionen Europas werden Ortschaften zweisprachig ausgewiesen. Welche Chancen sehen Sie dafür in der Ukraine?

Bernhard Gulka: Das wäre eigentlich der Idealfall. Russisch als anerkannte Regionalsprache im Osten und Süden des Landes, Ungarisch im Südwesten und die Möglichkeit, Behörden in beiden Sprachen zu kontaktieren, zweisprachige Schulen. Das gehört für mich zu einer demokratischen Sprachenpolitik. Die Ukraine will doch Teil der demokratischen, westlichen Welt sein?

Werden die Menschen vor Ort das irgendwann selbst entscheiden können, wie schätzen Sie das ein?

Bernhard Gulka: Ich schätze die Chancen gering ein. Wenn die Ukrainer die Gebiete zurückerobern, werden sie Russisch als Sprache der Aggressoren unterdrücken. Wenn die Russen die annektierten Gebiete halten oder mehr erobern, werden sie im Zuge der nationalistischen Regierungspolitik das Gleiche mit dem Ukrainischen machen. Wer das nicht erträgt, wird dorthin gehen, wo seine Sprache gesprochen wird.

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