Ukraine: Grüne Gentechnik durch die Hintertür?
Die neue Führung sucht Investoren. Mit Krediten aus dem Westen könnte aber auch eine agropolitische Wende in Richtung Agro-Gentechnik stattfinden
Mit mehr als 30 Millionen Hektar Agrarfläche und fruchtbarem Schwarzboden ist die Ukraine höchst attraktiv für das Agro-Business. Ukrainische und internationale Agrar-Holdings pachten seit etlichen Jahren Land zu niedrigen Preisen. NGOs sprechen von Landgrabbing.
Investoren dagegen fürchten die instabile politische Lage und wünschen sich mehr Investitionssicherheit. Unter Ex-Präsident Wiktor Janukowitsch wollte man verstärkt mit China kooperieren und das Land im Gegenzug für technische Investitionen mit gentechnik-freien Lebensmitteln wie Mais versorgen. Nach dem Machtwechsel versucht der neue Landwirtschaftsminister Alexej Pawlenko indes westliche Investoren zu gewinnen und Erleichterungen für Exporte in die EU zu erreichen. NGOs befürchten allerdings, dass Agro-Gentechnik "über die Hintertür" auf die Felder kommen könnte. Und die Linksfraktion spricht von einem "Ausverkauf" der Ukraine zu Lasten kleinerer Landwirte.
China importiert jährlich große Mengen an Mais, um den wachsenden Bedarf an Futtermitteln zu decken. Doch 2013 wurden tonnenweise Mais an einen der bisherigen Hauptlieferanten - die USA - zurückgeschickt, weil dieser mit nicht zugelassenen Gentech-Sorten verunreinigt war (China steigt auf die Gentech-Bremse). Der finanzielle Schaden für die US-Farmer, die immer häufiger Gentech-Sorten verwenden, war so einschneidend, dass sich einer der größten US-Branchenverbände hilfesuchend an Washington wandte. China hatte indes vorgesorgt und war in der Ukraine fündig geworden.
In der Ukraine, der "Kornkammer des Ostens" ist bis dato der Anbau gentechnisch veränderter Sorten verboten. Von dort wollte China künftig vermehrt gentech-freie Ware beziehen. Den Konflikt griff sogar das US-Wirtschaftsmagazin Bloomberg Businessweek im Januar 2014 in einer kurzen Nachricht auf mit der bezeichnenden Headline "China Rejecting U.S. Corn as First Shipment From Ukraine Arrives".
Verträge mit China aus der Janukowitsch-Ära
Zuvor - im Jahr 2012 - hatte China der Ukraine einen Kredit von drei Milliarden US-Dollar gewährt. Im Gegenzug sollte die Ukraine dem Land kontinuierlich Nahrungsmittel liefern. Ob dafür auch Land verpachtet oder verkauft wurde, ist nicht ganz eindeutig festzustellen. Fakt ist lediglich der Kredit aus der Ära Janukowitsch und die Vereinbarung von Nahrungsmittellieferungen als "Rückzahlung". Noch um die Zeit der Maidan-Proteste brachte das Wirtschaftsblatt eine Reuters-Meldung, wonach Viktor Janukowitsch sich gegen ein Handelsabkommen mit der EU entschieden hätte, dafür aber die Zusammenarbeit mit China verstärken wolle.
In der Zeit der Wirren um Euromaidan und nachfolgender Ukraine-Krise verliert sich die Nachrichtenspur über die agropolitischen Aktivitäten in dem fruchtbaren Land. Anfang dieses Jahres allerdings gab der neue Agrarminister, Alexej Pawlenko, westlichen Medien einige Interviews und wandte sich mit einer Art "Hilferuf" an die EU.
