Ukraine-Konflikt und deutsche Leitmedien: Vielfalt und Ausgewogenheit in der Kriegsberichterstattung?

Seite 2: Kritik

Fragwürdig gerade hier wieder die Position und Perspektive der Forschenden: Es habe sich nicht gezeigt, "dass die von uns untersuchten Medien gegenüber der Bundesregierung insgesamt besonders kritiklos waren. Vielmehr bewerteten sie nur die grünen Minister Baerbock und Habeck (19 Prozent) deutlich positiv, während sie die übrigen Regierungsmitglieder überwiegend kritisierten".

Aber wer hätte ernsthaft behauptet, dass wichtige Medien beim Thema "Krieg in der Ukraine" gegenüber der Bundesregierung "insgesamt besonders kritiklos" gewesen wären?

Dass leitmediale Kritik an den Regierenden außer Baerbock und Habeck sehr weitgehend auf "mehr (schwere) Waffen!" abzielte und daher im Unterschied zur Kritik vieler Bürger:innen an der Regierungspolitik ziemlich einseitig war und ist, wird auch in dieser Studie leider kaum thematisiert.

Als Kriegsverursacher stellten die untersuchten Medien laut Studie fast ausnahmslos und allein Russland/Putin dar (93 Prozent für die Ausprägung "alleinige Verantwortung"). Eine (Mit-)Verantwortung durch die Ukraine (2 Prozent) oder "den Westen" (Nato, USA usw. – 4 Prozent) wurde relativ selten auch nur thematisiert, geschweige denn ernsthaft behauptet und diskutiert (S.10).

Die Studie fasst zusammen, dass von verschiedenen möglichen Maßnahmen "zur Beendigung des Krieges" (deutlich treffender wäre hier meines Erachtens: "Maßnahmen, um den Krieg zu beeinflussen", nicht zuletzt im Lichte der Linie von Außenministerin Baerbock vom 25.2.2022, der zufolge es ja darum gehe, Russland zu "ruinieren") in den acht untersuchten Medien lediglich "humanitäre Maßnahmen" so gut wie ausnahmslos als sinnvoll dargestellt worden seien, was kaum überrascht.

Als "weit überwiegend sinnvoll" habe man durch die Redaktionen insbesondere ab April auch die militärische Unterstützung der Ukraine (74 Prozent Pro) und, etwas weniger eindeutig positiv, die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine (66 Prozent Pro) sowie die Verhängung von Wirtschaftssanktionen gegen Russland (64 Prozent Pro) bewertet.

Diplomatische Bemühungen seien dagegen lediglich in 43 Prozent der Fälle auch nur als "sinnvoll", zu schweigen von möglich oder gar nötig, dargestellt worden. Bemerkenswerte Ausnahme hierbei: Der Spiegel habe diplomatische Maßnahmen insgesamt knapp als sinnvoller bewertet denn die Lieferung schwerer Waffen, bei sämtlichen anderen untersuchten Medien sei es deutlich umgekehrt gewesen (S. 11f).

Einheitliche Position der Medien?

Eine zentrale Frage der öffentlichen Diskussion sei gewesen, inwiefern "die Medien" in der Frage des Vorschlagens und Bewertens offizieller deutscher Maßnahmen "eine einheitliche Position" vermittelten.

Unter anderem dieser Aspekt mutmaßlicher Einheitlichkeit und Einseitigkeit vieler etablierter Medien in wichtigen sowie von Bürger:innen kontrovers diskutierten Bereichen der Gesellschaft (wie der jüngsten und aktuellen großen Krisenlagen) ist ja auch einer der Kritik von Richard David Precht und Harald Welzer in ihrem Buch Die vierte Gewalt.

Moniert wurde an der Kritik der beiden u.a., diese sei nicht empirisch belegt sei und sie vor allem "Bauchgefühl" ventiliere. Allerdings dürften auch manche dieser Precht und Welzer Kritisierenden kaum an einem zentralen Ergebnis der Studie vorbeikommen.

