Ukraine-Krieg: Drang zum eindeutigen Bekenntnis
Seite 2: Wird in der Ukraine "für die Demokratie" gekämpft?
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Wer den Kampf gegen die russische Armee als Kampf für die Demokratie in der Ukraine ansieht, interessiert sich nicht dafür, wie es um die Demokratie in der Ukraine in den letzten Jahren stand.
Von der Zeitschrift Economist stammt ein internationales Demokratie-Ranking. Die Ukraine stand 2021 auf Platz 86, hinter der Mongolei, Thailand und El Salvador.
Die ukrainische Kommunistische Partei hatte 2012 mehr als 100.000 Mitglieder, bekam im selben Jahr bei der Parlamentswahl 13,2 Prozent der Stimmen und landete auf Platz 4. 2014 wurde die KPU "zum Ziel von gewalttätigen Angriffen durch Unterstützer des Euromaidan.
Die Parteizentrale in Kiew war zeitweise besetzt, andere Büros der Partei wurden verwüstet oder mit Molotowcocktails in Brand gesetzt. Die Abgeordneten der KPU in der Werchowna Rada (Parlament) wurden teilweise bedroht und unter Druck gesetzt.
In einer am 27. Februar 2014 angenommenen Resolution verurteilte das Europäische Parlament den Angriff auf den Sitz der KPU. Am 10. April wurde die Parteizentrale auf gerichtlichen Beschluss von den Besetzern geräumt, dabei wurden die Räume in Brand gesetzt". 2015 kam dann das Verbot der KPU.
Anfang Februar 2021 wurden zunächst drei oppositionelle Fernsehsender – NewsOne, Zik und 112 Ukraine – abgeschaltet. Ein weiterer oppositioneller Sender, Nash, wurde Anfang 2022, also noch vor Beginn des Krieges, verboten. Nach Ausbruch des Krieges wurden im März Dutzende unabhängiger Journalisten, Blogger und Analysten verhaftet; die meisten von ihnen vertreten linke Ansichten.
Olga Baysha
Wo waren da diejenigen, die heute den Kampf "in der Ukraine" als Kampf für "die Demokratie" ansehen?
Für den ukrainischen Nationalismus
Wer sich heute "ohne wenn und aber" im Krieg auf die Seite der ukrainischen Staatsführung stellt, blendet deren Anteil an der gegenwärtigen Misere aus. Die ukrainische Wissenschaftlerin Olga Baysha weist darauf hin,
dass die Ukraine sich seit Jahren weigert, die Minsker Friedensabkommen umzusetzen, die 2015 nach der Niederlage der ukrainischen Armee im Donbass-Krieg unterzeichnet wurden. Laut diesen Vereinbarungen sollte der Donbass eine politische Autonomie innerhalb der Ukraine erhalten – ein Punkt, der für Radikale unvorstellbar und inakzeptabel ist.
Anstatt das von der Uno ratifizierte Dokument umzusetzen, kämpft Kiew seit acht langen Jahren entlang der Demarkationslinie gegen den Donbass. Das Leben der in diesen Gebieten lebenden Ukrainer hat sich in einen Albtraum verwandelt. Für die Radikalen, deren Bataillone dort gekämpft haben, verdienen die Menschen im Donbass – die als sovki und vatniki bezeichnet werden – keine Gnade und Nachsicht.
Der gegenwärtige Krieg ist eine Fortsetzung des Krieges von 2014, der begann, als Kiew Truppen in den Donbass schickte, um die Anti-Maidan-Rebellion unter der Prämisse der sogenannten "Anti-Terror-Operation" zu unterdrücken. Die Anerkennung dieses breiteren Kontextes setzt nicht voraus, dass man Russlands "Militäroperation" gutheißt, aber sie impliziert die Anerkennung, dass auch die Ukraine für die Geschehnisse verantwortlich ist.
Ukrainische Nationalisten haben diejenigen Ukrainer, die den Maidan nicht begrüßten und an ihrer Verbundenheit zu Russland festhielten, als entscheidendes Hindernis angesehen, das einer "starken Ukraine" entgegensteht. Die russische Staatsführung hat in ihrem Nationalismus wiederum die schlechte Behandlung dieser Bevölkerungsgruppen als Grund interpretiert, der ihre Unterstützung nötig mache, handele es sich doch bei ihnen um so etwas wie eigene Landsleute auf fremdem Boden.
Vor einigen Monaten hieß es in Deutschland noch: "Für die Stärkung der EU! Wir müssen den kleinlichen Egoismus und den hässlichen Patriotismus der Nationalstaaten zurückdrängen!" Für den ukrainischen Nationalismus treten viele in Deutschland schon insofern ein, als das Land von Russland angegriffen wird. Die Maxime lautet anscheinend: Das Opfer hat immer recht.