Das Land hätte durch die Russland-Krise enorme Exporteinbußen hinnehmen müssen. War Russland früher einer der Hauptabsatzmärkte, wolle man sich nun auf den Weltmarkt konzentrieren. Aber es fehle an allen Ecken und Enden an Geld, Infrastruktur und Landwirtschaft müssten modernisiert werden, so der Landwirtschaftsminister. Gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters erklärte Pawlenko, dass man für das Jahr 2014 den Mais-Liefervertrag an China erfüllt hätte. Vor der Krise wäre mit China auch die Unterstützung des Ausbaus von Häfen auf der Halbinsel Krim geplant gewesen. Dieses Vorhaben ebenso wie die Verpachtung an Land in großem Stil an China hätten sich zerschlagen, berichtet Reuters. Ob kleinere Holdings mit chinesischer Beteiligung noch vor Ort agieren würden, bleibt unklar. Man hoffe jetzt auf internationale Investoren und rasche Hilfe von Seiten der EU, so Landwirtschaftsminister Pawlenko.
Gegenüber dem Landwirtschaftsmagazin Agrar heute gab der ukrainische Minister an, dass westliche Investoren wissen würden, dass man derzeit "günstig" einsteigen könne.
Landgrabbing, Privatisierungen und Ausverkauf?
Der Grat zwischen "günstigen" Investitionsmöglichkeiten in ärmeren, krisengeschüttelten Ländern und dem Ausverkauf eines Landes zuungunsten der Gesamtbevölkerung ist oft schmal. Der Verdacht auf Landgrabbing ist naheliegend und rief inzwischen die "Linke" auf den Plan. Diese brachte eine Anfrage zum Thema in den Bundestag ein. Die Antwort liegt seit Anfang Februar vor. Der Bundestagsabgeordnete Niema Movassat sieht sich darin in seinen Vermutungen bestätigt, dass der derzeitige Westkurs Kleinbauern bedrohe und eine neoliberale Privatisierungspolitik betrieben werde:
Der zunehmende Ausverkauf der landwirtschaftlichen Fläche geht einher mit einer massiven Privatisierungspolitik. Der abgesetzte Präsident Viktor Janukowitsch hatte im November 2013 das EU-Assoziierungsabkommen abgelehnt. Dieses Abkommen sieht Privatisierungen und Deregulierungen auch im Landwirtschaftssektor vor. So bezieht sich der Artikel 404 der EU-Vereinbarung auf die Landwirtschaft und macht den Weg frei für eine Lockerung der gängigen Zertifizierungspraktiken, gentechnisch verändertes Saatgut und Erleichterungen für die Agroindustrie. Die Ukraine zählt zu den vielversprechenden Wachstumsmärkten für die Saatgutproduzenten Monsanto und DuPont. Im Mai 2014 gewährten der IWF und die Weltbank Kredite in Höhe von 20,5 Milliarden Euro, weil der neue Präsident Poroschenko neoliberalen Reformen wie der Erhöhung des Rentenalters und der Absenkung der Gaspreise zugestimmt hat. Die Vermutung liegt nahe, dass der Transfer von Ackerland an börsennotierte Unternehmen in Verbindung mit diesen Krediten steht.
Niema Movassat
Tatsächlich gab es bereits vor dem politischen Umschwung (etwa ab 2005) intensive Bestrebungen ausländischer Investoren und heimischer Oligarchen, Profit aus der fruchtbaren Ukraine zu schlagen. Das geht aus mehreren Berichten etwa des US-ansässigen Oakland-Institutes oder des in Amsterdam gegründeten Transnational Institutes (TNI) hervor. In mühsamer Kleinarbeit haben beide Organisationen Informationen zu ausländischen Investoren zusammengetragen. Laut dem Oakland-Institute wurden seit Anfang 2002 1,6 Millionen Hektar Land multinationalen Unternehmen übertragen, beziehungsweise werden Agrarflächen in besagter Größenordnung von diesen inzwischen kontrolliert. Aus der Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage geht hervor, dass inzwischen etwa fünfzig Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche von großen Holdings bewirtschaftet werden:
Etwa die Hälfte der Agrarflächen in der Ukraine wird von großen Agrarunternehmen bewirtschaftet. Die größte Agrarholding (UkrLandFarming) bewirtschaftet alleine ca. 670 000 ha. Mehr als 10 Millionen ha Agrarfläche befinden sich in Staatseigentum.
