Ukraine-Krieg: Bangen um westliche Unterstützung

Wolodymyr Selenskyj. Foto (2022): Büro des ukrainischen Präsidenten / President.gov.ua / CC BY 4.0 Deed

Drohnenangriff auf Kiew als böser Auftakt des Winters. Ukraine braucht dringend Munition. Westliche Hilfe am Kipppunkt?

Mehr als sechs Stunden Drohnen-Alarm, ab zwei Uhr in der Nacht auf den heutigen Samstag in Kiew: Eine "außergewöhnlich heftige russische Angriffswelle", meldet der ARD-Korrespondent Vassili Golod. Fünf Menschen seien verletzt worden, berichtet Reuters.

Das Ziel des russischen Angriffs sei noch unklar, so die Nachrichtenagentur. Zitiert werden Befürchtungen, wonach Russland erneut eine Luftkampagne durchführen könnte, "um das ukrainische Energiesystem zu zerstören, wie es dies im letzten Winter versucht hat". Zweihundert Gebäude in der Hauptstadt, darunter 77 Wohnhäuser, hatten infolge des Angriffs keinen Strom mehr.

Der Angriff könnte eine "Ouvertüre, ein Vorspiel zur Wintersaison" sein, wird eine Einschätzung von Serhiy Fursa, einem ukrainischen Wirtschaftswissenschaftler wiedergegeben.

Wie so oft im Krieg wird der Meldung über den Schrecken über die rücksichtslose Gegenseite, die auf die Zivilbevölkerung zielt, auch ein Erfolg der eigenen Seite beigemischt: 74 der 75 Drohnen wurden laut Angaben der ukrainischen Luftwaffe abgeschossen.

Nach deren Chef Mykola Oleschuk waren für 40 Prozent der Abschüsse "mobile Feuereinheiten" verantwortlich. Reuters veranschaulicht diese als "schnelle Pickups mit einem Maschinengewehr oder einer Flak-Kanone auf der Ladefläche".

Schwindende Hoffnungen auf einen Sieg

Es ist ein aktueller Ausschnitt des Kriegsgeschehens in der Ukraine, das weitgehend als Pattsituation in einem verlustreichen Abnützungskrieg bezeichnet wird, bei dem die sogenannte Sommeroffensive nicht den durchschlagenden Erfolg brachte, den sich die Ukraine und vor allem auch ihre westlichen Unterstützer erhofft haben.

Im Ausschnitt zeigt sich, dass Meldungen, wonach Russland der Nachschub an Drohnen ausgeht, die man im vergangenen Jahr hier und da auch von Nachrichtenagenturen lesen konnte, zumindest dem Anschein nach verfrüht waren.

Auch um die Hoffnungen auf eine militärische Rückeroberung der von Russland besetzten Gebiete ist es merklich ruhiger geworden – auch wenn es noch Experten gibt, die sich "vorsichtig optimistisch" geben, wie etwa Anders Puck Nielsen, Marineoffizier und Militäranalyst an der Königlichen Dänischen Verteidigungsakademie.

Zermürbungs- und Produktionswettbewerb

Gegenüber ntv machte Nielsen auf den entscheidenden Punkt aufmerksam: die Unterstützung des Westens. Die würde, das scheint ihm "ziemlich klar zu sein", dafür sorgen, "dass Russland diesen Zermürbungs- und Produktionswettbewerb auf lange Sicht verlieren wird".

Seine Begründung bewegt sich auf großen abstrakten Höhen: "Das kombinierte Bruttoinlandsprodukt von Westeuropa und Nordamerika übersteigt das russische BIP bei Weitem." Seine Werbung für mehr Hilfe dazu lautet: "Wir müssten also nicht einmal einen großen Teil unseres BIP in die Unterstützung der Ukraine investieren und würden Russland trotzdem klar übertreffen."

Ob man damit Wähler in EU-Ländern überzeugen kann, ist eine rhetorische Frage.

In der folgenden Analyse kommt er dem Boden näher und damit einer pessimistischen Einschätzung:

Im Grunde ist das der Punkt, an dem wir jetzt sind: Wir befinden uns in einer Phase des Kriegs, an dem die industrielle Kapazität über Sieg oder Niederlage entscheidet. Aber dafür ist politischer Wille erforderlich.

Insbesondere mit Blick auf die Vereinigten Staaten kann man sich Sorgen machen, ob dieser Wille in ausreichendem Maße vorhanden ist. Ich sehe also Raum für Pessimismus, wenn ein großes Land wie die USA plötzlich nicht mehr in der Lage ist, seine Zusagen einzuhalten.

Anders Puck Nielsen, ntv

Nicht erwähnt wird vom dänischen Experten die Kassenlage in Deutschland. Der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine und der größte Geldgeber der EU steckt nach dem Urteil des Verfassungsgerichts in einer heftigen Haushaltskrise.

Deutschland in der Krise

Von Deutschlands EU-Botschafter Michael Clauß kommen zwar beruhigende Töne: Die Unterstützung der Ukraine sei nicht eine Priorität, sondern eine Verpflichtung, soll er laut Informationen der Süddeutschen Zeitung in einer Sitzung der ständigen Vertreter der EU-Mitgliedstaaten beteuert haben.

Aber, so die Zeitung, die deutschen Etatnöte würden EU-Partner "nervös machen". Konkretisiert wird die Stimmung mit einem Szenario, das als wahrscheinlich bewertet wird:

Deutschland stimmt einer Aufstockung des EU-Etats zu, akzeptiert aber strikt nur den zusätzlichen Betrag, der für die Ukraine vorgesehen ist. Damit wäre zunächst allerdings nur Kiew geholfen, nicht anderen EU-Ländern wie etwa Italien, die sich zum Beispiel auch deutlich mehr Geld für den Kampf gegen illegale Migration wünschen.

Die Vorstellung, die EU-Regierungen könnten nächstes Jahr in den Europawahlkampf gehen, nachdem sie nur für die Ukrainer finanzielle Hilfen beschlossen haben, und keine, die den eigenen Ländern zugutekommen, halten einige Diplomaten für illusorisch.

SZ

Kiew braucht mehr Geld, die EU spürt Gegenwind

Kiew braucht wieder frisches Geld, so die Lagebeurteilung des EU-Spezialisten Eric Bonse. Aber eine zusätzliche finanzielle EU-Unterstützung werde wegen Orbans Einspruch schwierig.

Verstärkt wird der Gegenwind durch Aussagen des neuen slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico, der laut AP, den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine als eingefrorenen Konflikt betrachtet, "der nicht durch Waffenlieferungen an das ukrainische Militär gelöst werden könne".

Dazu kommt die neue politische Lage in den Niederlanden, wo mit dem Wahlgewinner Wilders "Freude in den russischen Staatsmedien" (Frankfurter Rundschau) aufkam. Wilders tart in der Vergangenheit dafür ein, die niederländische Militärhilfe für die Ukraine zu beenden.