Die Allianz zwischen Neoliberalismus und Nationalismus in der Ukraine
Selbst auf der Netzseite der Bundeszentrale für politische Bildung heißt es in einem Text von 2020:
Die Distanz zwischen dem Mainstream und extremistischer Politik, zwischen ziviler und unziviler Gesellschaft, gemäßigten und radikalen nationalistischen Gruppen, schrumpft nicht nur in politischer Hinsicht, sondern auch kulturell und mental. Die offizielle politische Rhetorik der Ukraine, der Diskurs in den Medien, die Kulturpolitik sowie die Debatte über erinnerungspolitische Fragen sind zwischen 2014 und 2019 mit jedem Jahr militanter und patriotischer geworden.
Dadurch haben auch extrem rechte historische und heutige Vorstellungen, Führungsfiguren und Organisationen in der ukrainischen Gesellschaft an sozialer Akzeptanz, wenn nicht Sympathie gewonnen. […] Da die ukrainischen Ultranationalisten zu großen Teilen ähnliche Antworten auf diese Fragen geben wie viele ukrainische Nationalliberale, werden erstere von letzteren immer mehr akzeptiert. [Es wächst] die Toleranz und teils sogar eine Sympathie der ukrainischen Elite wie Gesellschaft in Bezug auf historische wie zeitgenössische radikale nationalistische Organisationen, Aktionen und Personen. […]
Ultrarechte Organisationen sind zunehmend in der außerparlamentarischen Opposition, unzivilen Gesellschaft, Kulturlandschaft, Kommunalpolitik und inoffiziellen internationalen Beziehungen der Ukraine präsent. […] Die steigende öffentliche Präsenz unziviler Gruppen im ukrainischen Alltag und zunehmende gesellschaftliche Unterstützung für den historischen wie auch heutigen ukrainischen Ultranationalismus sind allerdings neue Aufmerksamkeit erfordernde Merkmale der Ukraine nach dem Euromaidan
Andreas Umland, 06.01.2020
Auf die "Allianz zwischen Neoliberalismus und Nationalismus" (Olga Baysha) hinzuweisen, heißt nicht, die russische Begründung für den Angriffskrieg zu akzeptieren.
Wenn Putin wirklich mit rechtsradikalen Tendenzen aufräumen wollte, hätte er im eigenen Land schon mal damit anfangen können.
Aggressor Russland – Kriegstreiber Nato (Die Vorgeschichte, Teil 2)
Viele, die jetzt für "die Ukraine" Partei nehmen, verbleiben ganz "im Hier und Jetzt". "Die Russen" sind einmarschiert, also sind sie "schuld"! Gewiss ist der Angriffskrieg zu verurteilen. Ihm ging eine Serie von gegenseitigen Provokationen zwischen Ukraine und Russland voraus.
Die ukrainische Staatsführung hat sich seit 2014 der Nato angedient als nächster Beitrittskandidat. Die Ukraine agiert im Verbund mit der Nato. Zur Abrüstung gehört es, aus der Verteufelung der fremden Seite und der Idealisierung der Seite, mit der man sich identifiziert, auszubrechen. Der Historiker und Diplomat George F. Kennan schrieb in The New York Times vom 5.2.1997:
Es wäre der verhängnisvollste Fehler amerikanischer Politik in der Zeit nach dem Kalten Krieg, die Nato bis zu den Grenzen Russlands auszuweiten. Diese Entscheidung lässt befürchten, dass nationalistische, antiwestliche und militaristische Tendenzen in Russland entfacht werden könnten. Sie könnte einen schädlichen Einfluss auf die Entwicklung der Demokratie in Russland haben, wieder zu einer Atmosphäre wie im Kalten Krieges führen und die russische Außenpolitik in eine Richtung lenken, die uns sehr missfallen wird.
George F. Kennan
Mittlerweile ist genau das eingetreten, was Kennan sowie Kissinger prognostiziert haben. (Zu Kissingers ähnlichen Voraussagen und Warnungen) Deutsche Politiker und Medien denken sich beim russischen Angriffskrieg den dafür konstitutiven historischen Vorgang, die Nato-Osterweiterung, weg.
Bei Staaten wie der Türkei, Saudi-Arabien und ähnlichen Regimen wird seitens der deutschen Außenpolitik darauf geachtet, dass bestimmte von diesen Nationen definierte rote Linien nicht überschritten werden. ("Realpolitik" heißt hier: Das eigene normative Urteil über diese Vorbehalte spielt eine sehr nachgeordnete Rolle.) Nicht so bei Russland.
Wenn das Nato-Mitglied Türkei die Selbstbestimmung der Kurden mit Füßen tritt und seit Jahrzehnten gegen sie Krieg führt, dann wird sie mit anderen Maßstäben gemessen als Russland. Im Kampf gegen militante Kurden hat "das türkische Militär 3.500 bis 4.000 kurdische Orte zerstört. Die Stiftung für wirtschaftliche und soziale Studien der Türkei (TESEV) schätzte die Zahl der aus 14 Provinzen vertriebenen Menschen auf 950.000 bis 1,2 Millionen.