Grundsätzlich dürfen Ländereien in der Ukraine derzeit nur gepachtet werden, dies aber zu sehr niedrigen Preisen. "Während in der Magdeburger Börde oder in Mecklenburg-Vorpommern - gepuscht durch die Flächenprämie - Pachten zwischen 300 und 500 $ je Hektar bezahlt werden müssten, seien es in Osteuropa je nach Standort nur 20 bis maximal 100 $/ha", schrieb die "Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft" (DLG) 2011 in einer Presseaussendung. In der Ukraine müsse man inzwischen bis zu 80 Eur/ha an Pacht zahlen, so die DLG. Das TNI recherchierte übrigens 2012 weit niedrigere Pachtgebühren, die teilweise nur bei nur 30 Eur/ha lagen. Für die DLG, wäre der Standort Ukraine für investitionswillige deutsche Landwirte aber auch noch bei 80 Eur/ha empfehlenswert. Die größten Unsicherheiten für Investoren lägen in der politisch instabilen Lage.
Privatisierungsdruck aufgrund von IWF-Krediten?
Während sich Vereine wie die DLG und westliche Investoren naturgemäß mehr Gedanken über Investitionssicherheit und weniger über soziale Implikationen agrarpolitischer Umstrukturierungen machen, sorgen sich NGOs und Wissenschaftler stärker um die gesellschafts- und geopolitischen Folgen.
Das Oakland Institute, das sich über Privatspenden und diverse Stiftungen finanziert, befürchtet die Fortsetzung einer neoliberalen Ausrichtung und Deregulierungspolitik in der Ukraine. Mit den Krediten des Internationalen Währungsfonds hätte man die Ukraine westlichen Interessen geöffnet, schrieb das Institut im Juli 2014. Internationale Finanzorganisationen würden die Ukraine zu Strukturanpassungen zwingen, die erfahrungsgemäß Sparmaßnahmen nach sich ziehen würden, welche der breiten Bevölkerung schaden und Armut vergrößern würden, bemängeln NGOs.
Grüne Gentechnik durch die Hintertür?
Das Oakland-Institut äußerte zudem die Befürchtung, dass Konzerne wie Monsanto über die Hintertür Ukraine gentechnisch verändertes Saatgut im eurasischen Raum einführen könnte. Tatsächlich ist Monsanto auch in der Ukraine aktiv. Man wolle aber nur mit gentech-freiem Saatgut operieren, hieß es noch 2013. So berichtete Reuters über ein geplantes Investment von 140 Millionen US-Dollar, zumal gentechnisch veränderte Sorten in der Ukraine bis dato nicht erlaubt seien.
Dass der Konzern Monsanto, der in der Agrosparte sein Hauptgeschäft mit gentechnisch verändertem Saatgut und speziell dafür entwickelten Agrochemikalien macht, sich langfristig mit gentech-freier Saat zufrieden geben werde, wollen NGOs wie das Oakland-Institute nicht glauben. In einem ausführlichen Interview mit dem von Russland finanzierten Sender Russia Today erklärte Frederic Mousseau vom Oakland-Institute, dass mit dem 17 Milliarden-Kredit vom IWF auch Gentechnik über die Hintertür nach Europa gelangen könnte.
Das Engagement Deutschlands
Einen ähnlichen Verdacht hegt auch die Linksfraktion im Bundestag. Auch die deutsche Bundesregierung und die EU würden beim "Ausverkauf der Ukraine" mitmischen. Zahlreiche Unternehmen werden finanziell bei ihren Ukraine-Unternehmungen unterstützt, meint man bei der Linken.