Die Analyse, so deren Autoren, zeige, dass vor allem die – damals bei vielen Menschen hierzulande sehr umstrittene – Frage der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine (Ende April 2022 hatten sich laut ARD-Deutschlandtrend jeweils genau 45 Prozent der Befragten für bzw. gegen die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine ausgesprochen) von allen untersuchten Medien – mit Ausnahme des Spiegel – deutlich überwiegend befürwortet wurde.

Nicht zuletzt, weil dies, also die Lieferung schwerer Waffen, sicher kein unwesentlicher Aspekt möglicher oder auch realer Politik in Kriegs-Zeiten ist, kann die aktuelle Medien-Studie kaum als "Widerlegung" (so u.a. Dorothée Krämer vom Volksverpetzer) von Precht und Welzer gelten.

"Meinungs-Flakschiff" ARD-Tagesschau

Als ein außerordentlich bemerkenswerter empirischer Mosaikstein der Studie sei hingegen Folgendes erwähnt: Die ARD-Tagesschau als das reichweitenstärkste öffentlich-rechtliche Nachrichtenformat liegt laut der Studie in zwei Hinsichten vorne im Vergleich aller untersuchten Medien (noch vor einem Medium wie Bild).

Diese beiden Aspekte können als zwei Seiten derselben Medaille verstanden werden: 1.) Beim Befürworten des Lieferns von schweren Waffen an die Ukraine und 2.) bei der Ablehnung diplomatischer Bemühungen.

Das ist doppelt fragwürdig: Für ein öffentlich-rechtliches Medium überhaupt, gerade wegen des Gebotes des Binnenpluralismus per Programmauftrag, aber insbesondere für dessen strikt informationsbetont sein sollendes "Nachrichten-Flaggschiff". Angesichts solcher Studien-Befunde ließe sich hier wohl leider eher ironisch von einem "Meinungs-Flakschiff" reden.

Fazit: Überraschende Deutlichkeit

Das Fazit der empirischen Studie selbst ist laut den Autoren "durchaus differenziert" und damit jedenfalls auch in deren Wahrnehmung kein Persilschein für Vielfalt und Ausgewogenheit der untersuchten Medien.

In einigen Hinsichten hätten die ausgewählten Redaktionen "tatsächlich sehr einheitlich über den Krieg berichtet". Das betreffe insbesondere die Zuschreibung der Kriegsverantwortung an Russland und die Bewertung der beiden Kriegsparteien.

Dass die militärische Unterstützung der Ukraine im Allgemeinen und die Lieferung schwerer Waffen im Besonderen in den meisten der untersuchten Medien als deutlich überwiegend sinnvoll und auch als sinnvoller als diplomatische Maßnahmen dargestellt wurden, sei angesichts der schrecklichen Bilder aus der Ukraine "verständlich", überrasche "in dieser Deutlichkeit aber dennoch und ist in früheren vergleichbaren Fällen vermutlich (hierzu liegen allerdings keine empirischen Daten vor) anders ausgefallen."

Umso bemerkenswerter finden es die Forschenden, dass der Spiegel als einziges der acht untersuchten Leitmedien "zumindest über die Lieferung schwerer Waffen sehr abwägend berichtete und eine diplomatische Lösung als sinnvoller darstellte". Die untersuchten Medien hätten also nicht "vollkommen einheitlich" berichtet – aber wiederum: Wer bitte hätte das ernstzunehmend behauptet?

"Alles in allem" deutet laut Studie "vieles darauf hin, dass die Medienberichterstattung – ähnlich wie in der Corona-Pandemie – nicht regierungsnah war, sondern die Regierung eher für ihre zögerliche Haltung kritisierte".

Ob das aber, selbst wenn es als wahr (an-)genommen wird, insgesamt als hinreichender empirischer Beleg für "Vielfalt und Ausgewogenheit" gelten kann?

Ich denke, diese abschließende Eigen-Bewertung der Analyse muss man nicht für den stärksten Teil jenes Zwischenberichtes aus der Medienforschung halten, um in dieser Studie etliche wichtige Anknüpfungspunkte zu finden, für Medienkritik und für bessere journalistische Praxen.