Auch die deutsche Bundesregierung und die EU unterstützen diesen Ausverkauf des ukrainischen Landes mit Millionenbeiträgen direkt und indirekt. So sind die Kredite der Europäischen Bank für Wiederaufbau (EBWE), die osteuropäische Staaten in die Marktwirtschaft führen soll und auf Privatisierung setzt, an ukrainische und internationale Agrokonzerne zuletzt kräftig angestiegen. Während 2013 noch 45 Millionen Euro an ukrainische Unternehmen gezahlt wurden, hat sich diese Zahl 2014 mit 131 Millionen Euro bereits verdreifacht. Bei den ausländischen Konzernen stieg die Summe gleichzeitig von 122 Millionen auf 186 Millionen Euro. Deutschland ist Anteilseigner der EBWE. In welcher Weise mit diesen Geldern das Ziel der Ernährungssouveränität erreicht werden kann, bleibt fraglich.
Niema Movassat
In der Ukraine aktive Firmen wären unter anderen "der Agrarhändler Toepfer International (heute ADM Germany), der 2012 von der EBWE ein Darlehen über 50 Millionen Dollar 'für den Einkauf von Getreide und Ölsaat' erhalten hat", so Movassat. Zudem würde das deutsche Landwirtschaftsministerium seit 2008 auch das "Deutsche Agrarzentrum in der Ukraine" (DAZ) finanzieren, welches Schulungen für Landwirte anbietet. Gründungsmitglieder der DAZ-Trägerorganisation wären unter anderen deutsche Agrarfirmen, darunter auch Toepfer/ADM und der Staatgut-Hersteller KWS. "Bisher sind hierfür rund 2,5 Millionen Euro geflossen. Bei diesen Schulungen spielen auch Unternehmen wie Bayer und BASF eine große Rolle - die Frage ist, in welchem Ausmaß?", fragt Movasaat.
Bei der Neuausrichtung der Landwirtschaftspolitik in der Ukraine geht es sowohl um die Auf- und Verteilung von Land als auch um eine grundsätzliche Ausrichtung der agrarpolitischen Orientierung. NGOs und viele Wissenschaftler plädieren weltweit für Verbesserungen und Unterstützung kleinerer Landwirte, zumal dies sozial verträglicher sei und darüber hinaus die Ernährungssicherheit tendenziell besser gewährleiste als hoch industrialisierte, auf Monokulturen ausgerichtete Bewirtschaftungsformen (FAO will Familienbetriebe stärken). Darüber hinaus sind vielfach Infrastrukturverbesserungen notwendig, um Ernährungssicherheit zu gewährleisten. Grüne Gentechnik hingegen hätte Lebensmittel bis dato weder billiger noch besser gemacht.
"Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) legt bei den bilateralen Kooperationsprojekten besonderen Wert auf die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen sowie die Aus- und Weiterbildung im landwirtschaftlichen Bereich", heißt es in der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage. Dagegen steht aber das europaweit zu beobachtende "Bauernsterben", zumal EU-Institutionen, diverse Finanzlobbys, Agro- und Lebensmittel-Konzerne Rahmenbedingungen schaffen, die es den kleinen Landwirten immer schwerer machen zu überleben.
Was die Agro-Gentechnik betrifft, so ist es ein offenes Geheimnis, dass verschiedene Institutionen und Wirtschaftslobbys auch in Europa eine Ausweitung anstreben - entgegen den Wünschen der Bevölkerungsmehrheit. Die Ukraine war bisher frei von Gensaat. Bisher gibt es auch nur einige wenige Hinweise darauf - etwa diverse Kurzmeldungen über geplante Zulassungen von Gentech-Feldversuchen -, dass man sich in der Ukraine GVOs öffnen wird. Inwieweit Zugeständnisse in diese Richtung im Gegenzug für westliche Finanzspritzen von der Ukraine "erwartet" werden, bleibt vorerst unklar.